Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnen.
Von Franz Pfalz.
2. Karoline von Wolzogen.

<W
ßMle die feinen Abstufungen der Farben auf das leibliche Auge einen
eigentümlichen Reiz ausüben, so haben die zarten, in einer be¬
stimmten Richtung liegenden Übergänge im Seelenleben eine be¬
sondre Anziehungskraft für das innere Anschauen. Von diesem
Standpunkte aus betrachtet ist Karolitte von Wolzogen, Schillers
Freundin, besonders interessant. Sie steht auf demselben Grnnde des Denkens
und Fühlens wie Frau von Stein, sie darbt in unerfüllter Sehnsucht, siegt,
fehlt und büßt wie diese, aber ihr ganzes Wesen steht ein wenig tiefer im
Schatten. Nicht infolge mangelnder Begabung. Karolinens Genialität war
glänzender, produktiver, umfassender und mehr in die Weite wirkend als die
Charlottens, aber es fehlte ihr die Klarheit des Denkens und die Festigkeit des
Wollens, die Goethes Freundin auszeichnete. Man hat sie nicht in dem Ver¬
dachte, daß sie die schönste Perle aus der Krone ihrer Weiblichkeit verloren
habe, aber sie selbst war auch nicht, so wie die Stein in Weimar, die Perle
eines ganzen Gesellschaftskreises. Nie kam sie zur Ruhe, weder innerlich )ivch
äußerlich, weder in der Freude noch im Schmerze. Unstet eilt sie hierhin und
dorthin, taucht bald hier, bald dort auf, bis sie endlich, nach schweren Schick¬
salsschlägen, als ein entblätterter und entästeter Stamm einsame poetische Herbst¬
blüten treibt. Mehr noch als die Stein, zog die Lebensmüde im Alter mit
religiöser Resignation die schöne Vergangenheit in eine ungeduldige Sehnsucht
nach dem Jenseits zusammen. Aber sie hatte auch durch fromme Ergebung
eine größere Summe von Verirrungen aufzuwiegen als die dem Einen und
Einzigen getreue Weimarer Freundin.

Karolinens Wiege stand im Umkreise des Rudolstädter Hofes. An diesem
war ihre Familie, die von Lengefeld, hochgeschätzt und aufrichtig geliebt. Ihr
Vater, fürstlicher Oberlandjägermeister, verdiente das Vertrauen vollkommen,
welches sein Herr auf ihn setzte. Er war ein Mann von Geist und Herz und
in seinem Fache so tüchtig, daß ihm Friedrich der Große 6000 Reichsthaler
Gehalt bot, wenn er in seine Dienste treten wollte; aber er blieb, weil ihn sein
Fürst Johann Friedrich darum bat. Ihre Mutter, eine Geborne von Wurmb,
umfaßte mit der ihr eignenZMilde/ Güte und Frömmigkeit ihre Familie und
die fürstliche dazu. Kein Opfer war ihr zu schwer, kein Vorurteil band ihr
edles Gemüt. Ihr Gemahl starb, als die Kinder, Karoline und Charlotte,


Grmzvoten I, 1387. 07
Dichterfreundinnen.
Von Franz Pfalz.
2. Karoline von Wolzogen.

<W
ßMle die feinen Abstufungen der Farben auf das leibliche Auge einen
eigentümlichen Reiz ausüben, so haben die zarten, in einer be¬
stimmten Richtung liegenden Übergänge im Seelenleben eine be¬
sondre Anziehungskraft für das innere Anschauen. Von diesem
Standpunkte aus betrachtet ist Karolitte von Wolzogen, Schillers
Freundin, besonders interessant. Sie steht auf demselben Grnnde des Denkens
und Fühlens wie Frau von Stein, sie darbt in unerfüllter Sehnsucht, siegt,
fehlt und büßt wie diese, aber ihr ganzes Wesen steht ein wenig tiefer im
Schatten. Nicht infolge mangelnder Begabung. Karolinens Genialität war
glänzender, produktiver, umfassender und mehr in die Weite wirkend als die
Charlottens, aber es fehlte ihr die Klarheit des Denkens und die Festigkeit des
Wollens, die Goethes Freundin auszeichnete. Man hat sie nicht in dem Ver¬
dachte, daß sie die schönste Perle aus der Krone ihrer Weiblichkeit verloren
habe, aber sie selbst war auch nicht, so wie die Stein in Weimar, die Perle
eines ganzen Gesellschaftskreises. Nie kam sie zur Ruhe, weder innerlich )ivch
äußerlich, weder in der Freude noch im Schmerze. Unstet eilt sie hierhin und
dorthin, taucht bald hier, bald dort auf, bis sie endlich, nach schweren Schick¬
salsschlägen, als ein entblätterter und entästeter Stamm einsame poetische Herbst¬
blüten treibt. Mehr noch als die Stein, zog die Lebensmüde im Alter mit
religiöser Resignation die schöne Vergangenheit in eine ungeduldige Sehnsucht
nach dem Jenseits zusammen. Aber sie hatte auch durch fromme Ergebung
eine größere Summe von Verirrungen aufzuwiegen als die dem Einen und
Einzigen getreue Weimarer Freundin.

Karolinens Wiege stand im Umkreise des Rudolstädter Hofes. An diesem
war ihre Familie, die von Lengefeld, hochgeschätzt und aufrichtig geliebt. Ihr
Vater, fürstlicher Oberlandjägermeister, verdiente das Vertrauen vollkommen,
welches sein Herr auf ihn setzte. Er war ein Mann von Geist und Herz und
in seinem Fache so tüchtig, daß ihm Friedrich der Große 6000 Reichsthaler
Gehalt bot, wenn er in seine Dienste treten wollte; aber er blieb, weil ihn sein
Fürst Johann Friedrich darum bat. Ihre Mutter, eine Geborne von Wurmb,
umfaßte mit der ihr eignenZMilde/ Güte und Frömmigkeit ihre Familie und
die fürstliche dazu. Kein Opfer war ihr zu schwer, kein Vorurteil band ihr
edles Gemüt. Ihr Gemahl starb, als die Kinder, Karoline und Charlotte,


Grmzvoten I, 1387. 07
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0537" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200642"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dichterfreundinnen.<lb/><note type="byline"> Von Franz Pfalz.</note><lb/>
2. Karoline von Wolzogen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1689"> &lt;W<lb/>
ßMle die feinen Abstufungen der Farben auf das leibliche Auge einen<lb/>
eigentümlichen Reiz ausüben, so haben die zarten, in einer be¬<lb/>
stimmten Richtung liegenden Übergänge im Seelenleben eine be¬<lb/>
sondre Anziehungskraft für das innere Anschauen. Von diesem<lb/>
Standpunkte aus betrachtet ist Karolitte von Wolzogen, Schillers<lb/>
Freundin, besonders interessant. Sie steht auf demselben Grnnde des Denkens<lb/>
und Fühlens wie Frau von Stein, sie darbt in unerfüllter Sehnsucht, siegt,<lb/>
fehlt und büßt wie diese, aber ihr ganzes Wesen steht ein wenig tiefer im<lb/>
Schatten. Nicht infolge mangelnder Begabung. Karolinens Genialität war<lb/>
glänzender, produktiver, umfassender und mehr in die Weite wirkend als die<lb/>
Charlottens, aber es fehlte ihr die Klarheit des Denkens und die Festigkeit des<lb/>
Wollens, die Goethes Freundin auszeichnete. Man hat sie nicht in dem Ver¬<lb/>
dachte, daß sie die schönste Perle aus der Krone ihrer Weiblichkeit verloren<lb/>
habe, aber sie selbst war auch nicht, so wie die Stein in Weimar, die Perle<lb/>
eines ganzen Gesellschaftskreises. Nie kam sie zur Ruhe, weder innerlich )ivch<lb/>
äußerlich, weder in der Freude noch im Schmerze. Unstet eilt sie hierhin und<lb/>
dorthin, taucht bald hier, bald dort auf, bis sie endlich, nach schweren Schick¬<lb/>
salsschlägen, als ein entblätterter und entästeter Stamm einsame poetische Herbst¬<lb/>
blüten treibt. Mehr noch als die Stein, zog die Lebensmüde im Alter mit<lb/>
religiöser Resignation die schöne Vergangenheit in eine ungeduldige Sehnsucht<lb/>
nach dem Jenseits zusammen. Aber sie hatte auch durch fromme Ergebung<lb/>
eine größere Summe von Verirrungen aufzuwiegen als die dem Einen und<lb/>
Einzigen getreue Weimarer Freundin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1690" next="#ID_1691"> Karolinens Wiege stand im Umkreise des Rudolstädter Hofes. An diesem<lb/>
war ihre Familie, die von Lengefeld, hochgeschätzt und aufrichtig geliebt. Ihr<lb/>
Vater, fürstlicher Oberlandjägermeister, verdiente das Vertrauen vollkommen,<lb/>
welches sein Herr auf ihn setzte. Er war ein Mann von Geist und Herz und<lb/>
in seinem Fache so tüchtig, daß ihm Friedrich der Große 6000 Reichsthaler<lb/>
Gehalt bot, wenn er in seine Dienste treten wollte; aber er blieb, weil ihn sein<lb/>
Fürst Johann Friedrich darum bat. Ihre Mutter, eine Geborne von Wurmb,<lb/>
umfaßte mit der ihr eignenZMilde/ Güte und Frömmigkeit ihre Familie und<lb/>
die fürstliche dazu. Kein Opfer war ihr zu schwer, kein Vorurteil band ihr<lb/>
edles Gemüt. Ihr Gemahl starb, als die Kinder, Karoline und Charlotte,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzvoten I, 1387. 07</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0537] Dichterfreundinnen. Von Franz Pfalz. 2. Karoline von Wolzogen. <W ßMle die feinen Abstufungen der Farben auf das leibliche Auge einen eigentümlichen Reiz ausüben, so haben die zarten, in einer be¬ stimmten Richtung liegenden Übergänge im Seelenleben eine be¬ sondre Anziehungskraft für das innere Anschauen. Von diesem Standpunkte aus betrachtet ist Karolitte von Wolzogen, Schillers Freundin, besonders interessant. Sie steht auf demselben Grnnde des Denkens und Fühlens wie Frau von Stein, sie darbt in unerfüllter Sehnsucht, siegt, fehlt und büßt wie diese, aber ihr ganzes Wesen steht ein wenig tiefer im Schatten. Nicht infolge mangelnder Begabung. Karolinens Genialität war glänzender, produktiver, umfassender und mehr in die Weite wirkend als die Charlottens, aber es fehlte ihr die Klarheit des Denkens und die Festigkeit des Wollens, die Goethes Freundin auszeichnete. Man hat sie nicht in dem Ver¬ dachte, daß sie die schönste Perle aus der Krone ihrer Weiblichkeit verloren habe, aber sie selbst war auch nicht, so wie die Stein in Weimar, die Perle eines ganzen Gesellschaftskreises. Nie kam sie zur Ruhe, weder innerlich )ivch äußerlich, weder in der Freude noch im Schmerze. Unstet eilt sie hierhin und dorthin, taucht bald hier, bald dort auf, bis sie endlich, nach schweren Schick¬ salsschlägen, als ein entblätterter und entästeter Stamm einsame poetische Herbst¬ blüten treibt. Mehr noch als die Stein, zog die Lebensmüde im Alter mit religiöser Resignation die schöne Vergangenheit in eine ungeduldige Sehnsucht nach dem Jenseits zusammen. Aber sie hatte auch durch fromme Ergebung eine größere Summe von Verirrungen aufzuwiegen als die dem Einen und Einzigen getreue Weimarer Freundin. Karolinens Wiege stand im Umkreise des Rudolstädter Hofes. An diesem war ihre Familie, die von Lengefeld, hochgeschätzt und aufrichtig geliebt. Ihr Vater, fürstlicher Oberlandjägermeister, verdiente das Vertrauen vollkommen, welches sein Herr auf ihn setzte. Er war ein Mann von Geist und Herz und in seinem Fache so tüchtig, daß ihm Friedrich der Große 6000 Reichsthaler Gehalt bot, wenn er in seine Dienste treten wollte; aber er blieb, weil ihn sein Fürst Johann Friedrich darum bat. Ihre Mutter, eine Geborne von Wurmb, umfaßte mit der ihr eignenZMilde/ Güte und Frömmigkeit ihre Familie und die fürstliche dazu. Kein Opfer war ihr zu schwer, kein Vorurteil band ihr edles Gemüt. Ihr Gemahl starb, als die Kinder, Karoline und Charlotte, Grmzvoten I, 1387. 07

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/537
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/537>, abgerufen am 22.12.2024.