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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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ihr etwas Festes und Klares sagen kann. Ich muß fühlen, was ich dem Schatz
sein kann, und welche Gestalt mein inneres Sein gewänne, einem so hohen,
schönen Wesen ein harmonisches Dasein zu geben. Es wäre eine schöne, edle
Frucht meines reiferen Lebens, und mit euch vereint zu leben!"

So mischten sich in ihrem Kopfe drei Pläne: von ihrem Manne loszu¬
kommen, dem geistlichen Herrn etwas für's Leben sein zu können und unter
seiner Protektion mit Schiller und der Schwester in Mainz zu leben. Diese
Mischung tritt in manchen Stellen ihrer Briefe fast in komischer Weise hervor.
So schreibt sie, als sie nach Rudolstadt zurückgekehrt ist: "Der liebe, liebe
Schatz, sein Brief hat mich sehr gerührt. Ich fühlte es auch einigemal im
Sprechen, wie es ihn schmerzt, so gebunden zu sein. Wohl ist es ein engel¬
schönes Herz, wert, daß man alles für ihn thue. Wenn doch der alte Esel
j^der alte Kurfürst von Mciinz^ einmal stürbe! Gute Nacht mit diesem schönen
Wunsche." Noch weniger schön war die Art, wie die Freundin Karoline von
Dachröden dieses seltsame Verhältnis schon auf den ersten Stufen seiner Ent¬
wicklung auffaßte. Sie schreibt am 30. März 1791 an Lotten: "Ach es wäre
gar schön, und gewiß würde es wohlthätig auf Lili ^Karolinej wirken, wenn sie
den Goldschatz einmal wiedersähe. Nach dem Briefe, den sie an ihn vor ihrer
Abreise geschrieben hat, muß es zur Sprache unter ihnen kommen, wenn sie
sich allein und ungestört sehen, und nur das kann wohlthätig auf Lili wirken,
wenn sie ihr ganzes Wesen, ihr innerstes Leben und Weben von dem Goldschatz
verstanden und gefaßt fühlt. Eigentlich sehen sie sich doch wenig und sprechen
sich noch weniger. Daß es anders werden muß unter ihnen, fühl' ich so tief,
fühl' es so wahr, wie mein eignes Leben, wenn Lili nicht im Druck dieser ver¬
worrenen Verhältnisse zu Grunde gehen soll. Ach, Lottchen, das trägt nicht
lang ein weibliches Herz. Der Schatz sprach mir nie mit einem Worte be¬
stimmt über Lilis Brief und ihre Empfindungen, schwieg, seit er sie zum letzten¬
mal sah, ganz von den seinen. Aber ich fühlte oft, daß er erriet, ich wisse
alles, und daß seine Reden darum so und so gewendet waren. Es ist ein
einziges Wesen an Kraft und Schönheit und Grazie der Empfindung -- doch
das fühlst du wie ich. Was aus dem Verhältnisse zwischen ihm und Lili
werden wird? Wenn sie sich nahe leben, ein sehr schönes. Er wird ihr hohes,
reines Wesen immer inniger empfinden, sie wird seine liebste, in einem gewissen
Sinne seine einzige Freundin werden, und Lili? Ach Lotte! haben wir denn
ein andres Dasein als unser ganzes Wesen in einen Manu zu legen, vermissen
wir auch noch etwas, wenn wir seine Schönheit, den Reichtum Und die Hoheit
seines Geistes empfinden? Lili wird glücklich sein, wenn sie ihn sieht, wenn sie
frei vor ihm existiren darf und die zarten Blüten einer einzigen Liebe pflegt.
Diese Liebe, meine Charlotte, wird ihr ganzes Dasein ausfüllen."

Der Koadjutor scheint den exzentrischen gelehrten Damen gegenüber stets
die nötige Vorsicht bewahrt zu haben, wenigstens ist von einem Aussprechen


ihr etwas Festes und Klares sagen kann. Ich muß fühlen, was ich dem Schatz
sein kann, und welche Gestalt mein inneres Sein gewänne, einem so hohen,
schönen Wesen ein harmonisches Dasein zu geben. Es wäre eine schöne, edle
Frucht meines reiferen Lebens, und mit euch vereint zu leben!"

So mischten sich in ihrem Kopfe drei Pläne: von ihrem Manne loszu¬
kommen, dem geistlichen Herrn etwas für's Leben sein zu können und unter
seiner Protektion mit Schiller und der Schwester in Mainz zu leben. Diese
Mischung tritt in manchen Stellen ihrer Briefe fast in komischer Weise hervor.
So schreibt sie, als sie nach Rudolstadt zurückgekehrt ist: „Der liebe, liebe
Schatz, sein Brief hat mich sehr gerührt. Ich fühlte es auch einigemal im
Sprechen, wie es ihn schmerzt, so gebunden zu sein. Wohl ist es ein engel¬
schönes Herz, wert, daß man alles für ihn thue. Wenn doch der alte Esel
j^der alte Kurfürst von Mciinz^ einmal stürbe! Gute Nacht mit diesem schönen
Wunsche." Noch weniger schön war die Art, wie die Freundin Karoline von
Dachröden dieses seltsame Verhältnis schon auf den ersten Stufen seiner Ent¬
wicklung auffaßte. Sie schreibt am 30. März 1791 an Lotten: „Ach es wäre
gar schön, und gewiß würde es wohlthätig auf Lili ^Karolinej wirken, wenn sie
den Goldschatz einmal wiedersähe. Nach dem Briefe, den sie an ihn vor ihrer
Abreise geschrieben hat, muß es zur Sprache unter ihnen kommen, wenn sie
sich allein und ungestört sehen, und nur das kann wohlthätig auf Lili wirken,
wenn sie ihr ganzes Wesen, ihr innerstes Leben und Weben von dem Goldschatz
verstanden und gefaßt fühlt. Eigentlich sehen sie sich doch wenig und sprechen
sich noch weniger. Daß es anders werden muß unter ihnen, fühl' ich so tief,
fühl' es so wahr, wie mein eignes Leben, wenn Lili nicht im Druck dieser ver¬
worrenen Verhältnisse zu Grunde gehen soll. Ach, Lottchen, das trägt nicht
lang ein weibliches Herz. Der Schatz sprach mir nie mit einem Worte be¬
stimmt über Lilis Brief und ihre Empfindungen, schwieg, seit er sie zum letzten¬
mal sah, ganz von den seinen. Aber ich fühlte oft, daß er erriet, ich wisse
alles, und daß seine Reden darum so und so gewendet waren. Es ist ein
einziges Wesen an Kraft und Schönheit und Grazie der Empfindung — doch
das fühlst du wie ich. Was aus dem Verhältnisse zwischen ihm und Lili
werden wird? Wenn sie sich nahe leben, ein sehr schönes. Er wird ihr hohes,
reines Wesen immer inniger empfinden, sie wird seine liebste, in einem gewissen
Sinne seine einzige Freundin werden, und Lili? Ach Lotte! haben wir denn
ein andres Dasein als unser ganzes Wesen in einen Manu zu legen, vermissen
wir auch noch etwas, wenn wir seine Schönheit, den Reichtum Und die Hoheit
seines Geistes empfinden? Lili wird glücklich sein, wenn sie ihn sieht, wenn sie
frei vor ihm existiren darf und die zarten Blüten einer einzigen Liebe pflegt.
Diese Liebe, meine Charlotte, wird ihr ganzes Dasein ausfüllen."

Der Koadjutor scheint den exzentrischen gelehrten Damen gegenüber stets
die nötige Vorsicht bewahrt zu haben, wenigstens ist von einem Aussprechen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/595>, abgerufen am 23.12.2024.