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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnorungon.

an den alten Kreuzen, die noch dazu in ihren Angeln in allen möglichen Ton¬
arten kreischten und quiekten.

Das gab nun in windigen Nächten, wenn die Lallte des Tageslcbens ver¬
stummt waren, eine unheimliche Musik, die ein schlummerlos daliegendes Kind
wohl ängstigen konnte. schwieg aber zeitweilig der Wind, dann traf der regel¬
mäßige Pendelschlag der Turmuhr mein Ohr und zwang mich, die langsamen,
metallischdröhnenden Schwingungen desselben zu zählen. Ab und zu stieß auch
ein Käuzchen, deren mehrere im Turme nisteten, einen lauten Schrei aus, der
mich erschreckte und ganz unter die Bettdecke scheuchte. Mit einem Worte: ich
führte gerade in dem zarten Alter, wo Kinder ihr schuldloses Auge eigentlich
immer nur seligkeittrunken zum Himmel aufschlagen oder zu süßem, erquickendem
Schlummer schließen sollen, ein durchaus uicht beneidenswertes Leben. Die
Schrecken jener traurigen Nächte haben sich denn auch meinem Gedächtnis un¬
auslöschlich eingeprägt.

Unsre Pflegerin, die auch das Schlafzimmer mit uns Geschwistern teilte,
war eine sehr treue, zuverlässige, uns und den Eltern in hohem Grade ergebene
Person. Unter ihrer Aufsicht waren wir wohl geborgen, und wir hegten daher
auch große Anhänglichkeit an sie. Überwältigten mich Angst und Furcht in der
Nacht gar zu sehr, so rief ich diese Helferin in der Not, die sich dann auch
willig an mein Bett setzte und unverdrossen mit mir wachte. Nur gehörte sie
leider nicht zu den starken Geistern, sondern war von der Atmosphäre des
Aberglaubens, welche über Land und Leuten schwebte, wie mit einem Dunst¬
mantel umgeben. Um mich zu unterhalten oder durch ihre Erzählungen ein¬
zuschläfern, kramte sie Geschichten aus ihrem und ihrer Eltern Leben aus, die
alle ohne Ausnahme einen Anflug des Wundersamen, Übernatürlichen und Ge¬
spenstischen hatten. Ich kam also, wie ich es auch anfangen mochte, aus der
Luft des Aberglaubens uicht heraus, und da ich, wie bemerkt, von Natur zu
Visionen hinneigte, so vertrieben mir diese Nachtnnterhaltnngen der gutmütigen
Kindermagd, die sich garnichts dabei dachte, sondern sich Wohl nur selbst ein
Genüge damit that, zwar die Zeit, füllten mir aber den Kopf mit lauter
wunderbaren Geschichten, an die ich fest glaubte. sagenhafte Erzählungen
knüpften sich an Orte, welche dem Pastorat ganz nahe lagen; selbst der Kirch¬
hof, am Tage uns der liebste Spielplatz, war nicht frei davon, wir hüteten uns
deshalb wohl, ihn nach Dunkelwerden zu betreten. Zwei Orte besonders be¬
zeichnete der Volksmund als solche, wo es nicht geheuer sein sollte, das Bahr¬
haus, das wir immer vor Augen hatten und wo der Totengräber seine Gerät¬
schaften mit den Totenbahren aufbewahrte, und ein verwilderter, mit hohen
Brennnesseln bewachsener Grabhügel dicht an der Kirchhofsmauer, fern von allen
übrigen Gräbern gelegen. In ersterem Hause sollten die Spaten von selbst
gegeneinander schlagen, wenn ein Todesfall bevorstehe, dies "Rühren des Grab¬
scheites" aber, wie man es nannte, dem Totengräber in seinem ziemlich entfernt


Jugenderinnorungon.

an den alten Kreuzen, die noch dazu in ihren Angeln in allen möglichen Ton¬
arten kreischten und quiekten.

Das gab nun in windigen Nächten, wenn die Lallte des Tageslcbens ver¬
stummt waren, eine unheimliche Musik, die ein schlummerlos daliegendes Kind
wohl ängstigen konnte. schwieg aber zeitweilig der Wind, dann traf der regel¬
mäßige Pendelschlag der Turmuhr mein Ohr und zwang mich, die langsamen,
metallischdröhnenden Schwingungen desselben zu zählen. Ab und zu stieß auch
ein Käuzchen, deren mehrere im Turme nisteten, einen lauten Schrei aus, der
mich erschreckte und ganz unter die Bettdecke scheuchte. Mit einem Worte: ich
führte gerade in dem zarten Alter, wo Kinder ihr schuldloses Auge eigentlich
immer nur seligkeittrunken zum Himmel aufschlagen oder zu süßem, erquickendem
Schlummer schließen sollen, ein durchaus uicht beneidenswertes Leben. Die
Schrecken jener traurigen Nächte haben sich denn auch meinem Gedächtnis un¬
auslöschlich eingeprägt.

Unsre Pflegerin, die auch das Schlafzimmer mit uns Geschwistern teilte,
war eine sehr treue, zuverlässige, uns und den Eltern in hohem Grade ergebene
Person. Unter ihrer Aufsicht waren wir wohl geborgen, und wir hegten daher
auch große Anhänglichkeit an sie. Überwältigten mich Angst und Furcht in der
Nacht gar zu sehr, so rief ich diese Helferin in der Not, die sich dann auch
willig an mein Bett setzte und unverdrossen mit mir wachte. Nur gehörte sie
leider nicht zu den starken Geistern, sondern war von der Atmosphäre des
Aberglaubens, welche über Land und Leuten schwebte, wie mit einem Dunst¬
mantel umgeben. Um mich zu unterhalten oder durch ihre Erzählungen ein¬
zuschläfern, kramte sie Geschichten aus ihrem und ihrer Eltern Leben aus, die
alle ohne Ausnahme einen Anflug des Wundersamen, Übernatürlichen und Ge¬
spenstischen hatten. Ich kam also, wie ich es auch anfangen mochte, aus der
Luft des Aberglaubens uicht heraus, und da ich, wie bemerkt, von Natur zu
Visionen hinneigte, so vertrieben mir diese Nachtnnterhaltnngen der gutmütigen
Kindermagd, die sich garnichts dabei dachte, sondern sich Wohl nur selbst ein
Genüge damit that, zwar die Zeit, füllten mir aber den Kopf mit lauter
wunderbaren Geschichten, an die ich fest glaubte. sagenhafte Erzählungen
knüpften sich an Orte, welche dem Pastorat ganz nahe lagen; selbst der Kirch¬
hof, am Tage uns der liebste Spielplatz, war nicht frei davon, wir hüteten uns
deshalb wohl, ihn nach Dunkelwerden zu betreten. Zwei Orte besonders be¬
zeichnete der Volksmund als solche, wo es nicht geheuer sein sollte, das Bahr¬
haus, das wir immer vor Augen hatten und wo der Totengräber seine Gerät¬
schaften mit den Totenbahren aufbewahrte, und ein verwilderter, mit hohen
Brennnesseln bewachsener Grabhügel dicht an der Kirchhofsmauer, fern von allen
übrigen Gräbern gelegen. In ersterem Hause sollten die Spaten von selbst
gegeneinander schlagen, wenn ein Todesfall bevorstehe, dies „Rühren des Grab¬
scheites" aber, wie man es nannte, dem Totengräber in seinem ziemlich entfernt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/500>, abgerufen am 23.12.2024.