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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Sänger höherer und niedriger Art nicht fehlen. Er folgte dem Ritter an den Hof,
dem Kaufmann und Handwerker in die Städte, dem Mönche und Bauersmanne
auf das platte Land. Wie Reinmar von Zweier an Wenzels I. Hofe gesungen hatte,
so lebte in Ottokars II. Umgebung der Kärntner Minnesänger Friedrich von
Sonnenburg, in Wenzels II. Residenz Ulrich von Eschenbach. Unter der Re¬
gierung desselben Königs schrieb Heinrich von Freiberg im Auftrage des
böhmischen Herrn Raimund von Lichtenburg seine Fortsetzung von "Tristan
und Isolde," der Dichtung Gottfrieds von Straßburg. Aus der alten deutscheu
Stadt Eger stammten die beiden Spcrvogel, die frühesten Dichter des Böhmcr-
landes.

Die Premysliden ließen sich bei der Berufung der Deutschen nach Böhmen
nicht bloß durch wirtschaftliche, sondern auch durch politische Gründe leiten.
Sie erwarteten von ihnen bessere und allgemeinere Urbarmachung und Bebauung
der Kronbcsitzungcn, Hebung des Handels und der Gewerbe und Anlegung von
Schulen, und sie wurden darin nicht getäuscht. Die Einnahme der Könige,
bei der Armut des tschechischen Landvolkes und der widerspenstigen Großen
bisher nur gering, stieg durch intensivere Kultur ihrer Güter, durch Kaufgelder,
welche die Einwanderer für Anteile an denselben entrichteten, durch Spenden,
mit denen die Städte für neue Privilegien oder Bestätigung der alten zahlten,
durch Geldbeiträge zur Handhabung der Straßenpolizei, durch Zoll und Geleite,
durch direkte Steuern und namentlich durch die Ausbeute der Bergwerke, welche
die Deutschen anlegten, bearbeiteten und leiteten. Dazu aber kam die Stütze,
welche die königliche Gewalt sich an den deutschen Städten und Bürgern ge¬
wann. Fast jeder Herzog und später fast jeder König hatte einen trotzigen
Adel zu bekämpfen. Im tschechischen Bciuernvvlke sah er kein Element, dessen
er sich gegen die Ansprüche und die Unfügsamkeit der Herren bedienen konnte,
und so richteten schon früh weitblickende Fürsten die Angen ans die deutschen
Nachbarn. Wahrscheinlich ist, daß König Wradislaw I., der den Grund zur
Entstehung des deutsch-böhmischen Bürgertums legte, durch den Kampf Kaiser
Heinrichs IV. mit seinem hohen Adel auf die Bedeutung jenes Standes für die
Monarchie aufmerksam geworden war, da der böhmische Fürst gesehen hatte,
welch ein treuer und kräftiger Bundesgenosse der Bürger dein Nachbar war.
Gewiß aber ist, daß das deutsche Bürgertum, als es in Böhmen festen Fuß
gefaßt und sich zu Wohlstand und Macht entwickelt hatte, dem Königtume in
seinem sich immer wiederholenden Kampfe mit dem Adel treffliche Dienste geleistet
hat. Es verteidigte mit seiner Unterstützung des Monarchen eben sein eignes
Interesse. Das Geld der reichen städtischen Kaufherren gewährte Mittel zur
Ausrüstung und Erhaltung königlicher Heere, die Mauern, Türme n"d Gräben
der königlichen Städte bildeten stärkere militärische Bollwerke als die Adelsburgen,
und die deutschen Bürger und Bauern schwangen Schwert und Spieß für ihren
Fürsten umso kräftiger, als er mit seinem Rechte ihre Freiheit und Sicherheit


Deutsch-böhmische Briefe.

Sänger höherer und niedriger Art nicht fehlen. Er folgte dem Ritter an den Hof,
dem Kaufmann und Handwerker in die Städte, dem Mönche und Bauersmanne
auf das platte Land. Wie Reinmar von Zweier an Wenzels I. Hofe gesungen hatte,
so lebte in Ottokars II. Umgebung der Kärntner Minnesänger Friedrich von
Sonnenburg, in Wenzels II. Residenz Ulrich von Eschenbach. Unter der Re¬
gierung desselben Königs schrieb Heinrich von Freiberg im Auftrage des
böhmischen Herrn Raimund von Lichtenburg seine Fortsetzung von „Tristan
und Isolde," der Dichtung Gottfrieds von Straßburg. Aus der alten deutscheu
Stadt Eger stammten die beiden Spcrvogel, die frühesten Dichter des Böhmcr-
landes.

Die Premysliden ließen sich bei der Berufung der Deutschen nach Böhmen
nicht bloß durch wirtschaftliche, sondern auch durch politische Gründe leiten.
Sie erwarteten von ihnen bessere und allgemeinere Urbarmachung und Bebauung
der Kronbcsitzungcn, Hebung des Handels und der Gewerbe und Anlegung von
Schulen, und sie wurden darin nicht getäuscht. Die Einnahme der Könige,
bei der Armut des tschechischen Landvolkes und der widerspenstigen Großen
bisher nur gering, stieg durch intensivere Kultur ihrer Güter, durch Kaufgelder,
welche die Einwanderer für Anteile an denselben entrichteten, durch Spenden,
mit denen die Städte für neue Privilegien oder Bestätigung der alten zahlten,
durch Geldbeiträge zur Handhabung der Straßenpolizei, durch Zoll und Geleite,
durch direkte Steuern und namentlich durch die Ausbeute der Bergwerke, welche
die Deutschen anlegten, bearbeiteten und leiteten. Dazu aber kam die Stütze,
welche die königliche Gewalt sich an den deutschen Städten und Bürgern ge¬
wann. Fast jeder Herzog und später fast jeder König hatte einen trotzigen
Adel zu bekämpfen. Im tschechischen Bciuernvvlke sah er kein Element, dessen
er sich gegen die Ansprüche und die Unfügsamkeit der Herren bedienen konnte,
und so richteten schon früh weitblickende Fürsten die Angen ans die deutschen
Nachbarn. Wahrscheinlich ist, daß König Wradislaw I., der den Grund zur
Entstehung des deutsch-böhmischen Bürgertums legte, durch den Kampf Kaiser
Heinrichs IV. mit seinem hohen Adel auf die Bedeutung jenes Standes für die
Monarchie aufmerksam geworden war, da der böhmische Fürst gesehen hatte,
welch ein treuer und kräftiger Bundesgenosse der Bürger dein Nachbar war.
Gewiß aber ist, daß das deutsche Bürgertum, als es in Böhmen festen Fuß
gefaßt und sich zu Wohlstand und Macht entwickelt hatte, dem Königtume in
seinem sich immer wiederholenden Kampfe mit dem Adel treffliche Dienste geleistet
hat. Es verteidigte mit seiner Unterstützung des Monarchen eben sein eignes
Interesse. Das Geld der reichen städtischen Kaufherren gewährte Mittel zur
Ausrüstung und Erhaltung königlicher Heere, die Mauern, Türme n»d Gräben
der königlichen Städte bildeten stärkere militärische Bollwerke als die Adelsburgen,
und die deutschen Bürger und Bauern schwangen Schwert und Spieß für ihren
Fürsten umso kräftiger, als er mit seinem Rechte ihre Freiheit und Sicherheit


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[0270] Deutsch-böhmische Briefe. Sänger höherer und niedriger Art nicht fehlen. Er folgte dem Ritter an den Hof, dem Kaufmann und Handwerker in die Städte, dem Mönche und Bauersmanne auf das platte Land. Wie Reinmar von Zweier an Wenzels I. Hofe gesungen hatte, so lebte in Ottokars II. Umgebung der Kärntner Minnesänger Friedrich von Sonnenburg, in Wenzels II. Residenz Ulrich von Eschenbach. Unter der Re¬ gierung desselben Königs schrieb Heinrich von Freiberg im Auftrage des böhmischen Herrn Raimund von Lichtenburg seine Fortsetzung von „Tristan und Isolde," der Dichtung Gottfrieds von Straßburg. Aus der alten deutscheu Stadt Eger stammten die beiden Spcrvogel, die frühesten Dichter des Böhmcr- landes. Die Premysliden ließen sich bei der Berufung der Deutschen nach Böhmen nicht bloß durch wirtschaftliche, sondern auch durch politische Gründe leiten. Sie erwarteten von ihnen bessere und allgemeinere Urbarmachung und Bebauung der Kronbcsitzungcn, Hebung des Handels und der Gewerbe und Anlegung von Schulen, und sie wurden darin nicht getäuscht. Die Einnahme der Könige, bei der Armut des tschechischen Landvolkes und der widerspenstigen Großen bisher nur gering, stieg durch intensivere Kultur ihrer Güter, durch Kaufgelder, welche die Einwanderer für Anteile an denselben entrichteten, durch Spenden, mit denen die Städte für neue Privilegien oder Bestätigung der alten zahlten, durch Geldbeiträge zur Handhabung der Straßenpolizei, durch Zoll und Geleite, durch direkte Steuern und namentlich durch die Ausbeute der Bergwerke, welche die Deutschen anlegten, bearbeiteten und leiteten. Dazu aber kam die Stütze, welche die königliche Gewalt sich an den deutschen Städten und Bürgern ge¬ wann. Fast jeder Herzog und später fast jeder König hatte einen trotzigen Adel zu bekämpfen. Im tschechischen Bciuernvvlke sah er kein Element, dessen er sich gegen die Ansprüche und die Unfügsamkeit der Herren bedienen konnte, und so richteten schon früh weitblickende Fürsten die Angen ans die deutschen Nachbarn. Wahrscheinlich ist, daß König Wradislaw I., der den Grund zur Entstehung des deutsch-böhmischen Bürgertums legte, durch den Kampf Kaiser Heinrichs IV. mit seinem hohen Adel auf die Bedeutung jenes Standes für die Monarchie aufmerksam geworden war, da der böhmische Fürst gesehen hatte, welch ein treuer und kräftiger Bundesgenosse der Bürger dein Nachbar war. Gewiß aber ist, daß das deutsche Bürgertum, als es in Böhmen festen Fuß gefaßt und sich zu Wohlstand und Macht entwickelt hatte, dem Königtume in seinem sich immer wiederholenden Kampfe mit dem Adel treffliche Dienste geleistet hat. Es verteidigte mit seiner Unterstützung des Monarchen eben sein eignes Interesse. Das Geld der reichen städtischen Kaufherren gewährte Mittel zur Ausrüstung und Erhaltung königlicher Heere, die Mauern, Türme n»d Gräben der königlichen Städte bildeten stärkere militärische Bollwerke als die Adelsburgen, und die deutschen Bürger und Bauern schwangen Schwert und Spieß für ihren Fürsten umso kräftiger, als er mit seinem Rechte ihre Freiheit und Sicherheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/270>, abgerufen am 23.12.2024.