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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Denkmäler.

Schild, die vornehmsten Attribute des antiken Kriegers -- als" die "Uniform"
im modernen Sinne -- genügten zu seiner Charakteristik. Der Philosoph, der
Rhetor, der Dichter mußte" dagegen bekleidet erscheinen, und diese Bekleidung
bot im Altertum bei der Beschränkung der Tracht auf wenige Stücke viel
weniger Mannichfaltigkeit als bei uns. Nachdem einmal jene Höhe in der Kunst
plastischer Drapirung erreicht war, wie sie uns der Sophokles des Lateran¬
museums und die herkulaueischcn Frauen in Dresden darstellen, bildete sich der
konventionelle Typus aus, welchen wir kurz und bündig in den Museums¬
katalogen als "Gewandstatue" bezeichnen, wenn wir den Namen des oder der
Pvrträtirlcu nicht kennen. Die Zahl solcher Gewandfiguren wächst mit dem
Verfall der plastischen Kunst, und während der byzantinischen und frühroiuauischen
Kunstperiode war das Gewand sogar bei Porträts das einzige Mittel der
Charakteristik, nachdem die Fähigkeit. Gesichtszüge zu individualisiren, verloren
gegangen war. Erst im germanischen Norden bildete sich das Gefühl für die
Notwendigkeit heraus, die starren Köpfe der auf Sarkophagen ausgestreckten
Kaiser und Könige, Fürsten, Bischöfe und Ritter, der Äbtissinnen und fürstlichen
Frauen zu beleben und mit individuellen Zügen auszustatten, welche anfangs
dem weiblichen Urbild noch nicht entsprachen. Dann gab es eine Art von
Übergangsperiode, in welcher die Frende an scharfer Charakteristik schnell empor¬
wuchs und die Behandlung des Kostüms wieder konventionell wurde, bis beide
Seiten allmählich ins Gleichgewicht kamen. Die Erzfiguren, welche in das
Grabmal Kaiser Maximilians in der Hofkirche zu Innsbruck gruppirt sind, be¬
zeichnen etwa den Höhepunkt dieses Ausgleichs. Zu demselben hatte aber schon
das Wiederaufleben der Nömerkunst wesentlich mitgeholfen. Die großen floren-
tinischen Bildhauer des fünfzehnten Jahrhunderts hatten ihre Zeitgenossen so
haarscharf in Marmor-, Erz- und Thvnbüsten porträtirt, daß nur wenige
Antiken neben Donatello, Mino da Fiesole, Desiderio da Settignano, Antonio
Rossellino u. a. aufkommen konnten. Es muß der Nachdruck darauf gelegt
werden, daß die großen Realisten des fünfzehnten Jahrhunderts die Statue, das
Denkmal in unserm Sinne -- zwei oder drei Reiterstatuen abgerechnet -- nicht
kannten. Den Lebenden genügte ein Brustbild seiner Persönlichkeit, der Tote
wurde in ganzer Figur auf den Deckel seines Sarkophags gelegt, weil es das
Herkommen, das in diesem Punkte sakral war, so verlangte. An den Büsten
sowohl wie an dem liegenden Grabfiguren ist die Gewandung das schwächste,
und zwar, wie wir annehmen müssen, mit Absicht das Schwächste. Künstler,
die jede Falte des menschlichen Antlitzes, jeden Reflex des geistigen Lebens so
scharf erfassen und wiedergeben konnten, hätten ein gleiches auch in Bezug auf die
Gewandung erreichen köunen, wenn sie es gewollt hätten. Aber sie vernach¬
lässigten mit Absicht die wenigen Gewandteile, welche bei einer Büste in Betracht
kommen, um dem Kopfe den Hauptanteil an der Wirkung zu lassen.

Das richtige Gefühl, welches diesem Prinzip zu Grunde lag, wurde sehr


Moderne Denkmäler.

Schild, die vornehmsten Attribute des antiken Kriegers — als» die „Uniform"
im modernen Sinne — genügten zu seiner Charakteristik. Der Philosoph, der
Rhetor, der Dichter mußte» dagegen bekleidet erscheinen, und diese Bekleidung
bot im Altertum bei der Beschränkung der Tracht auf wenige Stücke viel
weniger Mannichfaltigkeit als bei uns. Nachdem einmal jene Höhe in der Kunst
plastischer Drapirung erreicht war, wie sie uns der Sophokles des Lateran¬
museums und die herkulaueischcn Frauen in Dresden darstellen, bildete sich der
konventionelle Typus aus, welchen wir kurz und bündig in den Museums¬
katalogen als „Gewandstatue" bezeichnen, wenn wir den Namen des oder der
Pvrträtirlcu nicht kennen. Die Zahl solcher Gewandfiguren wächst mit dem
Verfall der plastischen Kunst, und während der byzantinischen und frühroiuauischen
Kunstperiode war das Gewand sogar bei Porträts das einzige Mittel der
Charakteristik, nachdem die Fähigkeit. Gesichtszüge zu individualisiren, verloren
gegangen war. Erst im germanischen Norden bildete sich das Gefühl für die
Notwendigkeit heraus, die starren Köpfe der auf Sarkophagen ausgestreckten
Kaiser und Könige, Fürsten, Bischöfe und Ritter, der Äbtissinnen und fürstlichen
Frauen zu beleben und mit individuellen Zügen auszustatten, welche anfangs
dem weiblichen Urbild noch nicht entsprachen. Dann gab es eine Art von
Übergangsperiode, in welcher die Frende an scharfer Charakteristik schnell empor¬
wuchs und die Behandlung des Kostüms wieder konventionell wurde, bis beide
Seiten allmählich ins Gleichgewicht kamen. Die Erzfiguren, welche in das
Grabmal Kaiser Maximilians in der Hofkirche zu Innsbruck gruppirt sind, be¬
zeichnen etwa den Höhepunkt dieses Ausgleichs. Zu demselben hatte aber schon
das Wiederaufleben der Nömerkunst wesentlich mitgeholfen. Die großen floren-
tinischen Bildhauer des fünfzehnten Jahrhunderts hatten ihre Zeitgenossen so
haarscharf in Marmor-, Erz- und Thvnbüsten porträtirt, daß nur wenige
Antiken neben Donatello, Mino da Fiesole, Desiderio da Settignano, Antonio
Rossellino u. a. aufkommen konnten. Es muß der Nachdruck darauf gelegt
werden, daß die großen Realisten des fünfzehnten Jahrhunderts die Statue, das
Denkmal in unserm Sinne — zwei oder drei Reiterstatuen abgerechnet — nicht
kannten. Den Lebenden genügte ein Brustbild seiner Persönlichkeit, der Tote
wurde in ganzer Figur auf den Deckel seines Sarkophags gelegt, weil es das
Herkommen, das in diesem Punkte sakral war, so verlangte. An den Büsten
sowohl wie an dem liegenden Grabfiguren ist die Gewandung das schwächste,
und zwar, wie wir annehmen müssen, mit Absicht das Schwächste. Künstler,
die jede Falte des menschlichen Antlitzes, jeden Reflex des geistigen Lebens so
scharf erfassen und wiedergeben konnten, hätten ein gleiches auch in Bezug auf die
Gewandung erreichen köunen, wenn sie es gewollt hätten. Aber sie vernach¬
lässigten mit Absicht die wenigen Gewandteile, welche bei einer Büste in Betracht
kommen, um dem Kopfe den Hauptanteil an der Wirkung zu lassen.

Das richtige Gefühl, welches diesem Prinzip zu Grunde lag, wurde sehr


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[0043] Moderne Denkmäler. Schild, die vornehmsten Attribute des antiken Kriegers — als» die „Uniform" im modernen Sinne — genügten zu seiner Charakteristik. Der Philosoph, der Rhetor, der Dichter mußte» dagegen bekleidet erscheinen, und diese Bekleidung bot im Altertum bei der Beschränkung der Tracht auf wenige Stücke viel weniger Mannichfaltigkeit als bei uns. Nachdem einmal jene Höhe in der Kunst plastischer Drapirung erreicht war, wie sie uns der Sophokles des Lateran¬ museums und die herkulaueischcn Frauen in Dresden darstellen, bildete sich der konventionelle Typus aus, welchen wir kurz und bündig in den Museums¬ katalogen als „Gewandstatue" bezeichnen, wenn wir den Namen des oder der Pvrträtirlcu nicht kennen. Die Zahl solcher Gewandfiguren wächst mit dem Verfall der plastischen Kunst, und während der byzantinischen und frühroiuauischen Kunstperiode war das Gewand sogar bei Porträts das einzige Mittel der Charakteristik, nachdem die Fähigkeit. Gesichtszüge zu individualisiren, verloren gegangen war. Erst im germanischen Norden bildete sich das Gefühl für die Notwendigkeit heraus, die starren Köpfe der auf Sarkophagen ausgestreckten Kaiser und Könige, Fürsten, Bischöfe und Ritter, der Äbtissinnen und fürstlichen Frauen zu beleben und mit individuellen Zügen auszustatten, welche anfangs dem weiblichen Urbild noch nicht entsprachen. Dann gab es eine Art von Übergangsperiode, in welcher die Frende an scharfer Charakteristik schnell empor¬ wuchs und die Behandlung des Kostüms wieder konventionell wurde, bis beide Seiten allmählich ins Gleichgewicht kamen. Die Erzfiguren, welche in das Grabmal Kaiser Maximilians in der Hofkirche zu Innsbruck gruppirt sind, be¬ zeichnen etwa den Höhepunkt dieses Ausgleichs. Zu demselben hatte aber schon das Wiederaufleben der Nömerkunst wesentlich mitgeholfen. Die großen floren- tinischen Bildhauer des fünfzehnten Jahrhunderts hatten ihre Zeitgenossen so haarscharf in Marmor-, Erz- und Thvnbüsten porträtirt, daß nur wenige Antiken neben Donatello, Mino da Fiesole, Desiderio da Settignano, Antonio Rossellino u. a. aufkommen konnten. Es muß der Nachdruck darauf gelegt werden, daß die großen Realisten des fünfzehnten Jahrhunderts die Statue, das Denkmal in unserm Sinne — zwei oder drei Reiterstatuen abgerechnet — nicht kannten. Den Lebenden genügte ein Brustbild seiner Persönlichkeit, der Tote wurde in ganzer Figur auf den Deckel seines Sarkophags gelegt, weil es das Herkommen, das in diesem Punkte sakral war, so verlangte. An den Büsten sowohl wie an dem liegenden Grabfiguren ist die Gewandung das schwächste, und zwar, wie wir annehmen müssen, mit Absicht das Schwächste. Künstler, die jede Falte des menschlichen Antlitzes, jeden Reflex des geistigen Lebens so scharf erfassen und wiedergeben konnten, hätten ein gleiches auch in Bezug auf die Gewandung erreichen köunen, wenn sie es gewollt hätten. Aber sie vernach¬ lässigten mit Absicht die wenigen Gewandteile, welche bei einer Büste in Betracht kommen, um dem Kopfe den Hauptanteil an der Wirkung zu lassen. Das richtige Gefühl, welches diesem Prinzip zu Grunde lag, wurde sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/43>, abgerufen am 01.07.2024.