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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Paul Heyses Roman der Stiftsdame.

in das frivole Treiben der vagirenden Schauspieler finden können. Es blieb
immer eine tiefe Kluft zwischen der Direktorin, der man den Titel der
Stiftsdame beigelegt hatte, und dem leichten Theatervöllleiu. Das schlimmste
aber war, daß ihre Verehrung Spiclbergs sich als auf einer unglückseligen
Illusion beruhend erwies. Ihr Gatte war im Leben nichts als ein wider¬
wärtiger, großmäuliger Komödiant. schmeichelte ihm anfänglich die Liebe des
hochadlichen Stiftsfrüuleins, so wurde ihm ihre strenge Gesinnung nachgerade
eine Last. Selbst die Verdienste, die sie sich durch eine kluge Ökonomie um
den Bestand seiner Unternehmungen erwarb, wurden ihm durch ihre Überlegen¬
heit verleidet. Hesse schildert hier sehr anziehend das Treiben dieser wandernden
Komödianten, und besonders gelungen ist ihm die Gestalt des auf sein Genie
pochenden Direktors. Ju all dem Unglück hatte Luise an dem einzigen Kinde
ihrer verhängnisvollen Ehe den letzten Haltepunkt. Sie liebte diesen Knaben
abgöttisch. Als Johannes zu ihr nach den langen Jahren der Trennung kam,
gewann er ihre Freundschaft erst wieder durch die Zärtlichkeit, die er für den
Knaben bekundete.

Imi weiteren Verlaufe der Erzählung fügt es sich, daß Johannes als
uubesoldeter "Dramaturg" oder besser als "Mädchen für alles" bei der Truppe
bleibt; er lebt von seinen Ersparnissen. Das unüberlegte Opfer seiner gauzeu
Existenz galt der verschwiegen angebeteten Stiftsdame. Sie aber war ent¬
schlossen, das Kreuz, welches sie freiwillig auf sich genommen hatte, bis ans
Ende zu tragen. Selbst als der Tod des Kindes das allerletzte Band zwischen
den beiden unglücklichen Gatten zerriß, hielt Luise aus, bis Spielbcrg sie dnrch
einen brutalen Komödiantenspaß tötlich beleidigte und unmittelbar darauf mit
einer flotten Dame seiner Gesellschaft durchging. In dieser äußersten Not, wo
es auch galt, fremden Menschen zu helfen, sang Luise zum erstenmale in einem
zu Gunsten ihrer Truppe veranstalteten öffentlichen Konzert. Auch Johannes
war aller Unterhaltsmittel entblößt. Die geliebte Frau wollte aber nichts von
einer Verbindung mit ihm wissen und verließ ihn fluchtartig, ohne ihm ihre
Pläne zu verraten. Johannes kehrte in seine Gcbnrtsstndt zurück und fand
dort ein bescheidenes Unterkommen als Gesanglehrer, bis er nach dem wieder¬
erworbenen Vertrauen seiner Mitbürger in die Oberlehrerstellung der Anstalt
ausrückte.

Und wieder vergingen viele Jahre, vielleicht mehr als zehn. Johannes
hatte sich auch diesmal bescheiden in sein Schicksal gefügt. Die Mußezeit seines
Lehramtes bot ihm hinreichend Gelegenheit zu eigner Fortbildung; er war es zu¬
frieden, ein alter Junggeselle zu bleiben und die Erinnerung an die einst und immer
noch selbstlos geliebte schone Stiftsdame still zu pflegen. Da fand er sie eines
schönen Tages im eignen Städtchen: sie lag im Spielet, war übrigens schon auf
dem Wege der Genesung, und sie selbst ließ deu alten Freund zu sich rufen. Nach
jenem Zusammenbruch ihrer Truppe war Luise nach Berlin geeilt, hatte sich


Paul Heyses Roman der Stiftsdame.

in das frivole Treiben der vagirenden Schauspieler finden können. Es blieb
immer eine tiefe Kluft zwischen der Direktorin, der man den Titel der
Stiftsdame beigelegt hatte, und dem leichten Theatervöllleiu. Das schlimmste
aber war, daß ihre Verehrung Spiclbergs sich als auf einer unglückseligen
Illusion beruhend erwies. Ihr Gatte war im Leben nichts als ein wider¬
wärtiger, großmäuliger Komödiant. schmeichelte ihm anfänglich die Liebe des
hochadlichen Stiftsfrüuleins, so wurde ihm ihre strenge Gesinnung nachgerade
eine Last. Selbst die Verdienste, die sie sich durch eine kluge Ökonomie um
den Bestand seiner Unternehmungen erwarb, wurden ihm durch ihre Überlegen¬
heit verleidet. Hesse schildert hier sehr anziehend das Treiben dieser wandernden
Komödianten, und besonders gelungen ist ihm die Gestalt des auf sein Genie
pochenden Direktors. Ju all dem Unglück hatte Luise an dem einzigen Kinde
ihrer verhängnisvollen Ehe den letzten Haltepunkt. Sie liebte diesen Knaben
abgöttisch. Als Johannes zu ihr nach den langen Jahren der Trennung kam,
gewann er ihre Freundschaft erst wieder durch die Zärtlichkeit, die er für den
Knaben bekundete.

Imi weiteren Verlaufe der Erzählung fügt es sich, daß Johannes als
uubesoldeter „Dramaturg" oder besser als „Mädchen für alles" bei der Truppe
bleibt; er lebt von seinen Ersparnissen. Das unüberlegte Opfer seiner gauzeu
Existenz galt der verschwiegen angebeteten Stiftsdame. Sie aber war ent¬
schlossen, das Kreuz, welches sie freiwillig auf sich genommen hatte, bis ans
Ende zu tragen. Selbst als der Tod des Kindes das allerletzte Band zwischen
den beiden unglücklichen Gatten zerriß, hielt Luise aus, bis Spielbcrg sie dnrch
einen brutalen Komödiantenspaß tötlich beleidigte und unmittelbar darauf mit
einer flotten Dame seiner Gesellschaft durchging. In dieser äußersten Not, wo
es auch galt, fremden Menschen zu helfen, sang Luise zum erstenmale in einem
zu Gunsten ihrer Truppe veranstalteten öffentlichen Konzert. Auch Johannes
war aller Unterhaltsmittel entblößt. Die geliebte Frau wollte aber nichts von
einer Verbindung mit ihm wissen und verließ ihn fluchtartig, ohne ihm ihre
Pläne zu verraten. Johannes kehrte in seine Gcbnrtsstndt zurück und fand
dort ein bescheidenes Unterkommen als Gesanglehrer, bis er nach dem wieder¬
erworbenen Vertrauen seiner Mitbürger in die Oberlehrerstellung der Anstalt
ausrückte.

Und wieder vergingen viele Jahre, vielleicht mehr als zehn. Johannes
hatte sich auch diesmal bescheiden in sein Schicksal gefügt. Die Mußezeit seines
Lehramtes bot ihm hinreichend Gelegenheit zu eigner Fortbildung; er war es zu¬
frieden, ein alter Junggeselle zu bleiben und die Erinnerung an die einst und immer
noch selbstlos geliebte schone Stiftsdame still zu pflegen. Da fand er sie eines
schönen Tages im eignen Städtchen: sie lag im Spielet, war übrigens schon auf
dem Wege der Genesung, und sie selbst ließ deu alten Freund zu sich rufen. Nach
jenem Zusammenbruch ihrer Truppe war Luise nach Berlin geeilt, hatte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/440>, abgerufen am 22.07.2024.