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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Bewegungen in der katholischen Welt.

Autorität des heiligen Stuhles enthalten und welche sich persönlich in ver¬
letzender Weise gegen den jetzt regierenden Papst wenden.

Es ist klar, daß, wenn in kirchlichen Dingen von den Katholiken dem
Papst die höchste Autorität zuerkannt wird, es schwer und mißlich sein muß,
ihm in weltlichen Dingen das nötige Verständnis abzusprechen. Es ist dies
umso mißlicher, als bekanntlich geistliche und weltliche Dinge nicht immer durch
eine scharfe Linie getrennt werden können. Gerade das päpstliche System in
der Entwicklung der katholischen Kirche verdankt nicht zum wenigsten der Be¬
hauptung den Sieg, daß das geistliche Element das gesamte Wesen der Dinge
beherrsche. Es würde ein leichtes sein, von der berüchtigten Bulle Bonifazius
des Achten IInMr Zauvwirr an bis in die neueste Zeit herein nachzuweisen, wie dieser
Satz den Ultramontanen in der Ausdehnung und Ausbeutung ihrer Herrschaft
Dienste geleistet hat, und der auf eiuer Katholikenversammlnng von Windthorst
ausgesprochene Satz: "Der Papst regiert doch die Welt" ist ja neben so vielen
Leitartikeln der "Germania" und ihrer Genossen ans der jüngsten Gegenwart das
schlagendste Beispiel dafür, daß die Ultramontanen je nach Bedürfnis für das
geistliche Element ihrer Weltordnung den Vorrang beanspruchen. Es ist also nicht
katholisch gewesen, wenn die gedachten Blätter die Möglichkeit eines päpstlichen
Erlasses über das Septennat abstritten, weil der Papst sich nicht in die innern
Angelegenheiten eines Staates mischen dürfe -- wie der Freiherr von Fmncken-
stein behauptet hat -- oder werde -- wie dirs von der klerikalen Presse be-
hauptet worden ist. Mit diesem Satze verleugnen die Männer und die Blätter
vom Zentrum ihre Kathvlizität, vielleicht mit Absicht, in der Hoffnung, daß der
nichts mit der Religion gemein habende revolutionäre Jesuitismus schon jetzt zur
Weltherrschaft berufen sei. Nur geistlose und in ihrem Parteihaß blinde Organe
konnten in dieser Opposition des Zentrums gegen den Geist der katholischen
Kirche eine "dem deutschen Namen zur Ehre gereichende That" erblicken. Der
im Ertrinken begriffene Fortschritt klammert sich hilfeflehend an das Zentrum
und bringt ihm nicht nnr das Opfer seiner Einsicht, sondern auch seiner Grund¬
sätze. Deshalb geht von .Herrn Eugen Richter bis zu Herrn Rudolf Mosse --
die "Vossische Zeitung" des Herrn Stadtgerichtsdirektors Lessing selbstver¬
ständlich einbegriffen -- nur die eine Parole: "Der Jaeobinische Erlaß ist eine
Ermunterung für das Zentrum, hört es, katholische Wähler, und gebt eure
Stimmen dem Fortschritt, den Polen, Welsen, Sozialdemokraten und Elfcissern,
die euch alle gegen das Septennat und gegen den Reichskanzler unterstützen."

Ein die Grenzen seiner Macht überschauender Papst und insbesondre ein
Mann von solcher staatsmännischen Begabung, wie Leo XIII. es ist, wird sich
in Acht nehmen, sich in die innern Angelegenheiten eines Staates zu mische",
wenn sie rein weltlicher Natur sind. Man wird fragen: Welche sind denn rein
weltlicher Natur? und wer hat darüber zu entscheiden? Über die erste Frage
wollen wir hier nicht lange Erörterungen pflegen, da wir nicht die Absicht haben,


Bewegungen in der katholischen Welt.

Autorität des heiligen Stuhles enthalten und welche sich persönlich in ver¬
letzender Weise gegen den jetzt regierenden Papst wenden.

Es ist klar, daß, wenn in kirchlichen Dingen von den Katholiken dem
Papst die höchste Autorität zuerkannt wird, es schwer und mißlich sein muß,
ihm in weltlichen Dingen das nötige Verständnis abzusprechen. Es ist dies
umso mißlicher, als bekanntlich geistliche und weltliche Dinge nicht immer durch
eine scharfe Linie getrennt werden können. Gerade das päpstliche System in
der Entwicklung der katholischen Kirche verdankt nicht zum wenigsten der Be¬
hauptung den Sieg, daß das geistliche Element das gesamte Wesen der Dinge
beherrsche. Es würde ein leichtes sein, von der berüchtigten Bulle Bonifazius
des Achten IInMr Zauvwirr an bis in die neueste Zeit herein nachzuweisen, wie dieser
Satz den Ultramontanen in der Ausdehnung und Ausbeutung ihrer Herrschaft
Dienste geleistet hat, und der auf eiuer Katholikenversammlnng von Windthorst
ausgesprochene Satz: „Der Papst regiert doch die Welt" ist ja neben so vielen
Leitartikeln der „Germania" und ihrer Genossen ans der jüngsten Gegenwart das
schlagendste Beispiel dafür, daß die Ultramontanen je nach Bedürfnis für das
geistliche Element ihrer Weltordnung den Vorrang beanspruchen. Es ist also nicht
katholisch gewesen, wenn die gedachten Blätter die Möglichkeit eines päpstlichen
Erlasses über das Septennat abstritten, weil der Papst sich nicht in die innern
Angelegenheiten eines Staates mischen dürfe — wie der Freiherr von Fmncken-
stein behauptet hat — oder werde — wie dirs von der klerikalen Presse be-
hauptet worden ist. Mit diesem Satze verleugnen die Männer und die Blätter
vom Zentrum ihre Kathvlizität, vielleicht mit Absicht, in der Hoffnung, daß der
nichts mit der Religion gemein habende revolutionäre Jesuitismus schon jetzt zur
Weltherrschaft berufen sei. Nur geistlose und in ihrem Parteihaß blinde Organe
konnten in dieser Opposition des Zentrums gegen den Geist der katholischen
Kirche eine „dem deutschen Namen zur Ehre gereichende That" erblicken. Der
im Ertrinken begriffene Fortschritt klammert sich hilfeflehend an das Zentrum
und bringt ihm nicht nnr das Opfer seiner Einsicht, sondern auch seiner Grund¬
sätze. Deshalb geht von .Herrn Eugen Richter bis zu Herrn Rudolf Mosse —
die „Vossische Zeitung" des Herrn Stadtgerichtsdirektors Lessing selbstver¬
ständlich einbegriffen — nur die eine Parole: „Der Jaeobinische Erlaß ist eine
Ermunterung für das Zentrum, hört es, katholische Wähler, und gebt eure
Stimmen dem Fortschritt, den Polen, Welsen, Sozialdemokraten und Elfcissern,
die euch alle gegen das Septennat und gegen den Reichskanzler unterstützen."

Ein die Grenzen seiner Macht überschauender Papst und insbesondre ein
Mann von solcher staatsmännischen Begabung, wie Leo XIII. es ist, wird sich
in Acht nehmen, sich in die innern Angelegenheiten eines Staates zu mische»,
wenn sie rein weltlicher Natur sind. Man wird fragen: Welche sind denn rein
weltlicher Natur? und wer hat darüber zu entscheiden? Über die erste Frage
wollen wir hier nicht lange Erörterungen pflegen, da wir nicht die Absicht haben,


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[0355] Bewegungen in der katholischen Welt. Autorität des heiligen Stuhles enthalten und welche sich persönlich in ver¬ letzender Weise gegen den jetzt regierenden Papst wenden. Es ist klar, daß, wenn in kirchlichen Dingen von den Katholiken dem Papst die höchste Autorität zuerkannt wird, es schwer und mißlich sein muß, ihm in weltlichen Dingen das nötige Verständnis abzusprechen. Es ist dies umso mißlicher, als bekanntlich geistliche und weltliche Dinge nicht immer durch eine scharfe Linie getrennt werden können. Gerade das päpstliche System in der Entwicklung der katholischen Kirche verdankt nicht zum wenigsten der Be¬ hauptung den Sieg, daß das geistliche Element das gesamte Wesen der Dinge beherrsche. Es würde ein leichtes sein, von der berüchtigten Bulle Bonifazius des Achten IInMr Zauvwirr an bis in die neueste Zeit herein nachzuweisen, wie dieser Satz den Ultramontanen in der Ausdehnung und Ausbeutung ihrer Herrschaft Dienste geleistet hat, und der auf eiuer Katholikenversammlnng von Windthorst ausgesprochene Satz: „Der Papst regiert doch die Welt" ist ja neben so vielen Leitartikeln der „Germania" und ihrer Genossen ans der jüngsten Gegenwart das schlagendste Beispiel dafür, daß die Ultramontanen je nach Bedürfnis für das geistliche Element ihrer Weltordnung den Vorrang beanspruchen. Es ist also nicht katholisch gewesen, wenn die gedachten Blätter die Möglichkeit eines päpstlichen Erlasses über das Septennat abstritten, weil der Papst sich nicht in die innern Angelegenheiten eines Staates mischen dürfe — wie der Freiherr von Fmncken- stein behauptet hat — oder werde — wie dirs von der klerikalen Presse be- hauptet worden ist. Mit diesem Satze verleugnen die Männer und die Blätter vom Zentrum ihre Kathvlizität, vielleicht mit Absicht, in der Hoffnung, daß der nichts mit der Religion gemein habende revolutionäre Jesuitismus schon jetzt zur Weltherrschaft berufen sei. Nur geistlose und in ihrem Parteihaß blinde Organe konnten in dieser Opposition des Zentrums gegen den Geist der katholischen Kirche eine „dem deutschen Namen zur Ehre gereichende That" erblicken. Der im Ertrinken begriffene Fortschritt klammert sich hilfeflehend an das Zentrum und bringt ihm nicht nnr das Opfer seiner Einsicht, sondern auch seiner Grund¬ sätze. Deshalb geht von .Herrn Eugen Richter bis zu Herrn Rudolf Mosse — die „Vossische Zeitung" des Herrn Stadtgerichtsdirektors Lessing selbstver¬ ständlich einbegriffen — nur die eine Parole: „Der Jaeobinische Erlaß ist eine Ermunterung für das Zentrum, hört es, katholische Wähler, und gebt eure Stimmen dem Fortschritt, den Polen, Welsen, Sozialdemokraten und Elfcissern, die euch alle gegen das Septennat und gegen den Reichskanzler unterstützen." Ein die Grenzen seiner Macht überschauender Papst und insbesondre ein Mann von solcher staatsmännischen Begabung, wie Leo XIII. es ist, wird sich in Acht nehmen, sich in die innern Angelegenheiten eines Staates zu mische», wenn sie rein weltlicher Natur sind. Man wird fragen: Welche sind denn rein weltlicher Natur? und wer hat darüber zu entscheiden? Über die erste Frage wollen wir hier nicht lange Erörterungen pflegen, da wir nicht die Absicht haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/355>, abgerufen am 03.07.2024.