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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichtcrfreundinnon.

noch unerzogen und unversorgt waren; zwölf Jahre nach seinem Tode wurde
sie in Rudolstndt Erzieherin der Prinzessinnen Luise und Karolitte, später Ober-
hofmeisterin, und sie blieb bis zu ihrem Tode in inniger Beziehung zu dem
Hofe, der ihr ans Herz gewachsen war.

Wie die meisten kleinen Höfe Deutschlands war auch der Nudolstädter
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr einfach in allen seinen
Lebensbedürfnissen, aber dabei gesellig und empfänglich für Bildung. Die
Männer liebten die Jagd nebst einem tüchtigen Trunke und machten im übrigen
selten einen andern geistigen Anspruch als den der Biederkeit in Wort und
That; aber die Frauen pflegten ruhig und stetig die feineren Gefühle der leut¬
seligen Freundschaft, der echt menschliche" Teilnahme an allem Großen und
Schönen und, wenn es Not that, auch der opferfreudigen Vaterlandsliebe.
Gern schoben sie die steife Etikette beiseite, um der Sprache ihres Herzens
in der Familie und im Freundeskreise Raum zu schaffen. Sie bildeten mit¬
einander die holde Schar liebenswürdiger Gestalten, aus deren Mitte die
Königin Luise von Preußen zu idealer weltgeschichtlicher Bedeutung emporstieg.
Die Nudolstädter Fürstinnen und Prinzessinnen gehörten zu diesen Auserwählten.
Schon im siebzehnten Jahrhundert begegnen wir unter den Gräfinnen von
Schwarzburg-Rudolstadt einer tief gemütvollen Dichterin geistlicher Lieder,
Ämilia Juliana (geht. 1706). Von den fürstlichen Damen, die der Familie von
Lengefeld nahe standen, zeichneten sich mehrere durch Kunstsinn und Herzensgüte
aus. Vor allem Karoline, die Gemahlin des Erbprinzen Ludwig Friedrich
(der 1793 zur Regierung kam und 1807 starb). Aus ihren Briefen spricht ein
feingebildeter Geist und ein Charakter, der außerordentlich wohlthut. Wie
herrlich setzt sie der Frau von Schiller auseinander, daß sie nie in eine Ver¬
mählung der Prinzessin Karoline, ihrer Schwägerin, mit dem Großfürsten
Nikolaus von Nußland willigen werde, solange Religionswechsel die erste Be¬
dingung sei! Sie reist nach Italien und bringt Kunstwerke mit, die Goethes
Bewunderung erregen, sie umgiebt sich mit Engländern, um dem Hofe ein be¬
lebendes Element zuzuführen, dabei plaudert sie traulich einfach und doch fürstlich
mild mit allen, die ihrem Herzen nahe stehen. Auch die Prinzessin Karoline,
später (seit 1799) die Gemahlin des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen,
gehörte zu den kenntnisreichsten, feinfühlendsten und liebenswürdigsten der fürst¬
lichen Frauen jener Zeit. Sie und ihre Schwester Luise, die sich 1796 mit
dem Prinzen Konstantin von Hessen-Philippsthal vermählte, standen außerdem
als Pflegebefohlene der Frau von Lcngefeld mit der Familie derselben in naher
Verbindung. Und das Beispiel der Frauen regte auch die Männer an, einen
freundschaftlichen Verkehr mit dem Lengefeldschen Hause zu suchen. Der Erb¬
prinz selbst und sein Bruder Karl waren den Schwestern für jede geistige An¬
regung dankbar.

Dies war der Hof, an dem Karoline von Wolzogen ihre Jngend verlebte,


Dichtcrfreundinnon.

noch unerzogen und unversorgt waren; zwölf Jahre nach seinem Tode wurde
sie in Rudolstndt Erzieherin der Prinzessinnen Luise und Karolitte, später Ober-
hofmeisterin, und sie blieb bis zu ihrem Tode in inniger Beziehung zu dem
Hofe, der ihr ans Herz gewachsen war.

Wie die meisten kleinen Höfe Deutschlands war auch der Nudolstädter
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr einfach in allen seinen
Lebensbedürfnissen, aber dabei gesellig und empfänglich für Bildung. Die
Männer liebten die Jagd nebst einem tüchtigen Trunke und machten im übrigen
selten einen andern geistigen Anspruch als den der Biederkeit in Wort und
That; aber die Frauen pflegten ruhig und stetig die feineren Gefühle der leut¬
seligen Freundschaft, der echt menschliche» Teilnahme an allem Großen und
Schönen und, wenn es Not that, auch der opferfreudigen Vaterlandsliebe.
Gern schoben sie die steife Etikette beiseite, um der Sprache ihres Herzens
in der Familie und im Freundeskreise Raum zu schaffen. Sie bildeten mit¬
einander die holde Schar liebenswürdiger Gestalten, aus deren Mitte die
Königin Luise von Preußen zu idealer weltgeschichtlicher Bedeutung emporstieg.
Die Nudolstädter Fürstinnen und Prinzessinnen gehörten zu diesen Auserwählten.
Schon im siebzehnten Jahrhundert begegnen wir unter den Gräfinnen von
Schwarzburg-Rudolstadt einer tief gemütvollen Dichterin geistlicher Lieder,
Ämilia Juliana (geht. 1706). Von den fürstlichen Damen, die der Familie von
Lengefeld nahe standen, zeichneten sich mehrere durch Kunstsinn und Herzensgüte
aus. Vor allem Karoline, die Gemahlin des Erbprinzen Ludwig Friedrich
(der 1793 zur Regierung kam und 1807 starb). Aus ihren Briefen spricht ein
feingebildeter Geist und ein Charakter, der außerordentlich wohlthut. Wie
herrlich setzt sie der Frau von Schiller auseinander, daß sie nie in eine Ver¬
mählung der Prinzessin Karoline, ihrer Schwägerin, mit dem Großfürsten
Nikolaus von Nußland willigen werde, solange Religionswechsel die erste Be¬
dingung sei! Sie reist nach Italien und bringt Kunstwerke mit, die Goethes
Bewunderung erregen, sie umgiebt sich mit Engländern, um dem Hofe ein be¬
lebendes Element zuzuführen, dabei plaudert sie traulich einfach und doch fürstlich
mild mit allen, die ihrem Herzen nahe stehen. Auch die Prinzessin Karoline,
später (seit 1799) die Gemahlin des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen,
gehörte zu den kenntnisreichsten, feinfühlendsten und liebenswürdigsten der fürst¬
lichen Frauen jener Zeit. Sie und ihre Schwester Luise, die sich 1796 mit
dem Prinzen Konstantin von Hessen-Philippsthal vermählte, standen außerdem
als Pflegebefohlene der Frau von Lcngefeld mit der Familie derselben in naher
Verbindung. Und das Beispiel der Frauen regte auch die Männer an, einen
freundschaftlichen Verkehr mit dem Lengefeldschen Hause zu suchen. Der Erb¬
prinz selbst und sein Bruder Karl waren den Schwestern für jede geistige An¬
regung dankbar.

Dies war der Hof, an dem Karoline von Wolzogen ihre Jngend verlebte,


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[0538] Dichtcrfreundinnon. noch unerzogen und unversorgt waren; zwölf Jahre nach seinem Tode wurde sie in Rudolstndt Erzieherin der Prinzessinnen Luise und Karolitte, später Ober- hofmeisterin, und sie blieb bis zu ihrem Tode in inniger Beziehung zu dem Hofe, der ihr ans Herz gewachsen war. Wie die meisten kleinen Höfe Deutschlands war auch der Nudolstädter in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sehr einfach in allen seinen Lebensbedürfnissen, aber dabei gesellig und empfänglich für Bildung. Die Männer liebten die Jagd nebst einem tüchtigen Trunke und machten im übrigen selten einen andern geistigen Anspruch als den der Biederkeit in Wort und That; aber die Frauen pflegten ruhig und stetig die feineren Gefühle der leut¬ seligen Freundschaft, der echt menschliche» Teilnahme an allem Großen und Schönen und, wenn es Not that, auch der opferfreudigen Vaterlandsliebe. Gern schoben sie die steife Etikette beiseite, um der Sprache ihres Herzens in der Familie und im Freundeskreise Raum zu schaffen. Sie bildeten mit¬ einander die holde Schar liebenswürdiger Gestalten, aus deren Mitte die Königin Luise von Preußen zu idealer weltgeschichtlicher Bedeutung emporstieg. Die Nudolstädter Fürstinnen und Prinzessinnen gehörten zu diesen Auserwählten. Schon im siebzehnten Jahrhundert begegnen wir unter den Gräfinnen von Schwarzburg-Rudolstadt einer tief gemütvollen Dichterin geistlicher Lieder, Ämilia Juliana (geht. 1706). Von den fürstlichen Damen, die der Familie von Lengefeld nahe standen, zeichneten sich mehrere durch Kunstsinn und Herzensgüte aus. Vor allem Karoline, die Gemahlin des Erbprinzen Ludwig Friedrich (der 1793 zur Regierung kam und 1807 starb). Aus ihren Briefen spricht ein feingebildeter Geist und ein Charakter, der außerordentlich wohlthut. Wie herrlich setzt sie der Frau von Schiller auseinander, daß sie nie in eine Ver¬ mählung der Prinzessin Karoline, ihrer Schwägerin, mit dem Großfürsten Nikolaus von Nußland willigen werde, solange Religionswechsel die erste Be¬ dingung sei! Sie reist nach Italien und bringt Kunstwerke mit, die Goethes Bewunderung erregen, sie umgiebt sich mit Engländern, um dem Hofe ein be¬ lebendes Element zuzuführen, dabei plaudert sie traulich einfach und doch fürstlich mild mit allen, die ihrem Herzen nahe stehen. Auch die Prinzessin Karoline, später (seit 1799) die Gemahlin des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen, gehörte zu den kenntnisreichsten, feinfühlendsten und liebenswürdigsten der fürst¬ lichen Frauen jener Zeit. Sie und ihre Schwester Luise, die sich 1796 mit dem Prinzen Konstantin von Hessen-Philippsthal vermählte, standen außerdem als Pflegebefohlene der Frau von Lcngefeld mit der Familie derselben in naher Verbindung. Und das Beispiel der Frauen regte auch die Männer an, einen freundschaftlichen Verkehr mit dem Lengefeldschen Hause zu suchen. Der Erb¬ prinz selbst und sein Bruder Karl waren den Schwestern für jede geistige An¬ regung dankbar. Dies war der Hof, an dem Karoline von Wolzogen ihre Jngend verlebte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/538>, abgerufen am 22.12.2024.