Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.In den Tagen des Kampfes. lassen. Daraus ergiebt sich wieder eine neue dringende Notwendigkeit, daß der Wir befolgen in unsrer Pädagogik noch immer theoretisch den Satz, daß In den Tagen des Kampfes. n einer Berliner Wählerversammlung soll Herr Eugen Richter Obgleich wir uns das Staunen über Gesinnungs- und Geschmacksproben In den Tagen des Kampfes. lassen. Daraus ergiebt sich wieder eine neue dringende Notwendigkeit, daß der Wir befolgen in unsrer Pädagogik noch immer theoretisch den Satz, daß In den Tagen des Kampfes. n einer Berliner Wählerversammlung soll Herr Eugen Richter Obgleich wir uns das Staunen über Gesinnungs- und Geschmacksproben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200401"/> <fw type="header" place="top"> In den Tagen des Kampfes.</fw><lb/> <p xml:id="ID_861" prev="#ID_860"> lassen. Daraus ergiebt sich wieder eine neue dringende Notwendigkeit, daß der<lb/> Komponist durch die richtige Gesangschule hindurch gehe, ja auch selbst fleißig<lb/> mitsinge. Wer gemerkt hat, wie viel Unsangbares sich in modernen Chören, ja<lb/> schon bei I. Seb. Bach findet, der wird den Grund davon erraten. Er wird<lb/> ferner vermuten, warum Grell eine so ausgesprochene Vorliebe für die kirchlichen<lb/> Tonsätze aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert hat. Da haben wir<lb/> eben noch keine Jnstrumeutalverwöhuung, sondern reine, rhythmisch mannichfaltig<lb/> gegliederte, aber harmonisch einfache Musik edelster Art, nicht darum einfach, wie<lb/> Helmholtz meint, weil sie die modernen Akkordmittel noch nicht kannte, sondern<lb/> weil sie die Reinheit der Intonation aller glatten Verknüpfung der Akkorde und<lb/> Tonarten vorzog.</p><lb/> <p xml:id="ID_862"> Wir befolgen in unsrer Pädagogik noch immer theoretisch den Satz, daß<lb/> das Beste gerade gut genug sei für die grundlegende Bildung. Nicht das Elegante<lb/> und Moderne, sondern das im historischen Sinne Klassische dient normaler Weise<lb/> als Gcistesncchrnng. Wir treiben Cicero und Horaz, aber nicht Apulejus, wir<lb/> lesen Goethe und Schiller, aber nicht Paul Heyse; die Franzosen studiren<lb/> Corneille und Racine, obgleich sie sie nur das Knochengerüst ihrer Literatur¬<lb/> sprache nennen und einer ganz andern Manier huldigen. So sehe ich auch<lb/> Grells „Einseitigkeit" an, sie ist die schnlmüßige, strenge Hervorhebung des<lb/> wahrhaft Großen in der Musik. Mag sich die Welt dem anders gearteten zu¬<lb/> wenden, das kann niemand hindern und soll es anch nicht wollen. Aber wenn<lb/> der Staat in die Kunst eingreifen soll, und er darf es nur thun zum Zweck<lb/> der Schulung und Erziehung, so soll man ihm nicht untergeordnete Formen der<lb/> Ergötzung und des Virtnoseutums in der Kunst zu unterstützen vorschlagen,<lb/> denn die helfen sich selbst durch die Anziehung, die sie auf die breite Masse<lb/> ausüben; sondern man soll ihm in Grells Sinn die ewigen Grundlagen aller<lb/> wahren Kunst empfehlen, die darum leicht vergessen werden, weil sie nicht<lb/> prunken.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> In den Tagen des Kampfes.</head><lb/> <p xml:id="ID_863"> n einer Berliner Wählerversammlung soll Herr Eugen Richter<lb/> erklärt haben, Graf Moltke gehöre allerdings in den Reichstag,<lb/> aber nicht er dürfe gewählt werden, sondern Herr Virchow, der<lb/> ebenfalls dahin gehöre, weil er die Wunden heile, welche andre<lb/> geschlagen haben. Und zum Schlüsse soll der Redner emphatisch<lb/> ausgerufen haben: „Graf Moltke, Sieger in hundert Schlachten,<lb/> dn sollst nicht über das freisinnige Bürgertum siegen!"</p><lb/> <p xml:id="ID_864" next="#ID_865"> Obgleich wir uns das Staunen über Gesinnungs- und Geschmacksproben<lb/> des Scheichs der Freisinnigen längst abgewöhnt zu haben glaubten, würden wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0296]
In den Tagen des Kampfes.
lassen. Daraus ergiebt sich wieder eine neue dringende Notwendigkeit, daß der
Komponist durch die richtige Gesangschule hindurch gehe, ja auch selbst fleißig
mitsinge. Wer gemerkt hat, wie viel Unsangbares sich in modernen Chören, ja
schon bei I. Seb. Bach findet, der wird den Grund davon erraten. Er wird
ferner vermuten, warum Grell eine so ausgesprochene Vorliebe für die kirchlichen
Tonsätze aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert hat. Da haben wir
eben noch keine Jnstrumeutalverwöhuung, sondern reine, rhythmisch mannichfaltig
gegliederte, aber harmonisch einfache Musik edelster Art, nicht darum einfach, wie
Helmholtz meint, weil sie die modernen Akkordmittel noch nicht kannte, sondern
weil sie die Reinheit der Intonation aller glatten Verknüpfung der Akkorde und
Tonarten vorzog.
Wir befolgen in unsrer Pädagogik noch immer theoretisch den Satz, daß
das Beste gerade gut genug sei für die grundlegende Bildung. Nicht das Elegante
und Moderne, sondern das im historischen Sinne Klassische dient normaler Weise
als Gcistesncchrnng. Wir treiben Cicero und Horaz, aber nicht Apulejus, wir
lesen Goethe und Schiller, aber nicht Paul Heyse; die Franzosen studiren
Corneille und Racine, obgleich sie sie nur das Knochengerüst ihrer Literatur¬
sprache nennen und einer ganz andern Manier huldigen. So sehe ich auch
Grells „Einseitigkeit" an, sie ist die schnlmüßige, strenge Hervorhebung des
wahrhaft Großen in der Musik. Mag sich die Welt dem anders gearteten zu¬
wenden, das kann niemand hindern und soll es anch nicht wollen. Aber wenn
der Staat in die Kunst eingreifen soll, und er darf es nur thun zum Zweck
der Schulung und Erziehung, so soll man ihm nicht untergeordnete Formen der
Ergötzung und des Virtnoseutums in der Kunst zu unterstützen vorschlagen,
denn die helfen sich selbst durch die Anziehung, die sie auf die breite Masse
ausüben; sondern man soll ihm in Grells Sinn die ewigen Grundlagen aller
wahren Kunst empfehlen, die darum leicht vergessen werden, weil sie nicht
prunken.
In den Tagen des Kampfes.
n einer Berliner Wählerversammlung soll Herr Eugen Richter
erklärt haben, Graf Moltke gehöre allerdings in den Reichstag,
aber nicht er dürfe gewählt werden, sondern Herr Virchow, der
ebenfalls dahin gehöre, weil er die Wunden heile, welche andre
geschlagen haben. Und zum Schlüsse soll der Redner emphatisch
ausgerufen haben: „Graf Moltke, Sieger in hundert Schlachten,
dn sollst nicht über das freisinnige Bürgertum siegen!"
Obgleich wir uns das Staunen über Gesinnungs- und Geschmacksproben
des Scheichs der Freisinnigen längst abgewöhnt zu haben glaubten, würden wir
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