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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

"Die Frau ist fort -- schreibt Frau von Schiller im Juli 1813 --, ich werde
so ischwach, fühle ich, oder sie immer unruhiger; aber ich kann zu meinem
eignen Troste nicht mehr Ruhe bei ihr finden, und sie schmerzt mich tief; denn
die Unruhe, das Schmerzliche nimmt in ihrem Wesen nur immer zu. Selbst
einer ruhig heitern Unterhaltung, wie sonst, ist sie selten fähig. Und die Freude,
die wir haben könnten an unsern Kindern, trübt sie sich, trübt ihr Schicksal
durch manches -- was anders ist, als sie hoffte, aber was wir Wohl voraus¬
sehen konnten. Sie hat ihre Existenz zu viel auf Täuschungen des Lebens ge¬
gründet, und nun kommen die schmerzlichen Züge schneller und greller hervor,
die das Gemälde um den schönen, frischen Farbenton bringen. Dabei ist in
dieser Unruhe eine schmerzliche Sehnsucht nach Ruhe, die sie nicht ertragen
könnte."

Also auch der alte trauliche Verkehr mit Dalberg reichte nicht hin, das
leidenschaftliche Ungenügen ihres Herzens zu stillen. Dies wird freilich erklär¬
lich, wenn man liest, daß auch Dalberg, selbst in seinem Greisenalter, weit ent¬
fernt von innerer Ruhe war. Es sind noch einige von den Briefen vorhanden,
die er an Karoline geschrieben hat, darunter einer aus dem Jahre 1813, worin
er selbst mit sich ins Gericht geht. "In dieser Woche -- schreibt er -- hatte
ich auf drei Tage den Besuch eines berühmten, mächtigen Mannes, der jetzt
sehr viel für das Wohl meiner guten Landesbewohner vermag. Seine Ge¬
mahlin begleitete ihn hierher, eine junge Frau von seltener Schönheit, anmut¬
vollem Geist, tugendhaftem, teilnehmenden Gemüt und einer Bescheidenheit, die
an Demut grenzt. In der Wonne ihres Umganges war ich anfangs wie be¬
rauscht; aber zerstreut in meinen Berufsgeschäften, erkaltet in meinen Andcrchts-
übungcn, fand ich mich wieder in jener unstäten Gemütsstimmung, welche die
kraftvollsten Jahre meines Lebens verbittert und so manchesmal verunstaltet
hat. Schon fühlte ich die Ruhe meiner Seele entweichen. So wahr ist es,
daß in meinem Greisenalter weder sinnliche Reizbarkeit mich verlassen, noch die
Zauberkraft blendender Phantasie auf mich zu wirken aufgehört hat. Erst seit
einem Jahre gerettet aus stürmischer Leidenschaft, gelandet im Hafen innerer
Beruhigung, war mir Gemütsruhe gegönnt. Ich finde sie nirgends als im
Element meiner Einsamkeit, in Gebet und Arbeit, in anhaltender, wohlthätiger
Beschäftigung." Wenn auch aus allen noch erhaltenen Äußerungen Dalbergs
deutlich hervorgeht, daß damals wenigstens sein Verhältnis zu Karoline das
einer ruhigen, mild teilnehmenden Freundschaft war, so konnte doch der Einfluß
dieses von Anfechtungen heimgesuchten geistlichen Herrn nicht sehr zur Be¬
ruhigung eines reizbaren Frauengemütes beitragen, wie ideal auch sonst seine
Stimmung und sein Gedankenzug gewesen sein mögen.

Der weiteste Ausflug, den Karoline nach dem Tode ihres Mannes machte,
war im Herbste 1813 nach Wien. Hier sah sie Wilhelm von Humboldt und
dessen Frau, ihre geliebte Li, wieder. Mit wahrhaft uneigennütziger Freude


Dichterfreundinnen.

„Die Frau ist fort — schreibt Frau von Schiller im Juli 1813 —, ich werde
so ischwach, fühle ich, oder sie immer unruhiger; aber ich kann zu meinem
eignen Troste nicht mehr Ruhe bei ihr finden, und sie schmerzt mich tief; denn
die Unruhe, das Schmerzliche nimmt in ihrem Wesen nur immer zu. Selbst
einer ruhig heitern Unterhaltung, wie sonst, ist sie selten fähig. Und die Freude,
die wir haben könnten an unsern Kindern, trübt sie sich, trübt ihr Schicksal
durch manches — was anders ist, als sie hoffte, aber was wir Wohl voraus¬
sehen konnten. Sie hat ihre Existenz zu viel auf Täuschungen des Lebens ge¬
gründet, und nun kommen die schmerzlichen Züge schneller und greller hervor,
die das Gemälde um den schönen, frischen Farbenton bringen. Dabei ist in
dieser Unruhe eine schmerzliche Sehnsucht nach Ruhe, die sie nicht ertragen
könnte."

Also auch der alte trauliche Verkehr mit Dalberg reichte nicht hin, das
leidenschaftliche Ungenügen ihres Herzens zu stillen. Dies wird freilich erklär¬
lich, wenn man liest, daß auch Dalberg, selbst in seinem Greisenalter, weit ent¬
fernt von innerer Ruhe war. Es sind noch einige von den Briefen vorhanden,
die er an Karoline geschrieben hat, darunter einer aus dem Jahre 1813, worin
er selbst mit sich ins Gericht geht. „In dieser Woche — schreibt er — hatte
ich auf drei Tage den Besuch eines berühmten, mächtigen Mannes, der jetzt
sehr viel für das Wohl meiner guten Landesbewohner vermag. Seine Ge¬
mahlin begleitete ihn hierher, eine junge Frau von seltener Schönheit, anmut¬
vollem Geist, tugendhaftem, teilnehmenden Gemüt und einer Bescheidenheit, die
an Demut grenzt. In der Wonne ihres Umganges war ich anfangs wie be¬
rauscht; aber zerstreut in meinen Berufsgeschäften, erkaltet in meinen Andcrchts-
übungcn, fand ich mich wieder in jener unstäten Gemütsstimmung, welche die
kraftvollsten Jahre meines Lebens verbittert und so manchesmal verunstaltet
hat. Schon fühlte ich die Ruhe meiner Seele entweichen. So wahr ist es,
daß in meinem Greisenalter weder sinnliche Reizbarkeit mich verlassen, noch die
Zauberkraft blendender Phantasie auf mich zu wirken aufgehört hat. Erst seit
einem Jahre gerettet aus stürmischer Leidenschaft, gelandet im Hafen innerer
Beruhigung, war mir Gemütsruhe gegönnt. Ich finde sie nirgends als im
Element meiner Einsamkeit, in Gebet und Arbeit, in anhaltender, wohlthätiger
Beschäftigung." Wenn auch aus allen noch erhaltenen Äußerungen Dalbergs
deutlich hervorgeht, daß damals wenigstens sein Verhältnis zu Karoline das
einer ruhigen, mild teilnehmenden Freundschaft war, so konnte doch der Einfluß
dieses von Anfechtungen heimgesuchten geistlichen Herrn nicht sehr zur Be¬
ruhigung eines reizbaren Frauengemütes beitragen, wie ideal auch sonst seine
Stimmung und sein Gedankenzug gewesen sein mögen.

Der weiteste Ausflug, den Karoline nach dem Tode ihres Mannes machte,
war im Herbste 1813 nach Wien. Hier sah sie Wilhelm von Humboldt und
dessen Frau, ihre geliebte Li, wieder. Mit wahrhaft uneigennütziger Freude


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[0603] Dichterfreundinnen. „Die Frau ist fort — schreibt Frau von Schiller im Juli 1813 —, ich werde so ischwach, fühle ich, oder sie immer unruhiger; aber ich kann zu meinem eignen Troste nicht mehr Ruhe bei ihr finden, und sie schmerzt mich tief; denn die Unruhe, das Schmerzliche nimmt in ihrem Wesen nur immer zu. Selbst einer ruhig heitern Unterhaltung, wie sonst, ist sie selten fähig. Und die Freude, die wir haben könnten an unsern Kindern, trübt sie sich, trübt ihr Schicksal durch manches — was anders ist, als sie hoffte, aber was wir Wohl voraus¬ sehen konnten. Sie hat ihre Existenz zu viel auf Täuschungen des Lebens ge¬ gründet, und nun kommen die schmerzlichen Züge schneller und greller hervor, die das Gemälde um den schönen, frischen Farbenton bringen. Dabei ist in dieser Unruhe eine schmerzliche Sehnsucht nach Ruhe, die sie nicht ertragen könnte." Also auch der alte trauliche Verkehr mit Dalberg reichte nicht hin, das leidenschaftliche Ungenügen ihres Herzens zu stillen. Dies wird freilich erklär¬ lich, wenn man liest, daß auch Dalberg, selbst in seinem Greisenalter, weit ent¬ fernt von innerer Ruhe war. Es sind noch einige von den Briefen vorhanden, die er an Karoline geschrieben hat, darunter einer aus dem Jahre 1813, worin er selbst mit sich ins Gericht geht. „In dieser Woche — schreibt er — hatte ich auf drei Tage den Besuch eines berühmten, mächtigen Mannes, der jetzt sehr viel für das Wohl meiner guten Landesbewohner vermag. Seine Ge¬ mahlin begleitete ihn hierher, eine junge Frau von seltener Schönheit, anmut¬ vollem Geist, tugendhaftem, teilnehmenden Gemüt und einer Bescheidenheit, die an Demut grenzt. In der Wonne ihres Umganges war ich anfangs wie be¬ rauscht; aber zerstreut in meinen Berufsgeschäften, erkaltet in meinen Andcrchts- übungcn, fand ich mich wieder in jener unstäten Gemütsstimmung, welche die kraftvollsten Jahre meines Lebens verbittert und so manchesmal verunstaltet hat. Schon fühlte ich die Ruhe meiner Seele entweichen. So wahr ist es, daß in meinem Greisenalter weder sinnliche Reizbarkeit mich verlassen, noch die Zauberkraft blendender Phantasie auf mich zu wirken aufgehört hat. Erst seit einem Jahre gerettet aus stürmischer Leidenschaft, gelandet im Hafen innerer Beruhigung, war mir Gemütsruhe gegönnt. Ich finde sie nirgends als im Element meiner Einsamkeit, in Gebet und Arbeit, in anhaltender, wohlthätiger Beschäftigung." Wenn auch aus allen noch erhaltenen Äußerungen Dalbergs deutlich hervorgeht, daß damals wenigstens sein Verhältnis zu Karoline das einer ruhigen, mild teilnehmenden Freundschaft war, so konnte doch der Einfluß dieses von Anfechtungen heimgesuchten geistlichen Herrn nicht sehr zur Be¬ ruhigung eines reizbaren Frauengemütes beitragen, wie ideal auch sonst seine Stimmung und sein Gedankenzug gewesen sein mögen. Der weiteste Ausflug, den Karoline nach dem Tode ihres Mannes machte, war im Herbste 1813 nach Wien. Hier sah sie Wilhelm von Humboldt und dessen Frau, ihre geliebte Li, wieder. Mit wahrhaft uneigennütziger Freude

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/603>, abgerufen am 22.07.2024.