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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Kriegswolke im Richter.

Gewehre, Munition und die zur Mobilisirung dieser Infanterie erforderlichen
Wagen sind reichlich vorhanden. Bewassnet ist dieselbe mit dem 1874 sür
Mctallpatronen umgeänderten Chassepotgewehr, welches soweit schießt wie das
deutsche und wie dieses in ein Nepetirgewehr umgewandelt werden soll. Auch
ihr Degenbajonnet gleicht dem deutschen. Die Reiterei zerfällt in Kürassiere, 12,
Dragoner, 26, Jäger zu Pferde, 20, Husaren, 12, afrikanische Jäger, 4, und
Spahis, ebenfalls 4 Regimenter. Die zweite und vierte Division derselben stehen
dicht oder doch nahe an der deutschen Grenze. Alle Reiter führen Säbel, die
Kürassiere Revolver, die übrigen Karabiner nach dem System Gras. Das
Pferdematerial ist nicht so gut wie das deutsche, die Einübung der Leute aber
besser als vor 1870, und so ist an der Leistungsfähigkeit dieser Waffe im Kriege
nicht zu zweifeln, nur wird sie der unsrer Kavallerie im ganzen nicht gleich¬
kommen. Die Artillerie ist der unsern in der Zahl der Geschütze überlegen,
schwerlich aber in der Güte des Materials derselben. Die französischen Feld¬
kanonen nach dem System de Bange sind nicht besser als die deutschen, ihre
Munition enthält Granaten, Shrcivnells und Kartätschen in nahezu demselben
Verhältnis wie die unsrer Feldartillerie, "der Kenner gewinnt -- wie Köttschau
sagt -- bei dem Vergleiche der einander nach Material und Form sehr ähnlichen
Geschütze und ihres Zubehörs deu Eindruck, daß die französische Artillerie
extreme Leistungen in Anfangsgeschwindigkeit und Schußweite angestrebt hat,
während die deutsche vorwiegend Einfachheit und Dauerhaftigkeit des Materials
sowie eine gute Wirkung auf mittlere Entfernungen im Ange hatte." Französische
Berechnungen stellen dem Revancheheer nicht weniger als 530 063 Artilleristen
zur Verfügung, doch ist nur die Hälfte dieser Zahl vollständig ausgebildet,
122 623 gehören zu den Leuten, die immer nur auf dem geduldigen Papiere
standen, die übrigen 181 874 werden als einigermaßen geschult zu betrachten sein.

Sehr wichtig ist für einen zukünftigen Krieg zwischen uns und den Fran¬
zosen die fortifikatorische Rüstung, welche die Franzosen ihrem Lande von der
Ostgrenze bis nach Paris mit Einschluß dieser Stadt in den letzten Jahren an¬
gelegt haben. Zunächst haben sie die 33 Meilen lange Strecke von der Schweizer¬
grenze bis an die belgische in eine erste Verteidigungslinie verwandelt. Belfort,
Epinal, Tout und Verdun sind durch Anlegung weit vorgeschobener Forts in
große verschanzte Lager umgestaltet, und die Zwischenräume zwischen diesen
Orten dnrch eine Reihe andrer Forts mit weittragenden Geschützen geschlossen
worden. Etwa zehn Meilen hinter dieser ersten Verteidigungslinie hat man eine
zweite hergestellt, deren rechter Flügel durch die verschanzten Lager Behar^-vn,
Dijon und Langres, und deren linker durch die von Reims und Laon bezeichnet
wird. Eine dritte Linie endlich bilden die mit zahlreichen neuen Befestigungen
versehenen Städte Lyon, Paris und Lille. Paris ist zu einer Riescnfestnng
von 51/., Meilen Durchmesser geworden, Lille ein befestigtes Lager von 2^ Meilen
Durchmesser, das von einer Gruppe von vierzehn andern Festungen umgeben


Die Kriegswolke im Richter.

Gewehre, Munition und die zur Mobilisirung dieser Infanterie erforderlichen
Wagen sind reichlich vorhanden. Bewassnet ist dieselbe mit dem 1874 sür
Mctallpatronen umgeänderten Chassepotgewehr, welches soweit schießt wie das
deutsche und wie dieses in ein Nepetirgewehr umgewandelt werden soll. Auch
ihr Degenbajonnet gleicht dem deutschen. Die Reiterei zerfällt in Kürassiere, 12,
Dragoner, 26, Jäger zu Pferde, 20, Husaren, 12, afrikanische Jäger, 4, und
Spahis, ebenfalls 4 Regimenter. Die zweite und vierte Division derselben stehen
dicht oder doch nahe an der deutschen Grenze. Alle Reiter führen Säbel, die
Kürassiere Revolver, die übrigen Karabiner nach dem System Gras. Das
Pferdematerial ist nicht so gut wie das deutsche, die Einübung der Leute aber
besser als vor 1870, und so ist an der Leistungsfähigkeit dieser Waffe im Kriege
nicht zu zweifeln, nur wird sie der unsrer Kavallerie im ganzen nicht gleich¬
kommen. Die Artillerie ist der unsern in der Zahl der Geschütze überlegen,
schwerlich aber in der Güte des Materials derselben. Die französischen Feld¬
kanonen nach dem System de Bange sind nicht besser als die deutschen, ihre
Munition enthält Granaten, Shrcivnells und Kartätschen in nahezu demselben
Verhältnis wie die unsrer Feldartillerie, „der Kenner gewinnt — wie Köttschau
sagt — bei dem Vergleiche der einander nach Material und Form sehr ähnlichen
Geschütze und ihres Zubehörs deu Eindruck, daß die französische Artillerie
extreme Leistungen in Anfangsgeschwindigkeit und Schußweite angestrebt hat,
während die deutsche vorwiegend Einfachheit und Dauerhaftigkeit des Materials
sowie eine gute Wirkung auf mittlere Entfernungen im Ange hatte." Französische
Berechnungen stellen dem Revancheheer nicht weniger als 530 063 Artilleristen
zur Verfügung, doch ist nur die Hälfte dieser Zahl vollständig ausgebildet,
122 623 gehören zu den Leuten, die immer nur auf dem geduldigen Papiere
standen, die übrigen 181 874 werden als einigermaßen geschult zu betrachten sein.

Sehr wichtig ist für einen zukünftigen Krieg zwischen uns und den Fran¬
zosen die fortifikatorische Rüstung, welche die Franzosen ihrem Lande von der
Ostgrenze bis nach Paris mit Einschluß dieser Stadt in den letzten Jahren an¬
gelegt haben. Zunächst haben sie die 33 Meilen lange Strecke von der Schweizer¬
grenze bis an die belgische in eine erste Verteidigungslinie verwandelt. Belfort,
Epinal, Tout und Verdun sind durch Anlegung weit vorgeschobener Forts in
große verschanzte Lager umgestaltet, und die Zwischenräume zwischen diesen
Orten dnrch eine Reihe andrer Forts mit weittragenden Geschützen geschlossen
worden. Etwa zehn Meilen hinter dieser ersten Verteidigungslinie hat man eine
zweite hergestellt, deren rechter Flügel durch die verschanzten Lager Behar^-vn,
Dijon und Langres, und deren linker durch die von Reims und Laon bezeichnet
wird. Eine dritte Linie endlich bilden die mit zahlreichen neuen Befestigungen
versehenen Städte Lyon, Paris und Lille. Paris ist zu einer Riescnfestnng
von 51/., Meilen Durchmesser geworden, Lille ein befestigtes Lager von 2^ Meilen
Durchmesser, das von einer Gruppe von vierzehn andern Festungen umgeben


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[0261] Die Kriegswolke im Richter. Gewehre, Munition und die zur Mobilisirung dieser Infanterie erforderlichen Wagen sind reichlich vorhanden. Bewassnet ist dieselbe mit dem 1874 sür Mctallpatronen umgeänderten Chassepotgewehr, welches soweit schießt wie das deutsche und wie dieses in ein Nepetirgewehr umgewandelt werden soll. Auch ihr Degenbajonnet gleicht dem deutschen. Die Reiterei zerfällt in Kürassiere, 12, Dragoner, 26, Jäger zu Pferde, 20, Husaren, 12, afrikanische Jäger, 4, und Spahis, ebenfalls 4 Regimenter. Die zweite und vierte Division derselben stehen dicht oder doch nahe an der deutschen Grenze. Alle Reiter führen Säbel, die Kürassiere Revolver, die übrigen Karabiner nach dem System Gras. Das Pferdematerial ist nicht so gut wie das deutsche, die Einübung der Leute aber besser als vor 1870, und so ist an der Leistungsfähigkeit dieser Waffe im Kriege nicht zu zweifeln, nur wird sie der unsrer Kavallerie im ganzen nicht gleich¬ kommen. Die Artillerie ist der unsern in der Zahl der Geschütze überlegen, schwerlich aber in der Güte des Materials derselben. Die französischen Feld¬ kanonen nach dem System de Bange sind nicht besser als die deutschen, ihre Munition enthält Granaten, Shrcivnells und Kartätschen in nahezu demselben Verhältnis wie die unsrer Feldartillerie, „der Kenner gewinnt — wie Köttschau sagt — bei dem Vergleiche der einander nach Material und Form sehr ähnlichen Geschütze und ihres Zubehörs deu Eindruck, daß die französische Artillerie extreme Leistungen in Anfangsgeschwindigkeit und Schußweite angestrebt hat, während die deutsche vorwiegend Einfachheit und Dauerhaftigkeit des Materials sowie eine gute Wirkung auf mittlere Entfernungen im Ange hatte." Französische Berechnungen stellen dem Revancheheer nicht weniger als 530 063 Artilleristen zur Verfügung, doch ist nur die Hälfte dieser Zahl vollständig ausgebildet, 122 623 gehören zu den Leuten, die immer nur auf dem geduldigen Papiere standen, die übrigen 181 874 werden als einigermaßen geschult zu betrachten sein. Sehr wichtig ist für einen zukünftigen Krieg zwischen uns und den Fran¬ zosen die fortifikatorische Rüstung, welche die Franzosen ihrem Lande von der Ostgrenze bis nach Paris mit Einschluß dieser Stadt in den letzten Jahren an¬ gelegt haben. Zunächst haben sie die 33 Meilen lange Strecke von der Schweizer¬ grenze bis an die belgische in eine erste Verteidigungslinie verwandelt. Belfort, Epinal, Tout und Verdun sind durch Anlegung weit vorgeschobener Forts in große verschanzte Lager umgestaltet, und die Zwischenräume zwischen diesen Orten dnrch eine Reihe andrer Forts mit weittragenden Geschützen geschlossen worden. Etwa zehn Meilen hinter dieser ersten Verteidigungslinie hat man eine zweite hergestellt, deren rechter Flügel durch die verschanzten Lager Behar^-vn, Dijon und Langres, und deren linker durch die von Reims und Laon bezeichnet wird. Eine dritte Linie endlich bilden die mit zahlreichen neuen Befestigungen versehenen Städte Lyon, Paris und Lille. Paris ist zu einer Riescnfestnng von 51/., Meilen Durchmesser geworden, Lille ein befestigtes Lager von 2^ Meilen Durchmesser, das von einer Gruppe von vierzehn andern Festungen umgeben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/261>, abgerufen am 22.07.2024.