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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Moderire Denkmäler.

zumal in Anbetracht des Umstandes, daß es sich um einen Lessing für die
Reichshauptstadt handelt, im höchsten Grade kläglich ist.

In dieser Zurückhaltung mag sich zum Teil auch der Abscheu vor dem
Kouknrrenzunwesen überhaupt ausdrücken. Die Entscheidungen in den Wctt-
bewerbungen um die Wandgemälde für das Berliner Rathaus.und um das
Lntherdeukmal scheinen denn doch so nachhaltig auf die Schaffenslust der klug
gewordne" Künstler eingewirkt zu haben, daß junge Leute, die nichts zu verlieren
haben, nicht einmal einen Namen, die Mehrzahl in den Reihen der Bewerber
bilden, und ältere, bewährte Männer Zeit und Geld sparen. In Verlegenheit
kommen Juries und Komitees trotzdem nicht. Auch unter den unbrauchbarsten
Entwürfen findet sich stets einer, dessen Urheber an demselben unter fremdem
Beirat und befreundeter Kritik so lange hcrummvdelt, bis eine erträgliche Skizze
zustande kommt, wenn mich von der mit den Preise gekrönten keine Falte übrig
geblieben ist. Ein solcher Fall hat sich kürzlich bei einem mit dem ersten Preise
ausgezeichneten und zur Ausführung bestimmten Plane für eines der bedeut¬
samsten Baudenkmäler des neuen deutschen Reiches ereignet. Nach der Preis-
ertcilung mußte der Entwurf ein mehrfaches Fegefeuer durchlaufen, und das
Ergebnis war, daß eine Kommission den Grundriß und eine zweite, aus audern
Mitgliedern gebildete, deren Gutachten nicht ignorirt werden durfte, die Fassade
verwarf. So soll von dem preisgekrönten Entwürfe nichts weiter übrig ge¬
blieben sein als ein Turm.

Auch das Lessingkomitce, welches sich, nebenbei bemerkt, das Recht vorbehalten
hat, "unabhängig von den eingesandten Entwürfen und dem Urteil der Jury
die Frage der Ausführung zu entscheiden," wird unzweifelhaft zu einem brauch¬
baren Entwürfe gelangen. Unter sechsundzwanzig Skizzen sind fünf oder sechs
ernster Beachtung wert, und eine, von Otto Lessing, einem Urgroßneffen des
Dichters, herrührend, ließe sich mit geringen Veränderungen ausführen. Eine
zweite, ein Werk des sehr begabten und phautnsicreicheu Gustav Eberlein, ist
eine durch poesievollc Erfindung und Behandlung der Sockelfiguren und -Reliefs
ausgezeichnete Schöpfung, welche neben dem Lessingschen Entwürfe als der einzige
wertvolle Gewinn aus dieser Konkurrenz zu bezeichnen ist.

Damit kommen wir auf einen zweiten brennenden Punkt in der Denkmälcr-
fragc. Die Mehrzahl der Bewerber hat das Gefühl gehabt, daß sich die geistige
Vielseitigkeit Lessings, seine literarische und kulturgeschichtliche Bedeutung nicht
allein in der Pvrträtstatue, deren Wirkung dnrch eine philiströse Kleidung stark
beeinträchtigt wird, ausdrücken lasse. Man hat den Sockel mit allegorischen
und mythologischen Figuren umgeben, und dabei siud neben den üblichen
Allegorien der Tragödie, Komödie und Lyrik ganz wunderliche Personifikationen
herausgekommen. Kritik und Altertumswissenschaft, letztere durch die Laokoon-
maskc charcikterisirt, sind noch einigermaßen erträglich. Aber Toleranz und
Intoleranz, Lüge und Heuchelei, der Genius der deutschen Sprache u. dergl. in.


Grenze, e>ten I. 1887. 5
Moderire Denkmäler.

zumal in Anbetracht des Umstandes, daß es sich um einen Lessing für die
Reichshauptstadt handelt, im höchsten Grade kläglich ist.

In dieser Zurückhaltung mag sich zum Teil auch der Abscheu vor dem
Kouknrrenzunwesen überhaupt ausdrücken. Die Entscheidungen in den Wctt-
bewerbungen um die Wandgemälde für das Berliner Rathaus.und um das
Lntherdeukmal scheinen denn doch so nachhaltig auf die Schaffenslust der klug
gewordne» Künstler eingewirkt zu haben, daß junge Leute, die nichts zu verlieren
haben, nicht einmal einen Namen, die Mehrzahl in den Reihen der Bewerber
bilden, und ältere, bewährte Männer Zeit und Geld sparen. In Verlegenheit
kommen Juries und Komitees trotzdem nicht. Auch unter den unbrauchbarsten
Entwürfen findet sich stets einer, dessen Urheber an demselben unter fremdem
Beirat und befreundeter Kritik so lange hcrummvdelt, bis eine erträgliche Skizze
zustande kommt, wenn mich von der mit den Preise gekrönten keine Falte übrig
geblieben ist. Ein solcher Fall hat sich kürzlich bei einem mit dem ersten Preise
ausgezeichneten und zur Ausführung bestimmten Plane für eines der bedeut¬
samsten Baudenkmäler des neuen deutschen Reiches ereignet. Nach der Preis-
ertcilung mußte der Entwurf ein mehrfaches Fegefeuer durchlaufen, und das
Ergebnis war, daß eine Kommission den Grundriß und eine zweite, aus audern
Mitgliedern gebildete, deren Gutachten nicht ignorirt werden durfte, die Fassade
verwarf. So soll von dem preisgekrönten Entwürfe nichts weiter übrig ge¬
blieben sein als ein Turm.

Auch das Lessingkomitce, welches sich, nebenbei bemerkt, das Recht vorbehalten
hat, „unabhängig von den eingesandten Entwürfen und dem Urteil der Jury
die Frage der Ausführung zu entscheiden," wird unzweifelhaft zu einem brauch¬
baren Entwürfe gelangen. Unter sechsundzwanzig Skizzen sind fünf oder sechs
ernster Beachtung wert, und eine, von Otto Lessing, einem Urgroßneffen des
Dichters, herrührend, ließe sich mit geringen Veränderungen ausführen. Eine
zweite, ein Werk des sehr begabten und phautnsicreicheu Gustav Eberlein, ist
eine durch poesievollc Erfindung und Behandlung der Sockelfiguren und -Reliefs
ausgezeichnete Schöpfung, welche neben dem Lessingschen Entwürfe als der einzige
wertvolle Gewinn aus dieser Konkurrenz zu bezeichnen ist.

Damit kommen wir auf einen zweiten brennenden Punkt in der Denkmälcr-
fragc. Die Mehrzahl der Bewerber hat das Gefühl gehabt, daß sich die geistige
Vielseitigkeit Lessings, seine literarische und kulturgeschichtliche Bedeutung nicht
allein in der Pvrträtstatue, deren Wirkung dnrch eine philiströse Kleidung stark
beeinträchtigt wird, ausdrücken lasse. Man hat den Sockel mit allegorischen
und mythologischen Figuren umgeben, und dabei siud neben den üblichen
Allegorien der Tragödie, Komödie und Lyrik ganz wunderliche Personifikationen
herausgekommen. Kritik und Altertumswissenschaft, letztere durch die Laokoon-
maskc charcikterisirt, sind noch einigermaßen erträglich. Aber Toleranz und
Intoleranz, Lüge und Heuchelei, der Genius der deutschen Sprache u. dergl. in.


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[0041] Moderire Denkmäler. zumal in Anbetracht des Umstandes, daß es sich um einen Lessing für die Reichshauptstadt handelt, im höchsten Grade kläglich ist. In dieser Zurückhaltung mag sich zum Teil auch der Abscheu vor dem Kouknrrenzunwesen überhaupt ausdrücken. Die Entscheidungen in den Wctt- bewerbungen um die Wandgemälde für das Berliner Rathaus.und um das Lntherdeukmal scheinen denn doch so nachhaltig auf die Schaffenslust der klug gewordne» Künstler eingewirkt zu haben, daß junge Leute, die nichts zu verlieren haben, nicht einmal einen Namen, die Mehrzahl in den Reihen der Bewerber bilden, und ältere, bewährte Männer Zeit und Geld sparen. In Verlegenheit kommen Juries und Komitees trotzdem nicht. Auch unter den unbrauchbarsten Entwürfen findet sich stets einer, dessen Urheber an demselben unter fremdem Beirat und befreundeter Kritik so lange hcrummvdelt, bis eine erträgliche Skizze zustande kommt, wenn mich von der mit den Preise gekrönten keine Falte übrig geblieben ist. Ein solcher Fall hat sich kürzlich bei einem mit dem ersten Preise ausgezeichneten und zur Ausführung bestimmten Plane für eines der bedeut¬ samsten Baudenkmäler des neuen deutschen Reiches ereignet. Nach der Preis- ertcilung mußte der Entwurf ein mehrfaches Fegefeuer durchlaufen, und das Ergebnis war, daß eine Kommission den Grundriß und eine zweite, aus audern Mitgliedern gebildete, deren Gutachten nicht ignorirt werden durfte, die Fassade verwarf. So soll von dem preisgekrönten Entwürfe nichts weiter übrig ge¬ blieben sein als ein Turm. Auch das Lessingkomitce, welches sich, nebenbei bemerkt, das Recht vorbehalten hat, „unabhängig von den eingesandten Entwürfen und dem Urteil der Jury die Frage der Ausführung zu entscheiden," wird unzweifelhaft zu einem brauch¬ baren Entwürfe gelangen. Unter sechsundzwanzig Skizzen sind fünf oder sechs ernster Beachtung wert, und eine, von Otto Lessing, einem Urgroßneffen des Dichters, herrührend, ließe sich mit geringen Veränderungen ausführen. Eine zweite, ein Werk des sehr begabten und phautnsicreicheu Gustav Eberlein, ist eine durch poesievollc Erfindung und Behandlung der Sockelfiguren und -Reliefs ausgezeichnete Schöpfung, welche neben dem Lessingschen Entwürfe als der einzige wertvolle Gewinn aus dieser Konkurrenz zu bezeichnen ist. Damit kommen wir auf einen zweiten brennenden Punkt in der Denkmälcr- fragc. Die Mehrzahl der Bewerber hat das Gefühl gehabt, daß sich die geistige Vielseitigkeit Lessings, seine literarische und kulturgeschichtliche Bedeutung nicht allein in der Pvrträtstatue, deren Wirkung dnrch eine philiströse Kleidung stark beeinträchtigt wird, ausdrücken lasse. Man hat den Sockel mit allegorischen und mythologischen Figuren umgeben, und dabei siud neben den üblichen Allegorien der Tragödie, Komödie und Lyrik ganz wunderliche Personifikationen herausgekommen. Kritik und Altertumswissenschaft, letztere durch die Laokoon- maskc charcikterisirt, sind noch einigermaßen erträglich. Aber Toleranz und Intoleranz, Lüge und Heuchelei, der Genius der deutschen Sprache u. dergl. in. Grenze, e>ten I. 1887. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/41>, abgerufen am 01.07.2024.