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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Paul Hoyscs Roman der Stiftsdame.

Kuß darauf. Dann sagte sie mit lauter, aber von innerer Empörung bebender
Stimme: Vergeben Sie diesem armen Menschen, er weiß nicht, was er thut.
Und nun schütteln Sie den Staub dieses Hauses von Ihren Schuhen. Sie
werden noch von mir hören."

Und sie hielt ihr Wort. Denn nach diesem Auftritte war natürlich ihres
Bleibens im Schlosse nicht mehr. Sie entfernte sich heimlich von den Ihrigen,
nicht ohne zuvor den guten Johannes zum unbewußten Beförderer ihres Planes
gemacht zu haben. Sie eilte der Schauspielertruppe nach, zu Konstantin Spielberg,
der sich mit Freuden dem schönen Stiftsfräulein antrauen ließ. Baron Ansatz
mußte aus Familienrücksichten von einer öffentlichen Verfolgung der Entflohenen
abstehen; sie blieb anch ferner unbehelligt. So entstand die in echt Hessische
Ironie getauchte Geschichte, daß eine Pietistin einem Schauspieler nachläuft;
Hesse hat aber diese Ironie kaum betont. Auch Herr Johannes verließ bald
das Schloß; er infolge eines frivolen Jntriguenspieles, das man mit ihm spielte,
und das wir hier übergehen können. Nach einiger unfreiwilligen Muße in
Berlin, wo der einst überfromme der neuen Theaterleidenschaft huldigte, literarische
Studien trieb, ja sich sogar mit der Abfassung einer Tragödie "Julian der
-Apostat" beschäftigte, ging er auf eine neue Hofmeisterstelle in der Provinz.
Er traf es da glücklich, er war mit seinem Prinzipal und seinen Schülern, und
diese waren mit ihm zufrieden. Im Verkehr mit dem freisinnigen Pastor des
Ortes wurde Johannes in die Schriften der Tübinger Schule eingeführt und befand
sich ganz wohl dabei. Aber mit seinem theologischen Berufe war er innerlich
zerfallen; eine Gelegenheit, gut zu heirate", mit der Aussicht auf ein baldiges
Pastorat, ließ er unbenutzt vorübergehen. Sein Herz hing unwandelbar an der
einen, die ihn wenig glimpflich behandelt hatte, und zu der er aufschauen mußte.
Die Hoffnung, dieser Einzigen noch wieder zu begegnen, gab er indessen nie
auf. Er behielt immer in Erinnerung, was Onkel Joachim zu ihm kurz nach
der Flucht des Stiftsfräuleins in seinem geliebten Platt gesagt hatte: "Kopp
in die Höh', un nich gestemmt, min Fründ! Wir können das nun einmal nicht
ändern, so lassen wir's schlendern. Das aber müssen wir uns immer vorsagen:
Was so eine, wie die, auch einmal Dummes thun mag, unterkriegen läßt sie
sich darum nicht, sie kann einmal die richtige Fährte verlieren wie Diana, aber
sie findet sie schon wieder, davor ist mir nicht bange. Und wenn sie eine harte
Schule durchzumachen hat, das Lehrgeld ist nicht an ihr verloren."

Und diese Schule war denn anch hart. Als Johannes die Geliebte nach
mehreren Jahren wiederfand -- die Schauspielertruppe Spiclbcrgs war in die
seinem Aufenthaltsorte nächstgelegene Kreisstadt gekommen, und der Hofmeister
war spornstreichs hingeeilt und hatte much bald seine Stelle dem ersten besten
sich bietenden Kollegen überlassen --, da war Luise sehr unglücklich. Sie hatte
sich nicht entschließen können, selbst Schauspielerin zu werden, trotz ihrer kunst-
geübten Singstimme, aber noch weniger hatte sie sich mit ihrer reinen Seele


Paul Hoyscs Roman der Stiftsdame.

Kuß darauf. Dann sagte sie mit lauter, aber von innerer Empörung bebender
Stimme: Vergeben Sie diesem armen Menschen, er weiß nicht, was er thut.
Und nun schütteln Sie den Staub dieses Hauses von Ihren Schuhen. Sie
werden noch von mir hören."

Und sie hielt ihr Wort. Denn nach diesem Auftritte war natürlich ihres
Bleibens im Schlosse nicht mehr. Sie entfernte sich heimlich von den Ihrigen,
nicht ohne zuvor den guten Johannes zum unbewußten Beförderer ihres Planes
gemacht zu haben. Sie eilte der Schauspielertruppe nach, zu Konstantin Spielberg,
der sich mit Freuden dem schönen Stiftsfräulein antrauen ließ. Baron Ansatz
mußte aus Familienrücksichten von einer öffentlichen Verfolgung der Entflohenen
abstehen; sie blieb anch ferner unbehelligt. So entstand die in echt Hessische
Ironie getauchte Geschichte, daß eine Pietistin einem Schauspieler nachläuft;
Hesse hat aber diese Ironie kaum betont. Auch Herr Johannes verließ bald
das Schloß; er infolge eines frivolen Jntriguenspieles, das man mit ihm spielte,
und das wir hier übergehen können. Nach einiger unfreiwilligen Muße in
Berlin, wo der einst überfromme der neuen Theaterleidenschaft huldigte, literarische
Studien trieb, ja sich sogar mit der Abfassung einer Tragödie „Julian der
-Apostat" beschäftigte, ging er auf eine neue Hofmeisterstelle in der Provinz.
Er traf es da glücklich, er war mit seinem Prinzipal und seinen Schülern, und
diese waren mit ihm zufrieden. Im Verkehr mit dem freisinnigen Pastor des
Ortes wurde Johannes in die Schriften der Tübinger Schule eingeführt und befand
sich ganz wohl dabei. Aber mit seinem theologischen Berufe war er innerlich
zerfallen; eine Gelegenheit, gut zu heirate», mit der Aussicht auf ein baldiges
Pastorat, ließ er unbenutzt vorübergehen. Sein Herz hing unwandelbar an der
einen, die ihn wenig glimpflich behandelt hatte, und zu der er aufschauen mußte.
Die Hoffnung, dieser Einzigen noch wieder zu begegnen, gab er indessen nie
auf. Er behielt immer in Erinnerung, was Onkel Joachim zu ihm kurz nach
der Flucht des Stiftsfräuleins in seinem geliebten Platt gesagt hatte: „Kopp
in die Höh', un nich gestemmt, min Fründ! Wir können das nun einmal nicht
ändern, so lassen wir's schlendern. Das aber müssen wir uns immer vorsagen:
Was so eine, wie die, auch einmal Dummes thun mag, unterkriegen läßt sie
sich darum nicht, sie kann einmal die richtige Fährte verlieren wie Diana, aber
sie findet sie schon wieder, davor ist mir nicht bange. Und wenn sie eine harte
Schule durchzumachen hat, das Lehrgeld ist nicht an ihr verloren."

Und diese Schule war denn anch hart. Als Johannes die Geliebte nach
mehreren Jahren wiederfand — die Schauspielertruppe Spiclbcrgs war in die
seinem Aufenthaltsorte nächstgelegene Kreisstadt gekommen, und der Hofmeister
war spornstreichs hingeeilt und hatte much bald seine Stelle dem ersten besten
sich bietenden Kollegen überlassen —, da war Luise sehr unglücklich. Sie hatte
sich nicht entschließen können, selbst Schauspielerin zu werden, trotz ihrer kunst-
geübten Singstimme, aber noch weniger hatte sie sich mit ihrer reinen Seele


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[0439] Paul Hoyscs Roman der Stiftsdame. Kuß darauf. Dann sagte sie mit lauter, aber von innerer Empörung bebender Stimme: Vergeben Sie diesem armen Menschen, er weiß nicht, was er thut. Und nun schütteln Sie den Staub dieses Hauses von Ihren Schuhen. Sie werden noch von mir hören." Und sie hielt ihr Wort. Denn nach diesem Auftritte war natürlich ihres Bleibens im Schlosse nicht mehr. Sie entfernte sich heimlich von den Ihrigen, nicht ohne zuvor den guten Johannes zum unbewußten Beförderer ihres Planes gemacht zu haben. Sie eilte der Schauspielertruppe nach, zu Konstantin Spielberg, der sich mit Freuden dem schönen Stiftsfräulein antrauen ließ. Baron Ansatz mußte aus Familienrücksichten von einer öffentlichen Verfolgung der Entflohenen abstehen; sie blieb anch ferner unbehelligt. So entstand die in echt Hessische Ironie getauchte Geschichte, daß eine Pietistin einem Schauspieler nachläuft; Hesse hat aber diese Ironie kaum betont. Auch Herr Johannes verließ bald das Schloß; er infolge eines frivolen Jntriguenspieles, das man mit ihm spielte, und das wir hier übergehen können. Nach einiger unfreiwilligen Muße in Berlin, wo der einst überfromme der neuen Theaterleidenschaft huldigte, literarische Studien trieb, ja sich sogar mit der Abfassung einer Tragödie „Julian der -Apostat" beschäftigte, ging er auf eine neue Hofmeisterstelle in der Provinz. Er traf es da glücklich, er war mit seinem Prinzipal und seinen Schülern, und diese waren mit ihm zufrieden. Im Verkehr mit dem freisinnigen Pastor des Ortes wurde Johannes in die Schriften der Tübinger Schule eingeführt und befand sich ganz wohl dabei. Aber mit seinem theologischen Berufe war er innerlich zerfallen; eine Gelegenheit, gut zu heirate», mit der Aussicht auf ein baldiges Pastorat, ließ er unbenutzt vorübergehen. Sein Herz hing unwandelbar an der einen, die ihn wenig glimpflich behandelt hatte, und zu der er aufschauen mußte. Die Hoffnung, dieser Einzigen noch wieder zu begegnen, gab er indessen nie auf. Er behielt immer in Erinnerung, was Onkel Joachim zu ihm kurz nach der Flucht des Stiftsfräuleins in seinem geliebten Platt gesagt hatte: „Kopp in die Höh', un nich gestemmt, min Fründ! Wir können das nun einmal nicht ändern, so lassen wir's schlendern. Das aber müssen wir uns immer vorsagen: Was so eine, wie die, auch einmal Dummes thun mag, unterkriegen läßt sie sich darum nicht, sie kann einmal die richtige Fährte verlieren wie Diana, aber sie findet sie schon wieder, davor ist mir nicht bange. Und wenn sie eine harte Schule durchzumachen hat, das Lehrgeld ist nicht an ihr verloren." Und diese Schule war denn anch hart. Als Johannes die Geliebte nach mehreren Jahren wiederfand — die Schauspielertruppe Spiclbcrgs war in die seinem Aufenthaltsorte nächstgelegene Kreisstadt gekommen, und der Hofmeister war spornstreichs hingeeilt und hatte much bald seine Stelle dem ersten besten sich bietenden Kollegen überlassen —, da war Luise sehr unglücklich. Sie hatte sich nicht entschließen können, selbst Schauspielerin zu werden, trotz ihrer kunst- geübten Singstimme, aber noch weniger hatte sie sich mit ihrer reinen Seele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/439>, abgerufen am 22.07.2024.