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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Ingeiiderinnernngen,

Kosten zu sparen, nur stellenweise eine Ncndielnng in Vorschlag brachten und
dieser Vorschlag von der Kirchcninspcktion genehnügt wurde. So erhielten wir
denn eine Diele, welche ein wunderbar fignrirteS Holznwsnik darstellte, indem
nagelneue kurze und lange, breite und schmale Bretter in buntester Unordnung
zwischen die bleibenden alten und schwarzen Dielen eingeschoben wurden.

Solche .Kleinigkeiten konnten uns indessen den Humor nicht trüben. Wir
waren es ja nicht besser gewohnt, und verglichen mit den Wohnräumen in
andern Häusern konnte unsre Stube noch immer für eine Art Prachtgemach
gelten. Auch ließen uns wichtigere Angelegenheiten, die im Nuzuge waren und
von denen Tag für Tag gesprochen wurde, die kleinen Note in unserm Hanse
bald ganz vergessen. Wir schrieben das Jahr 1817, mithin fiel ans den 31. Ok¬
tober die dreihundertjährige Feier der Reformation. Gehörte auch Wittenberg,
wo Luther gelehrt, wo er seine welthistorisch gewordene" fünfundneunzig Thesen
angeschlagen und endlich kühnen Mutes unter dein Zujauchzen der studentischen
Jugend die päpstliche Bannbulle öffentlich verbrannt hatte, nicht mehr zu Sachsen,
so war doch die Begeisterung sür eine würdige, das ganze Lande umfassende
Feier dieses großen Tages allgemein, und man dachte bei Zeiten darau, auch
die Jugend auf diesen weltgeschichtlichen Tag vorzubereiten und alle Herzen
dafür zu entflammen.

Seit Weihnachten schon war ich. im Besitze eines Büchleins, daß sich mit
der Reformation Dr. Martin Luthers, deren Verlauf und späteren Folgen ein¬
gehend beschäftigte. Eine reiche Anzahl kolorirter Bilder, freilich von höchst
zweifelhaftem Werte, machten es nur besonders lieb. Ich las es wieder und
wieder und prägte dadurch die Hauptvorgänge des ganzen Reformationszcitalters
meinem Gedächtnisse fest ein. Der Vater versäumte nicht, uns Kinder immer
von neuem auf die große That Luthers hinzuweisen. Er schaffte sich sogar
einen Kupferstich an, welcher den großen Mann auf dein Reichstage zu Worms
darstellte, wie er vor Kaiser Karl V., alle" Kurfürsten des Reichs und inmitten
der römischen Prälaten seine Lehre rechtfertigte. Nun erst trat uns der außer¬
ordentliche Manu, der uns nach Christus als der verehrungswürdigste erschien,
leibhaftig näher, und wir wurden nicht müde, immer neue Fragen an den Vater
zu richten, zu dem wir jetzt ebenfalls mit Ehrfurcht aufblickten, da er ja so
tren und zuversichtlich auf des ulivergeßlichen Reformators Bahnen wandelte.

Es war von der Kircheninspektion der heldenmütige Entschluß gefaßt worden,
noch vor dem großen Festtage der Kirche selbst ein neues Kleid anzuziehen.
Wer die Kosten eines so großen Unternehmens bestritt, ob die Kirche, die Ge¬
meinde oder beide zusammen, kann ich nicht sagen; nur weiß ich, daß alles
friedlich ablief, und als das uns unvergeßlich gebliebene Fest endlich herankam,
kein Mißton es trübte.

Von den Jungfrauen des Dorfes wurde eine wertvolle Altarbekleidung der
Kirche verehrt, deren reiche Silberstickerei eine "us wohlbekannte Dame in Zittau


Ingeiiderinnernngen,

Kosten zu sparen, nur stellenweise eine Ncndielnng in Vorschlag brachten und
dieser Vorschlag von der Kirchcninspcktion genehnügt wurde. So erhielten wir
denn eine Diele, welche ein wunderbar fignrirteS Holznwsnik darstellte, indem
nagelneue kurze und lange, breite und schmale Bretter in buntester Unordnung
zwischen die bleibenden alten und schwarzen Dielen eingeschoben wurden.

Solche .Kleinigkeiten konnten uns indessen den Humor nicht trüben. Wir
waren es ja nicht besser gewohnt, und verglichen mit den Wohnräumen in
andern Häusern konnte unsre Stube noch immer für eine Art Prachtgemach
gelten. Auch ließen uns wichtigere Angelegenheiten, die im Nuzuge waren und
von denen Tag für Tag gesprochen wurde, die kleinen Note in unserm Hanse
bald ganz vergessen. Wir schrieben das Jahr 1817, mithin fiel ans den 31. Ok¬
tober die dreihundertjährige Feier der Reformation. Gehörte auch Wittenberg,
wo Luther gelehrt, wo er seine welthistorisch gewordene» fünfundneunzig Thesen
angeschlagen und endlich kühnen Mutes unter dein Zujauchzen der studentischen
Jugend die päpstliche Bannbulle öffentlich verbrannt hatte, nicht mehr zu Sachsen,
so war doch die Begeisterung sür eine würdige, das ganze Lande umfassende
Feier dieses großen Tages allgemein, und man dachte bei Zeiten darau, auch
die Jugend auf diesen weltgeschichtlichen Tag vorzubereiten und alle Herzen
dafür zu entflammen.

Seit Weihnachten schon war ich. im Besitze eines Büchleins, daß sich mit
der Reformation Dr. Martin Luthers, deren Verlauf und späteren Folgen ein¬
gehend beschäftigte. Eine reiche Anzahl kolorirter Bilder, freilich von höchst
zweifelhaftem Werte, machten es nur besonders lieb. Ich las es wieder und
wieder und prägte dadurch die Hauptvorgänge des ganzen Reformationszcitalters
meinem Gedächtnisse fest ein. Der Vater versäumte nicht, uns Kinder immer
von neuem auf die große That Luthers hinzuweisen. Er schaffte sich sogar
einen Kupferstich an, welcher den großen Mann auf dein Reichstage zu Worms
darstellte, wie er vor Kaiser Karl V., alle» Kurfürsten des Reichs und inmitten
der römischen Prälaten seine Lehre rechtfertigte. Nun erst trat uns der außer¬
ordentliche Manu, der uns nach Christus als der verehrungswürdigste erschien,
leibhaftig näher, und wir wurden nicht müde, immer neue Fragen an den Vater
zu richten, zu dem wir jetzt ebenfalls mit Ehrfurcht aufblickten, da er ja so
tren und zuversichtlich auf des ulivergeßlichen Reformators Bahnen wandelte.

Es war von der Kircheninspektion der heldenmütige Entschluß gefaßt worden,
noch vor dem großen Festtage der Kirche selbst ein neues Kleid anzuziehen.
Wer die Kosten eines so großen Unternehmens bestritt, ob die Kirche, die Ge¬
meinde oder beide zusammen, kann ich nicht sagen; nur weiß ich, daß alles
friedlich ablief, und als das uns unvergeßlich gebliebene Fest endlich herankam,
kein Mißton es trübte.

Von den Jungfrauen des Dorfes wurde eine wertvolle Altarbekleidung der
Kirche verehrt, deren reiche Silberstickerei eine »us wohlbekannte Dame in Zittau


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[0560] Ingeiiderinnernngen, Kosten zu sparen, nur stellenweise eine Ncndielnng in Vorschlag brachten und dieser Vorschlag von der Kirchcninspcktion genehnügt wurde. So erhielten wir denn eine Diele, welche ein wunderbar fignrirteS Holznwsnik darstellte, indem nagelneue kurze und lange, breite und schmale Bretter in buntester Unordnung zwischen die bleibenden alten und schwarzen Dielen eingeschoben wurden. Solche .Kleinigkeiten konnten uns indessen den Humor nicht trüben. Wir waren es ja nicht besser gewohnt, und verglichen mit den Wohnräumen in andern Häusern konnte unsre Stube noch immer für eine Art Prachtgemach gelten. Auch ließen uns wichtigere Angelegenheiten, die im Nuzuge waren und von denen Tag für Tag gesprochen wurde, die kleinen Note in unserm Hanse bald ganz vergessen. Wir schrieben das Jahr 1817, mithin fiel ans den 31. Ok¬ tober die dreihundertjährige Feier der Reformation. Gehörte auch Wittenberg, wo Luther gelehrt, wo er seine welthistorisch gewordene» fünfundneunzig Thesen angeschlagen und endlich kühnen Mutes unter dein Zujauchzen der studentischen Jugend die päpstliche Bannbulle öffentlich verbrannt hatte, nicht mehr zu Sachsen, so war doch die Begeisterung sür eine würdige, das ganze Lande umfassende Feier dieses großen Tages allgemein, und man dachte bei Zeiten darau, auch die Jugend auf diesen weltgeschichtlichen Tag vorzubereiten und alle Herzen dafür zu entflammen. Seit Weihnachten schon war ich. im Besitze eines Büchleins, daß sich mit der Reformation Dr. Martin Luthers, deren Verlauf und späteren Folgen ein¬ gehend beschäftigte. Eine reiche Anzahl kolorirter Bilder, freilich von höchst zweifelhaftem Werte, machten es nur besonders lieb. Ich las es wieder und wieder und prägte dadurch die Hauptvorgänge des ganzen Reformationszcitalters meinem Gedächtnisse fest ein. Der Vater versäumte nicht, uns Kinder immer von neuem auf die große That Luthers hinzuweisen. Er schaffte sich sogar einen Kupferstich an, welcher den großen Mann auf dein Reichstage zu Worms darstellte, wie er vor Kaiser Karl V., alle» Kurfürsten des Reichs und inmitten der römischen Prälaten seine Lehre rechtfertigte. Nun erst trat uns der außer¬ ordentliche Manu, der uns nach Christus als der verehrungswürdigste erschien, leibhaftig näher, und wir wurden nicht müde, immer neue Fragen an den Vater zu richten, zu dem wir jetzt ebenfalls mit Ehrfurcht aufblickten, da er ja so tren und zuversichtlich auf des ulivergeßlichen Reformators Bahnen wandelte. Es war von der Kircheninspektion der heldenmütige Entschluß gefaßt worden, noch vor dem großen Festtage der Kirche selbst ein neues Kleid anzuziehen. Wer die Kosten eines so großen Unternehmens bestritt, ob die Kirche, die Ge¬ meinde oder beide zusammen, kann ich nicht sagen; nur weiß ich, daß alles friedlich ablief, und als das uns unvergeßlich gebliebene Fest endlich herankam, kein Mißton es trübte. Von den Jungfrauen des Dorfes wurde eine wertvolle Altarbekleidung der Kirche verehrt, deren reiche Silberstickerei eine »us wohlbekannte Dame in Zittau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/560>, abgerufen am 23.12.2024.