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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gespenster.

Dritter. Hin! Blicken wir um uns! Ich kenne manche Ehe, wo es
schlimm genug zugeht. Hier ist die Frau unerträglich, putz- und genußsüchtig
oder dergleichen, dort wieder der Melun roh, selbstsüchtig, knauserig; in allen
solchen Fällen hat der andre Teil die Hölle im Hanse. Überall spielt sich ein
kleines Drama ab, dessen Voraussetzung die gesellschaftliche Lüge ist. Und alle
jene Dulder unterstützen jene Lüge, aus Feigheit, aus feiger Rücksicht auf Ver¬
hältnisse, auf Ruf, auf die Kinder --

Oswald. Erlaube, ich möchte das nicht Feigheit, sondern im Gegenteil
Heldenmut nennen. Das möchte ich feig nennen, wenn sie einfach fortliefen,
sobald ihnen die Sache einmal nicht mehr paßt. Diese Leute stehen sozusagen
auch auf einem Posten und haben ihn zu behaupten, solange es irgend angeht.
Denn sie verteidigen eine heilige Sache, die Sache ihrer Kinder, und kämpfen
für höchst ehrwürdige Menschheitsrcchte, deren Achtung und Reputation wahr¬
haftig kein Spaß ist. Und sie haben, wie jeder Soldat, ihren Posten erst dann
nnfzugeben, wenn seine Aufrechterhaltung der guten Sache selbst schädlich wird,
und das geschieht hier, wenn von einer Seite eben diese heiligen Rechte offenbar
mit Füßen getreten werden.

Dritter. Aber die Lüge! Bedenke doch, die Lüge! Unter welcher Form
sie auch auftreten mag, die Lüge bleibt immer Lüge, und ist rücksichtslos aus-
zurotten, denn sie ist die Mutter der Sünde, des Unrechts und alles Übels.
Und bleibt ein solcher Zustand in der Ehe nicht immer eine Lüge, und muß
sie sich nicht rächen, wie sie sich dort im Drama rächt, an den Kindern? Wenn
nnn den Kindern einmal die Augen ausgehen über diese Lüge --

Oswald. Aber ich begreife garnicht, wie die Bezeichnung Lüge hier über¬
haupt hcrpaßt. Ist denn so eine Ehe, wie es da in euerm kuriosen Drama
freilich der Fall zu sein scheint, eine abgeschiedne Insel, auf der alle Jubeljahre
einmal revidirt wird, und zwar immer nach vorheriger pünktlicher Anmeldung?
Steht nicht vielmehr so eine Ehe mitten im Leben, und ist sie nicht seinem
ganzen dreisten, ja oft sogar unverschämten Lichte ausgesetzt? Das heißt doch
uicht Lüge, wenn man zudringlichen, böswilligen, überhaupt fremden Augen
gegenüber für die nötigen Vorhänge sorgt. Das erfordert doch schon der bloße
Anstand. Wenn man das Lüge nennt, ja, dann ist auch unsre ganze über¬
tünchte Höflichkeit nud somit nach dem geistreichen Schlüsse jenes kanadischen
Rousseau unsre ganze Zivilisation Lüge, nud es bleibt uus eben nichts andres
übrig, als uns gegenseitig ungeschminkt und offenherzig aufzufressen, bloß damit
jene merkwürdigen Wahrheitsfreunde einmal den Genuß haben, ihr Ideal trium-
phiren zu sehen oder vielmehr zu spüren. El, den Henker auch! Und nun
gar die Kinder, denen da plötzlich die Augen aufgehen über diese Lüge. Donner¬
wetter, wenn sie solche Kretins sind, daß sie uicht nach und nach merken, wie's
im Hause steht --

Man schickt sie für immer fort, in Pension, irgendwohin!


Dritter.
Gespenster.

Dritter. Hin! Blicken wir um uns! Ich kenne manche Ehe, wo es
schlimm genug zugeht. Hier ist die Frau unerträglich, putz- und genußsüchtig
oder dergleichen, dort wieder der Melun roh, selbstsüchtig, knauserig; in allen
solchen Fällen hat der andre Teil die Hölle im Hanse. Überall spielt sich ein
kleines Drama ab, dessen Voraussetzung die gesellschaftliche Lüge ist. Und alle
jene Dulder unterstützen jene Lüge, aus Feigheit, aus feiger Rücksicht auf Ver¬
hältnisse, auf Ruf, auf die Kinder —

Oswald. Erlaube, ich möchte das nicht Feigheit, sondern im Gegenteil
Heldenmut nennen. Das möchte ich feig nennen, wenn sie einfach fortliefen,
sobald ihnen die Sache einmal nicht mehr paßt. Diese Leute stehen sozusagen
auch auf einem Posten und haben ihn zu behaupten, solange es irgend angeht.
Denn sie verteidigen eine heilige Sache, die Sache ihrer Kinder, und kämpfen
für höchst ehrwürdige Menschheitsrcchte, deren Achtung und Reputation wahr¬
haftig kein Spaß ist. Und sie haben, wie jeder Soldat, ihren Posten erst dann
nnfzugeben, wenn seine Aufrechterhaltung der guten Sache selbst schädlich wird,
und das geschieht hier, wenn von einer Seite eben diese heiligen Rechte offenbar
mit Füßen getreten werden.

Dritter. Aber die Lüge! Bedenke doch, die Lüge! Unter welcher Form
sie auch auftreten mag, die Lüge bleibt immer Lüge, und ist rücksichtslos aus-
zurotten, denn sie ist die Mutter der Sünde, des Unrechts und alles Übels.
Und bleibt ein solcher Zustand in der Ehe nicht immer eine Lüge, und muß
sie sich nicht rächen, wie sie sich dort im Drama rächt, an den Kindern? Wenn
nnn den Kindern einmal die Augen ausgehen über diese Lüge —

Oswald. Aber ich begreife garnicht, wie die Bezeichnung Lüge hier über¬
haupt hcrpaßt. Ist denn so eine Ehe, wie es da in euerm kuriosen Drama
freilich der Fall zu sein scheint, eine abgeschiedne Insel, auf der alle Jubeljahre
einmal revidirt wird, und zwar immer nach vorheriger pünktlicher Anmeldung?
Steht nicht vielmehr so eine Ehe mitten im Leben, und ist sie nicht seinem
ganzen dreisten, ja oft sogar unverschämten Lichte ausgesetzt? Das heißt doch
uicht Lüge, wenn man zudringlichen, böswilligen, überhaupt fremden Augen
gegenüber für die nötigen Vorhänge sorgt. Das erfordert doch schon der bloße
Anstand. Wenn man das Lüge nennt, ja, dann ist auch unsre ganze über¬
tünchte Höflichkeit nud somit nach dem geistreichen Schlüsse jenes kanadischen
Rousseau unsre ganze Zivilisation Lüge, nud es bleibt uus eben nichts andres
übrig, als uns gegenseitig ungeschminkt und offenherzig aufzufressen, bloß damit
jene merkwürdigen Wahrheitsfreunde einmal den Genuß haben, ihr Ideal trium-
phiren zu sehen oder vielmehr zu spüren. El, den Henker auch! Und nun
gar die Kinder, denen da plötzlich die Augen aufgehen über diese Lüge. Donner¬
wetter, wenn sie solche Kretins sind, daß sie uicht nach und nach merken, wie's
im Hause steht —

Man schickt sie für immer fort, in Pension, irgendwohin!


Dritter.
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[0334] Gespenster. Dritter. Hin! Blicken wir um uns! Ich kenne manche Ehe, wo es schlimm genug zugeht. Hier ist die Frau unerträglich, putz- und genußsüchtig oder dergleichen, dort wieder der Melun roh, selbstsüchtig, knauserig; in allen solchen Fällen hat der andre Teil die Hölle im Hanse. Überall spielt sich ein kleines Drama ab, dessen Voraussetzung die gesellschaftliche Lüge ist. Und alle jene Dulder unterstützen jene Lüge, aus Feigheit, aus feiger Rücksicht auf Ver¬ hältnisse, auf Ruf, auf die Kinder — Oswald. Erlaube, ich möchte das nicht Feigheit, sondern im Gegenteil Heldenmut nennen. Das möchte ich feig nennen, wenn sie einfach fortliefen, sobald ihnen die Sache einmal nicht mehr paßt. Diese Leute stehen sozusagen auch auf einem Posten und haben ihn zu behaupten, solange es irgend angeht. Denn sie verteidigen eine heilige Sache, die Sache ihrer Kinder, und kämpfen für höchst ehrwürdige Menschheitsrcchte, deren Achtung und Reputation wahr¬ haftig kein Spaß ist. Und sie haben, wie jeder Soldat, ihren Posten erst dann nnfzugeben, wenn seine Aufrechterhaltung der guten Sache selbst schädlich wird, und das geschieht hier, wenn von einer Seite eben diese heiligen Rechte offenbar mit Füßen getreten werden. Dritter. Aber die Lüge! Bedenke doch, die Lüge! Unter welcher Form sie auch auftreten mag, die Lüge bleibt immer Lüge, und ist rücksichtslos aus- zurotten, denn sie ist die Mutter der Sünde, des Unrechts und alles Übels. Und bleibt ein solcher Zustand in der Ehe nicht immer eine Lüge, und muß sie sich nicht rächen, wie sie sich dort im Drama rächt, an den Kindern? Wenn nnn den Kindern einmal die Augen ausgehen über diese Lüge — Oswald. Aber ich begreife garnicht, wie die Bezeichnung Lüge hier über¬ haupt hcrpaßt. Ist denn so eine Ehe, wie es da in euerm kuriosen Drama freilich der Fall zu sein scheint, eine abgeschiedne Insel, auf der alle Jubeljahre einmal revidirt wird, und zwar immer nach vorheriger pünktlicher Anmeldung? Steht nicht vielmehr so eine Ehe mitten im Leben, und ist sie nicht seinem ganzen dreisten, ja oft sogar unverschämten Lichte ausgesetzt? Das heißt doch uicht Lüge, wenn man zudringlichen, böswilligen, überhaupt fremden Augen gegenüber für die nötigen Vorhänge sorgt. Das erfordert doch schon der bloße Anstand. Wenn man das Lüge nennt, ja, dann ist auch unsre ganze über¬ tünchte Höflichkeit nud somit nach dem geistreichen Schlüsse jenes kanadischen Rousseau unsre ganze Zivilisation Lüge, nud es bleibt uus eben nichts andres übrig, als uns gegenseitig ungeschminkt und offenherzig aufzufressen, bloß damit jene merkwürdigen Wahrheitsfreunde einmal den Genuß haben, ihr Ideal trium- phiren zu sehen oder vielmehr zu spüren. El, den Henker auch! Und nun gar die Kinder, denen da plötzlich die Augen aufgehen über diese Lüge. Donner¬ wetter, wenn sie solche Kretins sind, daß sie uicht nach und nach merken, wie's im Hause steht — Man schickt sie für immer fort, in Pension, irgendwohin! Dritter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/334>, abgerufen am 22.07.2024.