Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

auf schließlichen Sieg der deutschen Heere entgegenzusehen imstande sein wollte,
Vismarck hat sich zwar in seiner großen Rede vor dem Reichstage über die
gegenwärtige Stellung Rußlands zu uns in einer Weise ausgesprochen, nach
welcher von dieser Seite her nichts zu befürchten wäre, und das wird im ganzen
für jetzt, wo auch der Krieg mit Frankreich nicht unmittelbar vor den Thoren
zu stehen scheint, seine Nichtigkeit haben. Hinsichtlich der Zukunft aber sind
wir nicht ohne Bedenken, und selbst jene vertrauensvollen und beruhigenden
Erklärungen des Reichskanzlers durfte man als mehr an eine auswärtige Stelle
als an den Reichstag und dessen Mandatgeber gerichtet deuten. Man durste
glauben, der Kanzler habe damit einem Herrscher sein Vertrauen auf seine Ein¬
sicht, sein Wohlwollen und seiue Friedensliebe ausgesprochen, der solches Ver¬
trauen zu schätzen und zu rechtfertigen gewohnt ist, namentlich wenn es, wie
hier, von einer Seite geäußert wird, der er selbst uneingeschränktes Vertrauen
schenken darf. Der Kaiser Alexander und sein oberster Rat für auswärtige
Angelegenheiten erblicken jetzt in Deutschland keine Gefahr für Nußland und
denken infolgedessen an keinen Angriff auf uns, und sie würden vermutlich auch
für die nächste Zeit keine feindselige Stellung zu uns einnehmen, wenn alles
so bliebe, wie es dermalen in Deutschland und Rußland steht. Die Situation
kann sich aber ändern. Der Zar ist sehr mächtig, aber doch nicht allmächtig.
Es giebt neben ihm eine Art öffentlicher Meinung, es giebt Parteien, die schon
jetzt in gewissem Maße berücksichtigt werde" müssen und bei einem Kampfe
Deutschlands mit Frankreich umsomehr verhängnisvollen Einfluß auf die Ent¬
schlüsse der Krone gewinnen könnten, als sie el" wirkliches Interesse Rußlands
zu vertreten scheinen würden. Wir sehen da Panslawisten mit fanatischem
Hasse gegen Deutschland und starker Hinneigung zu Frankreich. Wir begegnen
Polen und liberalen Russen, welche einen Krieg mit uns in der Hoffnung herbei¬
wünschen, er werde mit einer Niederlage Rußlands endigen, die den einen Unab¬
hängigkeit, den andern eine freisinnige Verfassung bringen konnte. Diese Parteien
würden, wenn es zu einem deutsch-französischen Zusammenstoße käme, nach oben
drücken, und die Möglichkeit, daß sie die dort herrschende Friedfertigkeit er¬
schütterten, würde uns nötigen, an unsrer Ostgrenze gegen die 200 000 Mann,
die Rußland in seinen westlichen Provinzen stehen hat, ein Bcobachtuugskorps
von mindestens 100 000 Soldaten aufzustellen und damit unsre gegen Frank¬
reich bestimmte Armee erheblich zu schwächen. Ferner würde, wenn wir hier
trotzdem siegten, die öffentliche Meinung in Moskau und Petersburg und, von
ihr bestürmt, zuletzt auch die Regierung schwerlich dulden, daß wir unsern Sieg
so ausnützten, wie es geschehen müßte, zu gründlicher Schwächung des Erb¬
feindes; denn das wäre eine Stärkung Deutschlands, die auch in Nußland
schwere Bedenken und Beklemmungen für die Zukunft hervorrufen könnte. End¬
lich ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß Rußland, während wir in Frank¬
reich beschäftigt wären, Österreich angreifen würde, dem eine Verstärkung seiner


auf schließlichen Sieg der deutschen Heere entgegenzusehen imstande sein wollte,
Vismarck hat sich zwar in seiner großen Rede vor dem Reichstage über die
gegenwärtige Stellung Rußlands zu uns in einer Weise ausgesprochen, nach
welcher von dieser Seite her nichts zu befürchten wäre, und das wird im ganzen
für jetzt, wo auch der Krieg mit Frankreich nicht unmittelbar vor den Thoren
zu stehen scheint, seine Nichtigkeit haben. Hinsichtlich der Zukunft aber sind
wir nicht ohne Bedenken, und selbst jene vertrauensvollen und beruhigenden
Erklärungen des Reichskanzlers durfte man als mehr an eine auswärtige Stelle
als an den Reichstag und dessen Mandatgeber gerichtet deuten. Man durste
glauben, der Kanzler habe damit einem Herrscher sein Vertrauen auf seine Ein¬
sicht, sein Wohlwollen und seiue Friedensliebe ausgesprochen, der solches Ver¬
trauen zu schätzen und zu rechtfertigen gewohnt ist, namentlich wenn es, wie
hier, von einer Seite geäußert wird, der er selbst uneingeschränktes Vertrauen
schenken darf. Der Kaiser Alexander und sein oberster Rat für auswärtige
Angelegenheiten erblicken jetzt in Deutschland keine Gefahr für Nußland und
denken infolgedessen an keinen Angriff auf uns, und sie würden vermutlich auch
für die nächste Zeit keine feindselige Stellung zu uns einnehmen, wenn alles
so bliebe, wie es dermalen in Deutschland und Rußland steht. Die Situation
kann sich aber ändern. Der Zar ist sehr mächtig, aber doch nicht allmächtig.
Es giebt neben ihm eine Art öffentlicher Meinung, es giebt Parteien, die schon
jetzt in gewissem Maße berücksichtigt werde» müssen und bei einem Kampfe
Deutschlands mit Frankreich umsomehr verhängnisvollen Einfluß auf die Ent¬
schlüsse der Krone gewinnen könnten, als sie el» wirkliches Interesse Rußlands
zu vertreten scheinen würden. Wir sehen da Panslawisten mit fanatischem
Hasse gegen Deutschland und starker Hinneigung zu Frankreich. Wir begegnen
Polen und liberalen Russen, welche einen Krieg mit uns in der Hoffnung herbei¬
wünschen, er werde mit einer Niederlage Rußlands endigen, die den einen Unab¬
hängigkeit, den andern eine freisinnige Verfassung bringen konnte. Diese Parteien
würden, wenn es zu einem deutsch-französischen Zusammenstoße käme, nach oben
drücken, und die Möglichkeit, daß sie die dort herrschende Friedfertigkeit er¬
schütterten, würde uns nötigen, an unsrer Ostgrenze gegen die 200 000 Mann,
die Rußland in seinen westlichen Provinzen stehen hat, ein Bcobachtuugskorps
von mindestens 100 000 Soldaten aufzustellen und damit unsre gegen Frank¬
reich bestimmte Armee erheblich zu schwächen. Ferner würde, wenn wir hier
trotzdem siegten, die öffentliche Meinung in Moskau und Petersburg und, von
ihr bestürmt, zuletzt auch die Regierung schwerlich dulden, daß wir unsern Sieg
so ausnützten, wie es geschehen müßte, zu gründlicher Schwächung des Erb¬
feindes; denn das wäre eine Stärkung Deutschlands, die auch in Nußland
schwere Bedenken und Beklemmungen für die Zukunft hervorrufen könnte. End¬
lich ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß Rußland, während wir in Frank¬
reich beschäftigt wären, Österreich angreifen würde, dem eine Verstärkung seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200368"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782" next="#ID_784"> auf schließlichen Sieg der deutschen Heere entgegenzusehen imstande sein wollte,<lb/>
Vismarck hat sich zwar in seiner großen Rede vor dem Reichstage über die<lb/>
gegenwärtige Stellung Rußlands zu uns in einer Weise ausgesprochen, nach<lb/>
welcher von dieser Seite her nichts zu befürchten wäre, und das wird im ganzen<lb/>
für jetzt, wo auch der Krieg mit Frankreich nicht unmittelbar vor den Thoren<lb/>
zu stehen scheint, seine Nichtigkeit haben. Hinsichtlich der Zukunft aber sind<lb/>
wir nicht ohne Bedenken, und selbst jene vertrauensvollen und beruhigenden<lb/>
Erklärungen des Reichskanzlers durfte man als mehr an eine auswärtige Stelle<lb/>
als an den Reichstag und dessen Mandatgeber gerichtet deuten. Man durste<lb/>
glauben, der Kanzler habe damit einem Herrscher sein Vertrauen auf seine Ein¬<lb/>
sicht, sein Wohlwollen und seiue Friedensliebe ausgesprochen, der solches Ver¬<lb/>
trauen zu schätzen und zu rechtfertigen gewohnt ist, namentlich wenn es, wie<lb/>
hier, von einer Seite geäußert wird, der er selbst uneingeschränktes Vertrauen<lb/>
schenken darf. Der Kaiser Alexander und sein oberster Rat für auswärtige<lb/>
Angelegenheiten erblicken jetzt in Deutschland keine Gefahr für Nußland und<lb/>
denken infolgedessen an keinen Angriff auf uns, und sie würden vermutlich auch<lb/>
für die nächste Zeit keine feindselige Stellung zu uns einnehmen, wenn alles<lb/>
so bliebe, wie es dermalen in Deutschland und Rußland steht. Die Situation<lb/>
kann sich aber ändern. Der Zar ist sehr mächtig, aber doch nicht allmächtig.<lb/>
Es giebt neben ihm eine Art öffentlicher Meinung, es giebt Parteien, die schon<lb/>
jetzt in gewissem Maße berücksichtigt werde» müssen und bei einem Kampfe<lb/>
Deutschlands mit Frankreich umsomehr verhängnisvollen Einfluß auf die Ent¬<lb/>
schlüsse der Krone gewinnen könnten, als sie el» wirkliches Interesse Rußlands<lb/>
zu vertreten scheinen würden. Wir sehen da Panslawisten mit fanatischem<lb/>
Hasse gegen Deutschland und starker Hinneigung zu Frankreich. Wir begegnen<lb/>
Polen und liberalen Russen, welche einen Krieg mit uns in der Hoffnung herbei¬<lb/>
wünschen, er werde mit einer Niederlage Rußlands endigen, die den einen Unab¬<lb/>
hängigkeit, den andern eine freisinnige Verfassung bringen konnte. Diese Parteien<lb/>
würden, wenn es zu einem deutsch-französischen Zusammenstoße käme, nach oben<lb/>
drücken, und die Möglichkeit, daß sie die dort herrschende Friedfertigkeit er¬<lb/>
schütterten, würde uns nötigen, an unsrer Ostgrenze gegen die 200 000 Mann,<lb/>
die Rußland in seinen westlichen Provinzen stehen hat, ein Bcobachtuugskorps<lb/>
von mindestens 100 000 Soldaten aufzustellen und damit unsre gegen Frank¬<lb/>
reich bestimmte Armee erheblich zu schwächen. Ferner würde, wenn wir hier<lb/>
trotzdem siegten, die öffentliche Meinung in Moskau und Petersburg und, von<lb/>
ihr bestürmt, zuletzt auch die Regierung schwerlich dulden, daß wir unsern Sieg<lb/>
so ausnützten, wie es geschehen müßte, zu gründlicher Schwächung des Erb¬<lb/>
feindes; denn das wäre eine Stärkung Deutschlands, die auch in Nußland<lb/>
schwere Bedenken und Beklemmungen für die Zukunft hervorrufen könnte. End¬<lb/>
lich ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß Rußland, während wir in Frank¬<lb/>
reich beschäftigt wären, Österreich angreifen würde, dem eine Verstärkung seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] auf schließlichen Sieg der deutschen Heere entgegenzusehen imstande sein wollte, Vismarck hat sich zwar in seiner großen Rede vor dem Reichstage über die gegenwärtige Stellung Rußlands zu uns in einer Weise ausgesprochen, nach welcher von dieser Seite her nichts zu befürchten wäre, und das wird im ganzen für jetzt, wo auch der Krieg mit Frankreich nicht unmittelbar vor den Thoren zu stehen scheint, seine Nichtigkeit haben. Hinsichtlich der Zukunft aber sind wir nicht ohne Bedenken, und selbst jene vertrauensvollen und beruhigenden Erklärungen des Reichskanzlers durfte man als mehr an eine auswärtige Stelle als an den Reichstag und dessen Mandatgeber gerichtet deuten. Man durste glauben, der Kanzler habe damit einem Herrscher sein Vertrauen auf seine Ein¬ sicht, sein Wohlwollen und seiue Friedensliebe ausgesprochen, der solches Ver¬ trauen zu schätzen und zu rechtfertigen gewohnt ist, namentlich wenn es, wie hier, von einer Seite geäußert wird, der er selbst uneingeschränktes Vertrauen schenken darf. Der Kaiser Alexander und sein oberster Rat für auswärtige Angelegenheiten erblicken jetzt in Deutschland keine Gefahr für Nußland und denken infolgedessen an keinen Angriff auf uns, und sie würden vermutlich auch für die nächste Zeit keine feindselige Stellung zu uns einnehmen, wenn alles so bliebe, wie es dermalen in Deutschland und Rußland steht. Die Situation kann sich aber ändern. Der Zar ist sehr mächtig, aber doch nicht allmächtig. Es giebt neben ihm eine Art öffentlicher Meinung, es giebt Parteien, die schon jetzt in gewissem Maße berücksichtigt werde» müssen und bei einem Kampfe Deutschlands mit Frankreich umsomehr verhängnisvollen Einfluß auf die Ent¬ schlüsse der Krone gewinnen könnten, als sie el» wirkliches Interesse Rußlands zu vertreten scheinen würden. Wir sehen da Panslawisten mit fanatischem Hasse gegen Deutschland und starker Hinneigung zu Frankreich. Wir begegnen Polen und liberalen Russen, welche einen Krieg mit uns in der Hoffnung herbei¬ wünschen, er werde mit einer Niederlage Rußlands endigen, die den einen Unab¬ hängigkeit, den andern eine freisinnige Verfassung bringen konnte. Diese Parteien würden, wenn es zu einem deutsch-französischen Zusammenstoße käme, nach oben drücken, und die Möglichkeit, daß sie die dort herrschende Friedfertigkeit er¬ schütterten, würde uns nötigen, an unsrer Ostgrenze gegen die 200 000 Mann, die Rußland in seinen westlichen Provinzen stehen hat, ein Bcobachtuugskorps von mindestens 100 000 Soldaten aufzustellen und damit unsre gegen Frank¬ reich bestimmte Armee erheblich zu schwächen. Ferner würde, wenn wir hier trotzdem siegten, die öffentliche Meinung in Moskau und Petersburg und, von ihr bestürmt, zuletzt auch die Regierung schwerlich dulden, daß wir unsern Sieg so ausnützten, wie es geschehen müßte, zu gründlicher Schwächung des Erb¬ feindes; denn das wäre eine Stärkung Deutschlands, die auch in Nußland schwere Bedenken und Beklemmungen für die Zukunft hervorrufen könnte. End¬ lich ist fast mit Sicherheit anzunehmen, daß Rußland, während wir in Frank¬ reich beschäftigt wären, Österreich angreifen würde, dem eine Verstärkung seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/263>, abgerufen am 23.12.2024.