Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-böhmische Briefe.

gegen die Herrschaft und den Eigennutz der Junkerschaft verteidigte. Im Frieden
aber untergrub das Strebe" der Deutschen nach immer ausgedehnterer Selbst¬
verwaltung die alte Grafschaftsvcrfassung, welche die Grundlage der Macht
des feudalen Adels bildete. Man darf sagen: die Deutschböhmen des Mittel¬
alters erfüllten unbewußt eine Misston, die Germanisirung war, soweit sie ging,
eine Befreiung, ohne sie wäre Böhmen ein Land von tyrannischen Herren und
stumpfen Knechten geblieben, sie brachten in das träge und einförmige Dahin-
vegetiren der böhmischen Slawen Leben und Wechsel.

Im vierzehnten Jahrhundert entwickelte sich die Germanisirung in der
bisherigen Weise weiter. Der Habsburger, der Kärntner und die drei
Luxemburger, welche in dieser Periode auf dem böhmischen Throne saßen, waren
meist von Deutschen umgeben, sodaß deren Sprache am Hofe herrschte. Als
Markgraf Karl sich mit der Französin Bianca vermählte, lernte sie nicht
tschechisch, sondern deutsch; denn der Hof und die Städte bedienten sich -- wie
Peter von Zittau sagt -- dieser Sprache. Ihre drei Nachfolgerinnen an der
Seite Karls und die beiden Frauen Wenzels aber waren sämtlich Töchter
deutscher Fürstenhäuser. Mit der Verschmelzung der böhmischen Krone mit der¬
jenigen des deutschen Kaisers germanisirte sich die Prager Residenz noch mehr,
indem deutsche Fürsten sich hier eigne Häuser bauten und Gesandtschaften hielten,
ja längere Zeit selbst in der Stadt verweilten. Doch war das Verhältnis der
Könige zu ihren deutschen Unterthanen in dieser Epoche kein so gutes, als es
unter den letzten Premysliden gewesen war, namentlich die Luxemburger ver¬
hielten sich zu ihnen passiv und zuweilen geradezu feindlich. Nachdem die
Städtebürger unter Heinrich von Kärnten die Gleichberechtigung mit dein Adel
in Landtagsangelegcnheiten erlangt, aber bald wieder verloren hatten, zwang
die Aristokratie 1318 Johann von Luxemburg, "alle Rheinländer und Gäste"
aus dem Lande zu entfernen und keinem Fremden mehr ein Amt zu übertragen,
womit der Verstärkung der Deutschböhmen aus dem Mutterlande und der Be¬
günstigung jener durch stammverwandte Räte der Krone ein Ende gemacht
wurde. Ähnliche Beschränkungen kamen unter Karl IV. vor. Die Gründung
eines von Mainz unabhängigen Erzbistums in Prag blieb nicht ohne Einfluß
auf die Besetzung der geistlichen Stellen, und der weltliche Klerus rekrutirte sich
fortan immer mehr aus tschechischen Kreisen. Indes bewahrten die meisten
Klöster ihren deutschen Charakter und setzten die Ansiedelung deutscher Bauern
auf ihren Gütern fort. Desgleichen erhoben sich an verschiednen Orten neue
deutsche Städte, während die alten fortwährend an Größe und Wohlstand zu¬
nahmen. Dies gilt vor allem von Prag, wo nach dem Chronisten Benesch von
Horschowitz "jedermann seine Kinder deutsch lernen ließ," und wo reiche deutsche
Patrizierfamilien die höchsten Ämter und Würden besetzten. Ein Wolflin war
Burggraf von Pfrimburg und Unterkämmerer des Königreiches. Mehrere Mit¬
glieder des Geschlechts Wolfram bekleideten Richter- und Schoppen stellen in der


Deutsch-böhmische Briefe.

gegen die Herrschaft und den Eigennutz der Junkerschaft verteidigte. Im Frieden
aber untergrub das Strebe» der Deutschen nach immer ausgedehnterer Selbst¬
verwaltung die alte Grafschaftsvcrfassung, welche die Grundlage der Macht
des feudalen Adels bildete. Man darf sagen: die Deutschböhmen des Mittel¬
alters erfüllten unbewußt eine Misston, die Germanisirung war, soweit sie ging,
eine Befreiung, ohne sie wäre Böhmen ein Land von tyrannischen Herren und
stumpfen Knechten geblieben, sie brachten in das träge und einförmige Dahin-
vegetiren der böhmischen Slawen Leben und Wechsel.

Im vierzehnten Jahrhundert entwickelte sich die Germanisirung in der
bisherigen Weise weiter. Der Habsburger, der Kärntner und die drei
Luxemburger, welche in dieser Periode auf dem böhmischen Throne saßen, waren
meist von Deutschen umgeben, sodaß deren Sprache am Hofe herrschte. Als
Markgraf Karl sich mit der Französin Bianca vermählte, lernte sie nicht
tschechisch, sondern deutsch; denn der Hof und die Städte bedienten sich — wie
Peter von Zittau sagt — dieser Sprache. Ihre drei Nachfolgerinnen an der
Seite Karls und die beiden Frauen Wenzels aber waren sämtlich Töchter
deutscher Fürstenhäuser. Mit der Verschmelzung der böhmischen Krone mit der¬
jenigen des deutschen Kaisers germanisirte sich die Prager Residenz noch mehr,
indem deutsche Fürsten sich hier eigne Häuser bauten und Gesandtschaften hielten,
ja längere Zeit selbst in der Stadt verweilten. Doch war das Verhältnis der
Könige zu ihren deutschen Unterthanen in dieser Epoche kein so gutes, als es
unter den letzten Premysliden gewesen war, namentlich die Luxemburger ver¬
hielten sich zu ihnen passiv und zuweilen geradezu feindlich. Nachdem die
Städtebürger unter Heinrich von Kärnten die Gleichberechtigung mit dein Adel
in Landtagsangelegcnheiten erlangt, aber bald wieder verloren hatten, zwang
die Aristokratie 1318 Johann von Luxemburg, „alle Rheinländer und Gäste"
aus dem Lande zu entfernen und keinem Fremden mehr ein Amt zu übertragen,
womit der Verstärkung der Deutschböhmen aus dem Mutterlande und der Be¬
günstigung jener durch stammverwandte Räte der Krone ein Ende gemacht
wurde. Ähnliche Beschränkungen kamen unter Karl IV. vor. Die Gründung
eines von Mainz unabhängigen Erzbistums in Prag blieb nicht ohne Einfluß
auf die Besetzung der geistlichen Stellen, und der weltliche Klerus rekrutirte sich
fortan immer mehr aus tschechischen Kreisen. Indes bewahrten die meisten
Klöster ihren deutschen Charakter und setzten die Ansiedelung deutscher Bauern
auf ihren Gütern fort. Desgleichen erhoben sich an verschiednen Orten neue
deutsche Städte, während die alten fortwährend an Größe und Wohlstand zu¬
nahmen. Dies gilt vor allem von Prag, wo nach dem Chronisten Benesch von
Horschowitz „jedermann seine Kinder deutsch lernen ließ," und wo reiche deutsche
Patrizierfamilien die höchsten Ämter und Würden besetzten. Ein Wolflin war
Burggraf von Pfrimburg und Unterkämmerer des Königreiches. Mehrere Mit¬
glieder des Geschlechts Wolfram bekleideten Richter- und Schoppen stellen in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200376"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch-böhmische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_800" prev="#ID_799"> gegen die Herrschaft und den Eigennutz der Junkerschaft verteidigte. Im Frieden<lb/>
aber untergrub das Strebe» der Deutschen nach immer ausgedehnterer Selbst¬<lb/>
verwaltung die alte Grafschaftsvcrfassung, welche die Grundlage der Macht<lb/>
des feudalen Adels bildete. Man darf sagen: die Deutschböhmen des Mittel¬<lb/>
alters erfüllten unbewußt eine Misston, die Germanisirung war, soweit sie ging,<lb/>
eine Befreiung, ohne sie wäre Böhmen ein Land von tyrannischen Herren und<lb/>
stumpfen Knechten geblieben, sie brachten in das träge und einförmige Dahin-<lb/>
vegetiren der böhmischen Slawen Leben und Wechsel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_801" next="#ID_802"> Im vierzehnten Jahrhundert entwickelte sich die Germanisirung in der<lb/>
bisherigen Weise weiter. Der Habsburger, der Kärntner und die drei<lb/>
Luxemburger, welche in dieser Periode auf dem böhmischen Throne saßen, waren<lb/>
meist von Deutschen umgeben, sodaß deren Sprache am Hofe herrschte. Als<lb/>
Markgraf Karl sich mit der Französin Bianca vermählte, lernte sie nicht<lb/>
tschechisch, sondern deutsch; denn der Hof und die Städte bedienten sich &#x2014; wie<lb/>
Peter von Zittau sagt &#x2014; dieser Sprache. Ihre drei Nachfolgerinnen an der<lb/>
Seite Karls und die beiden Frauen Wenzels aber waren sämtlich Töchter<lb/>
deutscher Fürstenhäuser. Mit der Verschmelzung der böhmischen Krone mit der¬<lb/>
jenigen des deutschen Kaisers germanisirte sich die Prager Residenz noch mehr,<lb/>
indem deutsche Fürsten sich hier eigne Häuser bauten und Gesandtschaften hielten,<lb/>
ja längere Zeit selbst in der Stadt verweilten. Doch war das Verhältnis der<lb/>
Könige zu ihren deutschen Unterthanen in dieser Epoche kein so gutes, als es<lb/>
unter den letzten Premysliden gewesen war, namentlich die Luxemburger ver¬<lb/>
hielten sich zu ihnen passiv und zuweilen geradezu feindlich. Nachdem die<lb/>
Städtebürger unter Heinrich von Kärnten die Gleichberechtigung mit dein Adel<lb/>
in Landtagsangelegcnheiten erlangt, aber bald wieder verloren hatten, zwang<lb/>
die Aristokratie 1318 Johann von Luxemburg, &#x201E;alle Rheinländer und Gäste"<lb/>
aus dem Lande zu entfernen und keinem Fremden mehr ein Amt zu übertragen,<lb/>
womit der Verstärkung der Deutschböhmen aus dem Mutterlande und der Be¬<lb/>
günstigung jener durch stammverwandte Räte der Krone ein Ende gemacht<lb/>
wurde. Ähnliche Beschränkungen kamen unter Karl IV. vor. Die Gründung<lb/>
eines von Mainz unabhängigen Erzbistums in Prag blieb nicht ohne Einfluß<lb/>
auf die Besetzung der geistlichen Stellen, und der weltliche Klerus rekrutirte sich<lb/>
fortan immer mehr aus tschechischen Kreisen. Indes bewahrten die meisten<lb/>
Klöster ihren deutschen Charakter und setzten die Ansiedelung deutscher Bauern<lb/>
auf ihren Gütern fort. Desgleichen erhoben sich an verschiednen Orten neue<lb/>
deutsche Städte, während die alten fortwährend an Größe und Wohlstand zu¬<lb/>
nahmen. Dies gilt vor allem von Prag, wo nach dem Chronisten Benesch von<lb/>
Horschowitz &#x201E;jedermann seine Kinder deutsch lernen ließ," und wo reiche deutsche<lb/>
Patrizierfamilien die höchsten Ämter und Würden besetzten. Ein Wolflin war<lb/>
Burggraf von Pfrimburg und Unterkämmerer des Königreiches. Mehrere Mit¬<lb/>
glieder des Geschlechts Wolfram bekleideten Richter- und Schoppen stellen in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Deutsch-böhmische Briefe. gegen die Herrschaft und den Eigennutz der Junkerschaft verteidigte. Im Frieden aber untergrub das Strebe» der Deutschen nach immer ausgedehnterer Selbst¬ verwaltung die alte Grafschaftsvcrfassung, welche die Grundlage der Macht des feudalen Adels bildete. Man darf sagen: die Deutschböhmen des Mittel¬ alters erfüllten unbewußt eine Misston, die Germanisirung war, soweit sie ging, eine Befreiung, ohne sie wäre Böhmen ein Land von tyrannischen Herren und stumpfen Knechten geblieben, sie brachten in das träge und einförmige Dahin- vegetiren der böhmischen Slawen Leben und Wechsel. Im vierzehnten Jahrhundert entwickelte sich die Germanisirung in der bisherigen Weise weiter. Der Habsburger, der Kärntner und die drei Luxemburger, welche in dieser Periode auf dem böhmischen Throne saßen, waren meist von Deutschen umgeben, sodaß deren Sprache am Hofe herrschte. Als Markgraf Karl sich mit der Französin Bianca vermählte, lernte sie nicht tschechisch, sondern deutsch; denn der Hof und die Städte bedienten sich — wie Peter von Zittau sagt — dieser Sprache. Ihre drei Nachfolgerinnen an der Seite Karls und die beiden Frauen Wenzels aber waren sämtlich Töchter deutscher Fürstenhäuser. Mit der Verschmelzung der böhmischen Krone mit der¬ jenigen des deutschen Kaisers germanisirte sich die Prager Residenz noch mehr, indem deutsche Fürsten sich hier eigne Häuser bauten und Gesandtschaften hielten, ja längere Zeit selbst in der Stadt verweilten. Doch war das Verhältnis der Könige zu ihren deutschen Unterthanen in dieser Epoche kein so gutes, als es unter den letzten Premysliden gewesen war, namentlich die Luxemburger ver¬ hielten sich zu ihnen passiv und zuweilen geradezu feindlich. Nachdem die Städtebürger unter Heinrich von Kärnten die Gleichberechtigung mit dein Adel in Landtagsangelegcnheiten erlangt, aber bald wieder verloren hatten, zwang die Aristokratie 1318 Johann von Luxemburg, „alle Rheinländer und Gäste" aus dem Lande zu entfernen und keinem Fremden mehr ein Amt zu übertragen, womit der Verstärkung der Deutschböhmen aus dem Mutterlande und der Be¬ günstigung jener durch stammverwandte Räte der Krone ein Ende gemacht wurde. Ähnliche Beschränkungen kamen unter Karl IV. vor. Die Gründung eines von Mainz unabhängigen Erzbistums in Prag blieb nicht ohne Einfluß auf die Besetzung der geistlichen Stellen, und der weltliche Klerus rekrutirte sich fortan immer mehr aus tschechischen Kreisen. Indes bewahrten die meisten Klöster ihren deutschen Charakter und setzten die Ansiedelung deutscher Bauern auf ihren Gütern fort. Desgleichen erhoben sich an verschiednen Orten neue deutsche Städte, während die alten fortwährend an Größe und Wohlstand zu¬ nahmen. Dies gilt vor allem von Prag, wo nach dem Chronisten Benesch von Horschowitz „jedermann seine Kinder deutsch lernen ließ," und wo reiche deutsche Patrizierfamilien die höchsten Ämter und Würden besetzten. Ein Wolflin war Burggraf von Pfrimburg und Unterkämmerer des Königreiches. Mehrere Mit¬ glieder des Geschlechts Wolfram bekleideten Richter- und Schoppen stellen in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/271>, abgerufen am 22.07.2024.