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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Denkmäler.

sind Begriffe, die sich schlechterdings nicht plastisch versinnlichen lassen, wenn man
nicht in die allegorischen und emblematischen Greuel der Barock- und Zopfzeit
verfallen will. Einerj, und zwar ein Mann wie Siemering, hat sogar am
Eingänge eines von Säulen umgebenen Atrinms zwei Nelieftafeln aufgerichtet,
ans denen ein Ausspruch von Herder und das bekannte Wort Lessings von
dem unablässigen Streben nach Wahrheit durch unverständliche Handlungen von
Göttern und Menschen illustrirt sein sollen. In diesem Beiwerke offenbart sich
jedoch im allgemeinen, trotz mancher Verirrungen und Geschmacklosigkeiten im
einzelnen, eine ungleich größere schöpferische Kraft als in den Lessingsigureu,
von denen nur zwei oder drei den Genius annähernd charakterisiren, während
sich die Mehrzahl sogar bis in die Karrikatur verloren hat.

Soviel Idealismus steckt also immer noch in der deutschen Plastik, daß
rein poetische Aufgaben die Phantasie der Künstler mehr reizen und zu glück¬
lichern Schöpfungen befruchten als realistisch-historische. Sollte sich aus dieser
schon oft gemachten Erfahrung nicht mit Notwendigkeit ergeben, daß es hoch an
der Zeit sei, mit dem von der Antike abgeleiteten und durch Rauch und seine
Schule zur Norm erhobenen Denkmälertypus wenigstens für Dichter, Künstler
und Gelehrte zu brechen? Die Gegner einer solchen Forderung werden auf die
klassischen Muster des Altertums, auf die Statuen eines Sophokles, Demosthenes
und Äschines, auf die Sitzbilder eines Menander und Posidipp hinweisen.
Aber diese Figuren sind nicht öffentliche Denkmäler in unserm Sinne gewesen.
Sie dienten zum Schmuck der Bibliotheken und Gärten in den Villen vornehmer
und wohlhabender Römer, spielten also in dem mnrmorreichen Lande, in welchem
auch der Einzelne mehr Platz einnehmen konnte als in unsern modernen Städten,
die Rolle der Gipsabgüsse, mit denen wir unsre sentir- und Bücherzimmer
schmücken. Wenn wir die Zahl der auf uns gekommenen altgriechischen und
römischen Dichter-, Philosophen- und Geschichtschreiberstatuen mit der Zahl der
noch vorhandnen Hermen und Doppelhermen, die unsern Büsten entsprechen,
vergleichen, so ergiebt sich schon für das Altertum ein Verhältnis zwischen ganzen
Pvrträtfiguren und Köpfen oder Brustbildern, welches nicht allein durch Staats-
gesetze und Herkommen, sondern auch durch ein feines ästhetisches Gefühl herbei¬
geführt worden ist. Mag auch einerseits der demokratische Neid der griechischen
Republiken und anderseits der autokratische Wille der römischen Cäsaren die
"Ehre der Statue" zu einem Vorrecht für wenige, ganz bevorzugte Persönlich¬
keiten gemacht haben, mögen also vorwiegend äußere Gründe auf die numerische
Beschränkung von Standbildern eingewirkt haben, so läßt sich nicht verkennen,
daß die Griechen, welche doch die Typen schufen, nach denen die römischen
Bildhauer bis in die späteste Zeit arbeiteten, auch bereits den Zwang des
Kostüms unangenehm empfunden haben. Ein Held konnte von jenem Volke, dem
die Nachbildung des unbekleideten Körpers als das höchste Ziel plastischer Kunst
galt, in heroischer Nacktheit dargestellt werden. Ein Helm, ein Schwert, ein


Moderne Denkmäler.

sind Begriffe, die sich schlechterdings nicht plastisch versinnlichen lassen, wenn man
nicht in die allegorischen und emblematischen Greuel der Barock- und Zopfzeit
verfallen will. Einerj, und zwar ein Mann wie Siemering, hat sogar am
Eingänge eines von Säulen umgebenen Atrinms zwei Nelieftafeln aufgerichtet,
ans denen ein Ausspruch von Herder und das bekannte Wort Lessings von
dem unablässigen Streben nach Wahrheit durch unverständliche Handlungen von
Göttern und Menschen illustrirt sein sollen. In diesem Beiwerke offenbart sich
jedoch im allgemeinen, trotz mancher Verirrungen und Geschmacklosigkeiten im
einzelnen, eine ungleich größere schöpferische Kraft als in den Lessingsigureu,
von denen nur zwei oder drei den Genius annähernd charakterisiren, während
sich die Mehrzahl sogar bis in die Karrikatur verloren hat.

Soviel Idealismus steckt also immer noch in der deutschen Plastik, daß
rein poetische Aufgaben die Phantasie der Künstler mehr reizen und zu glück¬
lichern Schöpfungen befruchten als realistisch-historische. Sollte sich aus dieser
schon oft gemachten Erfahrung nicht mit Notwendigkeit ergeben, daß es hoch an
der Zeit sei, mit dem von der Antike abgeleiteten und durch Rauch und seine
Schule zur Norm erhobenen Denkmälertypus wenigstens für Dichter, Künstler
und Gelehrte zu brechen? Die Gegner einer solchen Forderung werden auf die
klassischen Muster des Altertums, auf die Statuen eines Sophokles, Demosthenes
und Äschines, auf die Sitzbilder eines Menander und Posidipp hinweisen.
Aber diese Figuren sind nicht öffentliche Denkmäler in unserm Sinne gewesen.
Sie dienten zum Schmuck der Bibliotheken und Gärten in den Villen vornehmer
und wohlhabender Römer, spielten also in dem mnrmorreichen Lande, in welchem
auch der Einzelne mehr Platz einnehmen konnte als in unsern modernen Städten,
die Rolle der Gipsabgüsse, mit denen wir unsre sentir- und Bücherzimmer
schmücken. Wenn wir die Zahl der auf uns gekommenen altgriechischen und
römischen Dichter-, Philosophen- und Geschichtschreiberstatuen mit der Zahl der
noch vorhandnen Hermen und Doppelhermen, die unsern Büsten entsprechen,
vergleichen, so ergiebt sich schon für das Altertum ein Verhältnis zwischen ganzen
Pvrträtfiguren und Köpfen oder Brustbildern, welches nicht allein durch Staats-
gesetze und Herkommen, sondern auch durch ein feines ästhetisches Gefühl herbei¬
geführt worden ist. Mag auch einerseits der demokratische Neid der griechischen
Republiken und anderseits der autokratische Wille der römischen Cäsaren die
„Ehre der Statue" zu einem Vorrecht für wenige, ganz bevorzugte Persönlich¬
keiten gemacht haben, mögen also vorwiegend äußere Gründe auf die numerische
Beschränkung von Standbildern eingewirkt haben, so läßt sich nicht verkennen,
daß die Griechen, welche doch die Typen schufen, nach denen die römischen
Bildhauer bis in die späteste Zeit arbeiteten, auch bereits den Zwang des
Kostüms unangenehm empfunden haben. Ein Held konnte von jenem Volke, dem
die Nachbildung des unbekleideten Körpers als das höchste Ziel plastischer Kunst
galt, in heroischer Nacktheit dargestellt werden. Ein Helm, ein Schwert, ein


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[0042] Moderne Denkmäler. sind Begriffe, die sich schlechterdings nicht plastisch versinnlichen lassen, wenn man nicht in die allegorischen und emblematischen Greuel der Barock- und Zopfzeit verfallen will. Einerj, und zwar ein Mann wie Siemering, hat sogar am Eingänge eines von Säulen umgebenen Atrinms zwei Nelieftafeln aufgerichtet, ans denen ein Ausspruch von Herder und das bekannte Wort Lessings von dem unablässigen Streben nach Wahrheit durch unverständliche Handlungen von Göttern und Menschen illustrirt sein sollen. In diesem Beiwerke offenbart sich jedoch im allgemeinen, trotz mancher Verirrungen und Geschmacklosigkeiten im einzelnen, eine ungleich größere schöpferische Kraft als in den Lessingsigureu, von denen nur zwei oder drei den Genius annähernd charakterisiren, während sich die Mehrzahl sogar bis in die Karrikatur verloren hat. Soviel Idealismus steckt also immer noch in der deutschen Plastik, daß rein poetische Aufgaben die Phantasie der Künstler mehr reizen und zu glück¬ lichern Schöpfungen befruchten als realistisch-historische. Sollte sich aus dieser schon oft gemachten Erfahrung nicht mit Notwendigkeit ergeben, daß es hoch an der Zeit sei, mit dem von der Antike abgeleiteten und durch Rauch und seine Schule zur Norm erhobenen Denkmälertypus wenigstens für Dichter, Künstler und Gelehrte zu brechen? Die Gegner einer solchen Forderung werden auf die klassischen Muster des Altertums, auf die Statuen eines Sophokles, Demosthenes und Äschines, auf die Sitzbilder eines Menander und Posidipp hinweisen. Aber diese Figuren sind nicht öffentliche Denkmäler in unserm Sinne gewesen. Sie dienten zum Schmuck der Bibliotheken und Gärten in den Villen vornehmer und wohlhabender Römer, spielten also in dem mnrmorreichen Lande, in welchem auch der Einzelne mehr Platz einnehmen konnte als in unsern modernen Städten, die Rolle der Gipsabgüsse, mit denen wir unsre sentir- und Bücherzimmer schmücken. Wenn wir die Zahl der auf uns gekommenen altgriechischen und römischen Dichter-, Philosophen- und Geschichtschreiberstatuen mit der Zahl der noch vorhandnen Hermen und Doppelhermen, die unsern Büsten entsprechen, vergleichen, so ergiebt sich schon für das Altertum ein Verhältnis zwischen ganzen Pvrträtfiguren und Köpfen oder Brustbildern, welches nicht allein durch Staats- gesetze und Herkommen, sondern auch durch ein feines ästhetisches Gefühl herbei¬ geführt worden ist. Mag auch einerseits der demokratische Neid der griechischen Republiken und anderseits der autokratische Wille der römischen Cäsaren die „Ehre der Statue" zu einem Vorrecht für wenige, ganz bevorzugte Persönlich¬ keiten gemacht haben, mögen also vorwiegend äußere Gründe auf die numerische Beschränkung von Standbildern eingewirkt haben, so läßt sich nicht verkennen, daß die Griechen, welche doch die Typen schufen, nach denen die römischen Bildhauer bis in die späteste Zeit arbeiteten, auch bereits den Zwang des Kostüms unangenehm empfunden haben. Ein Held konnte von jenem Volke, dem die Nachbildung des unbekleideten Körpers als das höchste Ziel plastischer Kunst galt, in heroischer Nacktheit dargestellt werden. Ein Helm, ein Schwert, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/42>, abgerufen am 01.07.2024.