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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Kriegswolke im lveston.

ist. Den bescheidenen Versuchen, unser deutsches Eisenbahnnetz an einigen Stellen
für militärische Zwecke zu ergänzen und zu verbessern, steht auf französischer
Seite ein großartiges Bahnsystcm gegenüber, welches vorwiegend solchen Zwecken
dient. Ein Überblick über die seit 1871 entstandenen französischen Militärbahnen,
den Köttschau giebt, läßt erkennen, daß der Aufmarsch der republikanischen
Armeen in den vorbereiteten Stellungen, sowie derjenigen ihrer Avantgarden in
den dicht an der deutschen Grenze gelegenen Gegenden mit außerordentlicher
Schnelligkeit bewirkt werden kann, daß jedes der befestigten Lager im Osten
mit den übrigen direkt und meist mehrfach durch die Eisenbahn verbunden ist,
daß ferner hinter der ersten Verteidigungslinie geeignete Teile des Terrains
für die Zusammenziehung einzelner Heere zu einem einzigen großen mit besondern
Bahnen ausgestattet sind, und daß endlich die Verschiebung sehr bedeutender
Truppenmassen auf sehr weite Entfernungen ermöglicht worden ist. Die Franzosen
haben mit einer Ausgabe von dreißig Millionen Franks ihre Bahnhöfe und ihr
rollendes Material so eingerichtet, daß die Einschiffung, Beförderung und Aus¬
schiffung von ganzen Divisionen, ja von Armeekorps in kürzester Frist ohne
Störung bewerkstelligt werden kann. Sie sind für die Defensive mehr als hin¬
reichend gerüstet, aber auch für die Offensive. Wir stehen ihnen in Betreff aller
Waffengattungen -- einzig die Kavallerie ausgenommen --, was die Zahl der
Mannschaften anlangt, schon jetzt erheblich nach, und würden ihnen nach Ausfüh¬
rung der Boulangcrschen Reorganisation noch weit mehr nachstehen. Zwar wird
unsre numerische Schwäche teilweise dadurch aufgewogen, daß der deutsche Soldat
durchschnittlich kräftiger, besser geschult und schon in der nächsten Zeit mit dem
Nepetirgewehr bewaffnet sein wird, während der französische, wenn der drohende
Krieg bald ausbräche, ohne ein solches uns gegenübertreten würde. Deutsch¬
land besitzt ferner eine Anzahl erfahrener Generale, bewährte Meister in der
Kriegskunst, und ein Korps von Stabs- und Regimentsvffiziren, wie es die
Welt uoch ni< so trefflich sah, während sich die französischen Befehlshaber
von Armeekorps und Divisionen, mit einigen ehrenvollen Ausnahmen, noch keinen
besondern Ruf der Befähigung erworben haben, und die Offiziere niederer Rang¬
stufe hinsichtlich ihrer technischen Geschicklichkeit und ihres Einflusses auf die
Mannschaft allen Berichten zufolge noch tief unter dem durchschnittlichen Werte
der deutschen stehen. Trotz alledem aber ist die gegenwärtige Ungleichheit der
deutschen und der französischen Streitkräfte -- d. h. der nach etwa vierzehntägiger
Mobilisiruug zu rascher und massenhafter Aktion verwendbaren -- ein Umstand
von so ernster Bedeutung, daß die militärischen und politischen Wächter der
Sicherheit des deutschen Reiches ihn nicht mehr mit Gleichmut betrachten und
seine Fortdauer dulden durften. Es war eine schwere Gefahr, die schleunige
Beseitigung dringend erforderte, und zwar umsomehr, als auch im Osten
der Himmel nicht ganz so wolkenrein war, als man wünschen mußte, wenn man
einem Kriege mit den Franzosen trotz ihrer Übermacht mit einiger Zuversicht


Die Kriegswolke im lveston.

ist. Den bescheidenen Versuchen, unser deutsches Eisenbahnnetz an einigen Stellen
für militärische Zwecke zu ergänzen und zu verbessern, steht auf französischer
Seite ein großartiges Bahnsystcm gegenüber, welches vorwiegend solchen Zwecken
dient. Ein Überblick über die seit 1871 entstandenen französischen Militärbahnen,
den Köttschau giebt, läßt erkennen, daß der Aufmarsch der republikanischen
Armeen in den vorbereiteten Stellungen, sowie derjenigen ihrer Avantgarden in
den dicht an der deutschen Grenze gelegenen Gegenden mit außerordentlicher
Schnelligkeit bewirkt werden kann, daß jedes der befestigten Lager im Osten
mit den übrigen direkt und meist mehrfach durch die Eisenbahn verbunden ist,
daß ferner hinter der ersten Verteidigungslinie geeignete Teile des Terrains
für die Zusammenziehung einzelner Heere zu einem einzigen großen mit besondern
Bahnen ausgestattet sind, und daß endlich die Verschiebung sehr bedeutender
Truppenmassen auf sehr weite Entfernungen ermöglicht worden ist. Die Franzosen
haben mit einer Ausgabe von dreißig Millionen Franks ihre Bahnhöfe und ihr
rollendes Material so eingerichtet, daß die Einschiffung, Beförderung und Aus¬
schiffung von ganzen Divisionen, ja von Armeekorps in kürzester Frist ohne
Störung bewerkstelligt werden kann. Sie sind für die Defensive mehr als hin¬
reichend gerüstet, aber auch für die Offensive. Wir stehen ihnen in Betreff aller
Waffengattungen — einzig die Kavallerie ausgenommen —, was die Zahl der
Mannschaften anlangt, schon jetzt erheblich nach, und würden ihnen nach Ausfüh¬
rung der Boulangcrschen Reorganisation noch weit mehr nachstehen. Zwar wird
unsre numerische Schwäche teilweise dadurch aufgewogen, daß der deutsche Soldat
durchschnittlich kräftiger, besser geschult und schon in der nächsten Zeit mit dem
Nepetirgewehr bewaffnet sein wird, während der französische, wenn der drohende
Krieg bald ausbräche, ohne ein solches uns gegenübertreten würde. Deutsch¬
land besitzt ferner eine Anzahl erfahrener Generale, bewährte Meister in der
Kriegskunst, und ein Korps von Stabs- und Regimentsvffiziren, wie es die
Welt uoch ni< so trefflich sah, während sich die französischen Befehlshaber
von Armeekorps und Divisionen, mit einigen ehrenvollen Ausnahmen, noch keinen
besondern Ruf der Befähigung erworben haben, und die Offiziere niederer Rang¬
stufe hinsichtlich ihrer technischen Geschicklichkeit und ihres Einflusses auf die
Mannschaft allen Berichten zufolge noch tief unter dem durchschnittlichen Werte
der deutschen stehen. Trotz alledem aber ist die gegenwärtige Ungleichheit der
deutschen und der französischen Streitkräfte — d. h. der nach etwa vierzehntägiger
Mobilisiruug zu rascher und massenhafter Aktion verwendbaren — ein Umstand
von so ernster Bedeutung, daß die militärischen und politischen Wächter der
Sicherheit des deutschen Reiches ihn nicht mehr mit Gleichmut betrachten und
seine Fortdauer dulden durften. Es war eine schwere Gefahr, die schleunige
Beseitigung dringend erforderte, und zwar umsomehr, als auch im Osten
der Himmel nicht ganz so wolkenrein war, als man wünschen mußte, wenn man
einem Kriege mit den Franzosen trotz ihrer Übermacht mit einiger Zuversicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/262>, abgerufen am 03.07.2024.