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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderimierungen.

weil es für uns Kinder doch sehr lustig war. so hoben wir die zerbrochene"
Dielen ans und Sälen Hafer in die schone Erde. Wir hatten wirklich das Ver-
gnügen, unsre Sant aufgehen und so herrlich gedeihen zu sehen, daß wir die
grünen Sprossen abschneiden und unsern Ziegen als Leckerbissen reichen konnten.
Auch in, Anbau von Gartengemüsen machten wir schwache Versuche, doch haben
wir meines Wissens durch unsern originellen Gartenbau mitten im Wohnzimmer
nicht einmal ein schmackhaftes Gericht Erbsen erzielt. Am besten würden jeden-
falls Gurten gediehen sein, doch setzten die Eltern sich gegen die Idee, diese
beliebte Frucht bei uns anzubauen, ernsthafc zur Wehr, während sie unsre so
schön gedeihenden Grassaaten lächelnd duldeten, ja sogar nicht ungern zu sehen
schienen.

Das mag sonderbar klingen, hatte aber seinen guten und vollkommen gerecht¬
fertigten Grund. Mein Vater besaß sicherlich weder politische noch diplomatische
Talente, hatte auch nicht die geringste Anlage zur Intrigue; dennoch meinte
er, das sicherste Mittel, unserm einzigen Wohnzimmer in dem alten Pfarrhause
zu einem neuen Fußboden zu verhelfen, sei das fröhliche Gedeihen unsrer Hafer¬
saat. Die beiden Kirchvater, welche Sonntags mit dem Klingelbeutel in der
Kirche umgingen, betraten unser Haus allwöchentlich wenigstens einmal. Kam
nun diesen im Dienst der Kirche stehenden Männern der unheilbare Schaden
unsrer Diele zu Gesicht, so konnte eine Vorstellung beim Kirchenvorstände oder
richtiger der Kircheninspektivn unmöglich ausbleiben. Sollte dann auch noch
immer eine beträchtliche Zeit vergehen, ehe nach reiflichem Erwägen die Legung
eines neuen Fußbodens beschlossen ward, endlich mußte sich die Kircheninspektion
doch zu einem heldenmütigen Schritte aufraffen.

Kirche, Pastorat und die nahe gelegene Kirchenschule sollten nämlich aus
dem Ertrage des Kirchenvermögens in baulichen Stande erhalten werden.
Leider aber war dies Vermögen so unbedeutend, daß die jährlichen Zinsen des¬
selben nicht einmal zu den allernvtwendigsten Reparaturen ausreichten. Die
Kirchvater zögerten deshalb so lange als möglich, wenn es etwas auszubessern
gab und behalfen sich mit elenden Flickereien, welche die Schäden eher noch
verschlimmerten. Zuletzt, wenn garnichts mehr half und die vorrätigen Geld¬
mittel der Kirche nicht ausreichten, ward die Gemeinde in Mitleidenschaft ge¬
zogen, damit dem Pastor und dem Schulmeister nicht die Dächer über den Köpfen
einbrachen.

Zu letzterem Schritte nahm die Kircheninspcktion ungern ihre Zuflucht,
denn es ging telum, was mein Vater später noch erfahren sollte, ohne Zank
und Streit nicht ab. Der Bauer ist in Geldangelegenheiten zäh und schwer
zu behandeln; sollte aber die Gemeinde Geld hergeben zur Verschönerung des
Pfarrhauses, das in der Dvrfchrvnit ein gar stattliches Gebäude genannt wurde,
so mußten die Bauern das Beste dabei thun. Ganz zu nnserm Rechte kamen
wir nun trotz unsrer grünen Hafersaat nicht, indem die weisen Kirchvater, um


Jugenderimierungen.

weil es für uns Kinder doch sehr lustig war. so hoben wir die zerbrochene»
Dielen ans und Sälen Hafer in die schone Erde. Wir hatten wirklich das Ver-
gnügen, unsre Sant aufgehen und so herrlich gedeihen zu sehen, daß wir die
grünen Sprossen abschneiden und unsern Ziegen als Leckerbissen reichen konnten.
Auch in, Anbau von Gartengemüsen machten wir schwache Versuche, doch haben
wir meines Wissens durch unsern originellen Gartenbau mitten im Wohnzimmer
nicht einmal ein schmackhaftes Gericht Erbsen erzielt. Am besten würden jeden-
falls Gurten gediehen sein, doch setzten die Eltern sich gegen die Idee, diese
beliebte Frucht bei uns anzubauen, ernsthafc zur Wehr, während sie unsre so
schön gedeihenden Grassaaten lächelnd duldeten, ja sogar nicht ungern zu sehen
schienen.

Das mag sonderbar klingen, hatte aber seinen guten und vollkommen gerecht¬
fertigten Grund. Mein Vater besaß sicherlich weder politische noch diplomatische
Talente, hatte auch nicht die geringste Anlage zur Intrigue; dennoch meinte
er, das sicherste Mittel, unserm einzigen Wohnzimmer in dem alten Pfarrhause
zu einem neuen Fußboden zu verhelfen, sei das fröhliche Gedeihen unsrer Hafer¬
saat. Die beiden Kirchvater, welche Sonntags mit dem Klingelbeutel in der
Kirche umgingen, betraten unser Haus allwöchentlich wenigstens einmal. Kam
nun diesen im Dienst der Kirche stehenden Männern der unheilbare Schaden
unsrer Diele zu Gesicht, so konnte eine Vorstellung beim Kirchenvorstände oder
richtiger der Kircheninspektivn unmöglich ausbleiben. Sollte dann auch noch
immer eine beträchtliche Zeit vergehen, ehe nach reiflichem Erwägen die Legung
eines neuen Fußbodens beschlossen ward, endlich mußte sich die Kircheninspektion
doch zu einem heldenmütigen Schritte aufraffen.

Kirche, Pastorat und die nahe gelegene Kirchenschule sollten nämlich aus
dem Ertrage des Kirchenvermögens in baulichen Stande erhalten werden.
Leider aber war dies Vermögen so unbedeutend, daß die jährlichen Zinsen des¬
selben nicht einmal zu den allernvtwendigsten Reparaturen ausreichten. Die
Kirchvater zögerten deshalb so lange als möglich, wenn es etwas auszubessern
gab und behalfen sich mit elenden Flickereien, welche die Schäden eher noch
verschlimmerten. Zuletzt, wenn garnichts mehr half und die vorrätigen Geld¬
mittel der Kirche nicht ausreichten, ward die Gemeinde in Mitleidenschaft ge¬
zogen, damit dem Pastor und dem Schulmeister nicht die Dächer über den Köpfen
einbrachen.

Zu letzterem Schritte nahm die Kircheninspcktion ungern ihre Zuflucht,
denn es ging telum, was mein Vater später noch erfahren sollte, ohne Zank
und Streit nicht ab. Der Bauer ist in Geldangelegenheiten zäh und schwer
zu behandeln; sollte aber die Gemeinde Geld hergeben zur Verschönerung des
Pfarrhauses, das in der Dvrfchrvnit ein gar stattliches Gebäude genannt wurde,
so mußten die Bauern das Beste dabei thun. Ganz zu nnserm Rechte kamen
wir nun trotz unsrer grünen Hafersaat nicht, indem die weisen Kirchvater, um


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[0559] Jugenderimierungen. weil es für uns Kinder doch sehr lustig war. so hoben wir die zerbrochene» Dielen ans und Sälen Hafer in die schone Erde. Wir hatten wirklich das Ver- gnügen, unsre Sant aufgehen und so herrlich gedeihen zu sehen, daß wir die grünen Sprossen abschneiden und unsern Ziegen als Leckerbissen reichen konnten. Auch in, Anbau von Gartengemüsen machten wir schwache Versuche, doch haben wir meines Wissens durch unsern originellen Gartenbau mitten im Wohnzimmer nicht einmal ein schmackhaftes Gericht Erbsen erzielt. Am besten würden jeden- falls Gurten gediehen sein, doch setzten die Eltern sich gegen die Idee, diese beliebte Frucht bei uns anzubauen, ernsthafc zur Wehr, während sie unsre so schön gedeihenden Grassaaten lächelnd duldeten, ja sogar nicht ungern zu sehen schienen. Das mag sonderbar klingen, hatte aber seinen guten und vollkommen gerecht¬ fertigten Grund. Mein Vater besaß sicherlich weder politische noch diplomatische Talente, hatte auch nicht die geringste Anlage zur Intrigue; dennoch meinte er, das sicherste Mittel, unserm einzigen Wohnzimmer in dem alten Pfarrhause zu einem neuen Fußboden zu verhelfen, sei das fröhliche Gedeihen unsrer Hafer¬ saat. Die beiden Kirchvater, welche Sonntags mit dem Klingelbeutel in der Kirche umgingen, betraten unser Haus allwöchentlich wenigstens einmal. Kam nun diesen im Dienst der Kirche stehenden Männern der unheilbare Schaden unsrer Diele zu Gesicht, so konnte eine Vorstellung beim Kirchenvorstände oder richtiger der Kircheninspektivn unmöglich ausbleiben. Sollte dann auch noch immer eine beträchtliche Zeit vergehen, ehe nach reiflichem Erwägen die Legung eines neuen Fußbodens beschlossen ward, endlich mußte sich die Kircheninspektion doch zu einem heldenmütigen Schritte aufraffen. Kirche, Pastorat und die nahe gelegene Kirchenschule sollten nämlich aus dem Ertrage des Kirchenvermögens in baulichen Stande erhalten werden. Leider aber war dies Vermögen so unbedeutend, daß die jährlichen Zinsen des¬ selben nicht einmal zu den allernvtwendigsten Reparaturen ausreichten. Die Kirchvater zögerten deshalb so lange als möglich, wenn es etwas auszubessern gab und behalfen sich mit elenden Flickereien, welche die Schäden eher noch verschlimmerten. Zuletzt, wenn garnichts mehr half und die vorrätigen Geld¬ mittel der Kirche nicht ausreichten, ward die Gemeinde in Mitleidenschaft ge¬ zogen, damit dem Pastor und dem Schulmeister nicht die Dächer über den Köpfen einbrachen. Zu letzterem Schritte nahm die Kircheninspcktion ungern ihre Zuflucht, denn es ging telum, was mein Vater später noch erfahren sollte, ohne Zank und Streit nicht ab. Der Bauer ist in Geldangelegenheiten zäh und schwer zu behandeln; sollte aber die Gemeinde Geld hergeben zur Verschönerung des Pfarrhauses, das in der Dvrfchrvnit ein gar stattliches Gebäude genannt wurde, so mußten die Bauern das Beste dabei thun. Ganz zu nnserm Rechte kamen wir nun trotz unsrer grünen Hafersaat nicht, indem die weisen Kirchvater, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/559>, abgerufen am 23.07.2024.