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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Altstadt, ein Ebcrlin vom Steine war Gesandter, ein Rothlöw war so reich,
daß er 1355 dem Kaiser auf eigne Kosten hundertzwanzig Reiter, alle trefflich
beritten und gleich bewaffnet, nach Italien nachsenden und ihm eine Schuld
von 100 000 Goldgulden erlassen konnte. Das Prager Stadtrecht neigte zu
dem der schwäbischen Städte hin, war aber zugleich vom Nürnberger, Regens¬
burger, Bamberger und Magdeburger beeinflußt. Das Gemeindewesen war
wohlgeordnet. Der Geist der Assoziation hatte Kaufleute und Handwerker zu
Gilden und Zünften vereinigt, unter denen die Goldschmiede und die der Tuch¬
händler hervorragten. Ähnlicher Einrichtungen und ähnlichen Aufschwunges zu
Wohlstand erfreuten sich viele deutsche Landstädte, z. B. Pilsen, Eger, Aussig,
Budweis, Kuttenberg, Kaaden, Metrik, Leitmcritz und Prachatitz. Kuttenberg
war nach Prag die mächtigste und wohlhabendste Stadt des Landes und mit
diesem an der Spitze des Kampfes, welchen das deutsche Bürgertum gegen die
Anmaßung des Adels führte. Sein Bergbau war wie der böhmische überhaupt
fast ausschließlich in deutscheu Händen. Kunst und Wissenschaft, welche
unter der Regierung Karls IV. zu hoher Blüte gediehe", hatten deutsche Kory¬
phäen. Deutsche Künstler dieser Jahre waren Theuderich von Prag, Niklas
Wurmser von Straßbnrg, Martin von Klussenbach und sein Bruder Georg,
endlich Peter Arler von schwäbisch-Gmünd, der Erbauer des Domes und der
Brücke in Prag, und dessen Söhne Wenzel und Johann. An die Stelle der
Minnesänger traten deutsche Meisterscinger, die 1376 einen Freibrief und Wappen¬
recht erhielten. Über alledem erhob sich 1368 in Böhmen, damals dem vor¬
nehmsten weltlichen Kurfürstentums des deutscheu Reiches, die Universität als
keine bloße Landesanstalt, sondern als Hochschule für die Welt mit vorwiegend
deutschen Professoren und Studenten. Das bezeugt nicht bloß ihre Gründungs¬
urkunde, sondern auch die Nationalität ihrer ersten Lehrkräfte. Unter den sechs-
undsechzig Dekanen, welche die philosophische Fakultät vou 1368 bis 1400 besaß,
befanden sich vierundfünfzig Deutsche und nur zwölf Tschechen. Der erste
Rektor der Karolina war Nikolaus von Kolberg, und ihm folgten im Amte
die deutschen Magister Wcstfal und Friedmann. In der theologischen Fakultät
zeichneten sich aus: Hermann von Winterswig, Johann Marienwerder aus dem
Orden der Kreuzritter, Nikolaus von Guben. Mathcius von Krokow, später
Bischof von Worms, und Konrad Soltow, der berühmte Erklärer des Petrus
Lombardus, der zuletzt nach Heidelberg berufen wurde. Unter den Juristen
treten hervor: Wilhelm Dekan von Hamburg, Ludwig Talhcin, Johann von
Dülmen und Georg von Bor, unter den Medizinern Balthasar von Taus und
Doktor Walter. Wie vou deu Professoren der bei weitem größere Teil der
deutscheu Nationalität angehörte, so auch von den Studenten. Von den vier
Nationen, in welche die Universität sich teilte, waren die sächsische und die
baierische rein deutsch, die polnische war mehr deutsch als slawisch, und selbst
in der böhmischen befanden sich Deutsche aus Böhmen, Mähren und Ungarn.


Deutsch-böhmische Briefe.

Altstadt, ein Ebcrlin vom Steine war Gesandter, ein Rothlöw war so reich,
daß er 1355 dem Kaiser auf eigne Kosten hundertzwanzig Reiter, alle trefflich
beritten und gleich bewaffnet, nach Italien nachsenden und ihm eine Schuld
von 100 000 Goldgulden erlassen konnte. Das Prager Stadtrecht neigte zu
dem der schwäbischen Städte hin, war aber zugleich vom Nürnberger, Regens¬
burger, Bamberger und Magdeburger beeinflußt. Das Gemeindewesen war
wohlgeordnet. Der Geist der Assoziation hatte Kaufleute und Handwerker zu
Gilden und Zünften vereinigt, unter denen die Goldschmiede und die der Tuch¬
händler hervorragten. Ähnlicher Einrichtungen und ähnlichen Aufschwunges zu
Wohlstand erfreuten sich viele deutsche Landstädte, z. B. Pilsen, Eger, Aussig,
Budweis, Kuttenberg, Kaaden, Metrik, Leitmcritz und Prachatitz. Kuttenberg
war nach Prag die mächtigste und wohlhabendste Stadt des Landes und mit
diesem an der Spitze des Kampfes, welchen das deutsche Bürgertum gegen die
Anmaßung des Adels führte. Sein Bergbau war wie der böhmische überhaupt
fast ausschließlich in deutscheu Händen. Kunst und Wissenschaft, welche
unter der Regierung Karls IV. zu hoher Blüte gediehe», hatten deutsche Kory¬
phäen. Deutsche Künstler dieser Jahre waren Theuderich von Prag, Niklas
Wurmser von Straßbnrg, Martin von Klussenbach und sein Bruder Georg,
endlich Peter Arler von schwäbisch-Gmünd, der Erbauer des Domes und der
Brücke in Prag, und dessen Söhne Wenzel und Johann. An die Stelle der
Minnesänger traten deutsche Meisterscinger, die 1376 einen Freibrief und Wappen¬
recht erhielten. Über alledem erhob sich 1368 in Böhmen, damals dem vor¬
nehmsten weltlichen Kurfürstentums des deutscheu Reiches, die Universität als
keine bloße Landesanstalt, sondern als Hochschule für die Welt mit vorwiegend
deutschen Professoren und Studenten. Das bezeugt nicht bloß ihre Gründungs¬
urkunde, sondern auch die Nationalität ihrer ersten Lehrkräfte. Unter den sechs-
undsechzig Dekanen, welche die philosophische Fakultät vou 1368 bis 1400 besaß,
befanden sich vierundfünfzig Deutsche und nur zwölf Tschechen. Der erste
Rektor der Karolina war Nikolaus von Kolberg, und ihm folgten im Amte
die deutschen Magister Wcstfal und Friedmann. In der theologischen Fakultät
zeichneten sich aus: Hermann von Winterswig, Johann Marienwerder aus dem
Orden der Kreuzritter, Nikolaus von Guben. Mathcius von Krokow, später
Bischof von Worms, und Konrad Soltow, der berühmte Erklärer des Petrus
Lombardus, der zuletzt nach Heidelberg berufen wurde. Unter den Juristen
treten hervor: Wilhelm Dekan von Hamburg, Ludwig Talhcin, Johann von
Dülmen und Georg von Bor, unter den Medizinern Balthasar von Taus und
Doktor Walter. Wie vou deu Professoren der bei weitem größere Teil der
deutscheu Nationalität angehörte, so auch von den Studenten. Von den vier
Nationen, in welche die Universität sich teilte, waren die sächsische und die
baierische rein deutsch, die polnische war mehr deutsch als slawisch, und selbst
in der böhmischen befanden sich Deutsche aus Böhmen, Mähren und Ungarn.


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[0272] Deutsch-böhmische Briefe. Altstadt, ein Ebcrlin vom Steine war Gesandter, ein Rothlöw war so reich, daß er 1355 dem Kaiser auf eigne Kosten hundertzwanzig Reiter, alle trefflich beritten und gleich bewaffnet, nach Italien nachsenden und ihm eine Schuld von 100 000 Goldgulden erlassen konnte. Das Prager Stadtrecht neigte zu dem der schwäbischen Städte hin, war aber zugleich vom Nürnberger, Regens¬ burger, Bamberger und Magdeburger beeinflußt. Das Gemeindewesen war wohlgeordnet. Der Geist der Assoziation hatte Kaufleute und Handwerker zu Gilden und Zünften vereinigt, unter denen die Goldschmiede und die der Tuch¬ händler hervorragten. Ähnlicher Einrichtungen und ähnlichen Aufschwunges zu Wohlstand erfreuten sich viele deutsche Landstädte, z. B. Pilsen, Eger, Aussig, Budweis, Kuttenberg, Kaaden, Metrik, Leitmcritz und Prachatitz. Kuttenberg war nach Prag die mächtigste und wohlhabendste Stadt des Landes und mit diesem an der Spitze des Kampfes, welchen das deutsche Bürgertum gegen die Anmaßung des Adels führte. Sein Bergbau war wie der böhmische überhaupt fast ausschließlich in deutscheu Händen. Kunst und Wissenschaft, welche unter der Regierung Karls IV. zu hoher Blüte gediehe», hatten deutsche Kory¬ phäen. Deutsche Künstler dieser Jahre waren Theuderich von Prag, Niklas Wurmser von Straßbnrg, Martin von Klussenbach und sein Bruder Georg, endlich Peter Arler von schwäbisch-Gmünd, der Erbauer des Domes und der Brücke in Prag, und dessen Söhne Wenzel und Johann. An die Stelle der Minnesänger traten deutsche Meisterscinger, die 1376 einen Freibrief und Wappen¬ recht erhielten. Über alledem erhob sich 1368 in Böhmen, damals dem vor¬ nehmsten weltlichen Kurfürstentums des deutscheu Reiches, die Universität als keine bloße Landesanstalt, sondern als Hochschule für die Welt mit vorwiegend deutschen Professoren und Studenten. Das bezeugt nicht bloß ihre Gründungs¬ urkunde, sondern auch die Nationalität ihrer ersten Lehrkräfte. Unter den sechs- undsechzig Dekanen, welche die philosophische Fakultät vou 1368 bis 1400 besaß, befanden sich vierundfünfzig Deutsche und nur zwölf Tschechen. Der erste Rektor der Karolina war Nikolaus von Kolberg, und ihm folgten im Amte die deutschen Magister Wcstfal und Friedmann. In der theologischen Fakultät zeichneten sich aus: Hermann von Winterswig, Johann Marienwerder aus dem Orden der Kreuzritter, Nikolaus von Guben. Mathcius von Krokow, später Bischof von Worms, und Konrad Soltow, der berühmte Erklärer des Petrus Lombardus, der zuletzt nach Heidelberg berufen wurde. Unter den Juristen treten hervor: Wilhelm Dekan von Hamburg, Ludwig Talhcin, Johann von Dülmen und Georg von Bor, unter den Medizinern Balthasar von Taus und Doktor Walter. Wie vou deu Professoren der bei weitem größere Teil der deutscheu Nationalität angehörte, so auch von den Studenten. Von den vier Nationen, in welche die Universität sich teilte, waren die sächsische und die baierische rein deutsch, die polnische war mehr deutsch als slawisch, und selbst in der böhmischen befanden sich Deutsche aus Böhmen, Mähren und Ungarn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/272>, abgerufen am 22.07.2024.