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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Wahlen.

er Wahlkampf um das Septennat ist zu Ende, er war es schon
nach dem ersten Gange der Wähler zur Urne; denn die Stich-
und Nachwahlen konnten zwar die Stärke der Fraktionen im
neuen Reichstage noch etwas mehren oder mindern, aber nicht
die bereits am 21. Februar nach der Stimmeuzählung feststehende
Thatsache beseitigen, daß die bisherige Mehrheit sich in eine Minderheit ver¬
wandelt hat, die Militärvorlage der Regierung also sicher bewilligt werden wird.
Das Ergebnis war für uns wie für die Führer der verbündeten Parteien der
Opposition eine Überraschung, nur mit dem Unterschiede, daß wir ihm mit leisen
Zweifeln an dem Verstände der Mehrheit unsrer Wählerschaft, die Herren Richter
und Windthorst dagegen ihm mit fester Zuversicht auf den Unverstand und die
Leichtgläubigkeit derselben entgegengesehen hatten, der Sieg der Regierung folglich
für uns eine angenehme, für jene dagegen eine verdrießliche Überraschung war.
Das deutsche Volk war nach dem oft bewährten Rezepte, daß die gröbsten und
frechsten Lügen bei der Masse die besten Dienste thun, unerhört angelogen
worden, es bewies aber diesmal, daß es in seiner Mehrzahl seit der Kvnflitts-
zeit vor 1866 klüger geworden ist, und erweckte damit die Hoffnung, es werde
an der Erfahrung weiter lernen, die Wahrheit von ihrem Gegenteil zu unter¬
scheiden.

Recht von Herzen freuen wir nus, dies vorzüglich von den Wählern
Sachsens berichten zu können, die weit überwiegend kund gaben, daß sie sich
nicht mehr von der demokratischen Phrase beherrschen lassen, die 1848 in 20
von den 24 Wahlbezirken des Landes ihre Propheten in die Paulskirche sandte
und später, mit dem Unsinn des Kommunismus zusammengerührt, nicht bloß


Grenzboten I. 1887. 63


Nach den Wahlen.

er Wahlkampf um das Septennat ist zu Ende, er war es schon
nach dem ersten Gange der Wähler zur Urne; denn die Stich-
und Nachwahlen konnten zwar die Stärke der Fraktionen im
neuen Reichstage noch etwas mehren oder mindern, aber nicht
die bereits am 21. Februar nach der Stimmeuzählung feststehende
Thatsache beseitigen, daß die bisherige Mehrheit sich in eine Minderheit ver¬
wandelt hat, die Militärvorlage der Regierung also sicher bewilligt werden wird.
Das Ergebnis war für uns wie für die Führer der verbündeten Parteien der
Opposition eine Überraschung, nur mit dem Unterschiede, daß wir ihm mit leisen
Zweifeln an dem Verstände der Mehrheit unsrer Wählerschaft, die Herren Richter
und Windthorst dagegen ihm mit fester Zuversicht auf den Unverstand und die
Leichtgläubigkeit derselben entgegengesehen hatten, der Sieg der Regierung folglich
für uns eine angenehme, für jene dagegen eine verdrießliche Überraschung war.
Das deutsche Volk war nach dem oft bewährten Rezepte, daß die gröbsten und
frechsten Lügen bei der Masse die besten Dienste thun, unerhört angelogen
worden, es bewies aber diesmal, daß es in seiner Mehrzahl seit der Kvnflitts-
zeit vor 1866 klüger geworden ist, und erweckte damit die Hoffnung, es werde
an der Erfahrung weiter lernen, die Wahrheit von ihrem Gegenteil zu unter¬
scheiden.

Recht von Herzen freuen wir nus, dies vorzüglich von den Wählern
Sachsens berichten zu können, die weit überwiegend kund gaben, daß sie sich
nicht mehr von der demokratischen Phrase beherrschen lassen, die 1848 in 20
von den 24 Wahlbezirken des Landes ihre Propheten in die Paulskirche sandte
und später, mit dem Unsinn des Kommunismus zusammengerührt, nicht bloß


Grenzboten I. 1887. 63
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[0465] [Abbildung] Nach den Wahlen. er Wahlkampf um das Septennat ist zu Ende, er war es schon nach dem ersten Gange der Wähler zur Urne; denn die Stich- und Nachwahlen konnten zwar die Stärke der Fraktionen im neuen Reichstage noch etwas mehren oder mindern, aber nicht die bereits am 21. Februar nach der Stimmeuzählung feststehende Thatsache beseitigen, daß die bisherige Mehrheit sich in eine Minderheit ver¬ wandelt hat, die Militärvorlage der Regierung also sicher bewilligt werden wird. Das Ergebnis war für uns wie für die Führer der verbündeten Parteien der Opposition eine Überraschung, nur mit dem Unterschiede, daß wir ihm mit leisen Zweifeln an dem Verstände der Mehrheit unsrer Wählerschaft, die Herren Richter und Windthorst dagegen ihm mit fester Zuversicht auf den Unverstand und die Leichtgläubigkeit derselben entgegengesehen hatten, der Sieg der Regierung folglich für uns eine angenehme, für jene dagegen eine verdrießliche Überraschung war. Das deutsche Volk war nach dem oft bewährten Rezepte, daß die gröbsten und frechsten Lügen bei der Masse die besten Dienste thun, unerhört angelogen worden, es bewies aber diesmal, daß es in seiner Mehrzahl seit der Kvnflitts- zeit vor 1866 klüger geworden ist, und erweckte damit die Hoffnung, es werde an der Erfahrung weiter lernen, die Wahrheit von ihrem Gegenteil zu unter¬ scheiden. Recht von Herzen freuen wir nus, dies vorzüglich von den Wählern Sachsens berichten zu können, die weit überwiegend kund gaben, daß sie sich nicht mehr von der demokratischen Phrase beherrschen lassen, die 1848 in 20 von den 24 Wahlbezirken des Landes ihre Propheten in die Paulskirche sandte und später, mit dem Unsinn des Kommunismus zusammengerührt, nicht bloß Grenzboten I. 1887. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/465>, abgerufen am 22.12.2024.