Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jugenderinnerungen.

und stieg mit dieser zu Pferde. Als er sich hier fest im Sattel fühlte,
wendete er sich wieder an die Mutter und bat um Nadel und Zwirn. Obwohl,
niemand erraten konnte, was der Mann des Krieges damit beginnen wollte,
wurde ihm auch diese Bitte nicht abgeschlagen. Mit dankenden Lächeln und
einem landesüblichen "Küß die Hand" nahm er der Mutter die Nadel ab, er¬
faßte den einen Ärmel des ihm um die Schulter hängenden Dolmans und nähte
ihn unten an der Hcmdöffunng zu.

Das gut sein für Fourage, sagte er, indem er die Nadel der Mutter zurück¬
gab, ließ sich vom Vater die noch unberührte Flasche Wein reichen und schob
sie in den zugenähten Ärmel. Darauf legte er die Hand grüßend an den Kalpcck,
setzte die schon halbgelcerte Flasche an den Mund, wandte sein Pferd und sprengte
davon.

Dieser Vorfall beschleunigte die längst geplante und großenteils anch bereits
vorbereitete Flucht. Geboten schien dieselbe umsomehr, als mein älterer Bruder
nicht unbedenklich um einem Fieber erkrankt war, zu dem sich uoch der Keuch¬
husten gesellte. Der Vater eilte deshalb, seine Familie sobald als möglich in
Sicherheit zu bringen, indem er zugleich Sorge trug, sich selbst und das Haus
gegen etwaige Plünderer zu schützen.

Am Tage unsers Auszuges -- dessen kann ich mich noch sehr deutlich
erinnern -- drang eine Anzahl österreichischer Jäger bei uns ein, die wie ge¬
wöhnlich Beköstigung und Wem heisesten. Es wurde ihnen gegeben, was im
Hause vorhanden war, nur mit Wein konnte man nicht nufwarteu. Um nun
die Leute bei guter Laune zu erhalten, ergriff der Vater ein Glas des einge¬
schenkten Bieres und wollte mit den Worten: "Der Kaiser soll leben" anstoßen.
Die Jäger aber weigerten sich dessen, meinte", Kaiser Franz lebe ohne dergleichen,
und gössen den Rest des Bieres, das ihnen wahrscheinlich nicht mundete, auf
die Diele.

Kaum hatten sich diese letzten militärischen Gäste, die in unserm Hanse
einkehrte", entfernt, so brachen auch die Eltern mit uns Kindern auf, um uns
zu den noch lebenden Eltern der Mutter in Zittau zu bringen, wo man uns
mit Ungeduld erwartete.

Damit aber auch der Schein einer beabsichtigten Flucht vermiede" wurde,
schlug man verschiedne Wege nach der Stadt ein, die innerhalb einer Stunde
bequem zu erreichen war. Vater und Mutter wählten, als wollten sie bloß
spazieren gehen, den gewöhnlichen Feldweg. Meinen kranken Bruder fuhr
unsre Pflegerin i" einem geschützten Kinderwagen über Feldraine, die sich erst
kurz vor der Stadt mit den, Hauptwege wieder vereinigten. Mich selbst und
eine jüngere Schwester packten die Eltern in einen großen Korb von Weiden-
gcflecht, den unser im Hause und ans dem Felde beschäftigter Arbeiter, ein zu¬
verlässiger und rüstiger Mann, auf einer Schiebkarre befestigte. In solcher
Verpackung erreichten wir denn unangefochten das großelterliche Haus, an


Jugenderinnerungen.

und stieg mit dieser zu Pferde. Als er sich hier fest im Sattel fühlte,
wendete er sich wieder an die Mutter und bat um Nadel und Zwirn. Obwohl,
niemand erraten konnte, was der Mann des Krieges damit beginnen wollte,
wurde ihm auch diese Bitte nicht abgeschlagen. Mit dankenden Lächeln und
einem landesüblichen „Küß die Hand" nahm er der Mutter die Nadel ab, er¬
faßte den einen Ärmel des ihm um die Schulter hängenden Dolmans und nähte
ihn unten an der Hcmdöffunng zu.

Das gut sein für Fourage, sagte er, indem er die Nadel der Mutter zurück¬
gab, ließ sich vom Vater die noch unberührte Flasche Wein reichen und schob
sie in den zugenähten Ärmel. Darauf legte er die Hand grüßend an den Kalpcck,
setzte die schon halbgelcerte Flasche an den Mund, wandte sein Pferd und sprengte
davon.

Dieser Vorfall beschleunigte die längst geplante und großenteils anch bereits
vorbereitete Flucht. Geboten schien dieselbe umsomehr, als mein älterer Bruder
nicht unbedenklich um einem Fieber erkrankt war, zu dem sich uoch der Keuch¬
husten gesellte. Der Vater eilte deshalb, seine Familie sobald als möglich in
Sicherheit zu bringen, indem er zugleich Sorge trug, sich selbst und das Haus
gegen etwaige Plünderer zu schützen.

Am Tage unsers Auszuges — dessen kann ich mich noch sehr deutlich
erinnern — drang eine Anzahl österreichischer Jäger bei uns ein, die wie ge¬
wöhnlich Beköstigung und Wem heisesten. Es wurde ihnen gegeben, was im
Hause vorhanden war, nur mit Wein konnte man nicht nufwarteu. Um nun
die Leute bei guter Laune zu erhalten, ergriff der Vater ein Glas des einge¬
schenkten Bieres und wollte mit den Worten: „Der Kaiser soll leben" anstoßen.
Die Jäger aber weigerten sich dessen, meinte», Kaiser Franz lebe ohne dergleichen,
und gössen den Rest des Bieres, das ihnen wahrscheinlich nicht mundete, auf
die Diele.

Kaum hatten sich diese letzten militärischen Gäste, die in unserm Hanse
einkehrte», entfernt, so brachen auch die Eltern mit uns Kindern auf, um uns
zu den noch lebenden Eltern der Mutter in Zittau zu bringen, wo man uns
mit Ungeduld erwartete.

Damit aber auch der Schein einer beabsichtigten Flucht vermiede» wurde,
schlug man verschiedne Wege nach der Stadt ein, die innerhalb einer Stunde
bequem zu erreichen war. Vater und Mutter wählten, als wollten sie bloß
spazieren gehen, den gewöhnlichen Feldweg. Meinen kranken Bruder fuhr
unsre Pflegerin i» einem geschützten Kinderwagen über Feldraine, die sich erst
kurz vor der Stadt mit den, Hauptwege wieder vereinigten. Mich selbst und
eine jüngere Schwester packten die Eltern in einen großen Korb von Weiden-
gcflecht, den unser im Hause und ans dem Felde beschäftigter Arbeiter, ein zu¬
verlässiger und rüstiger Mann, auf einer Schiebkarre befestigte. In solcher
Verpackung erreichten wir denn unangefochten das großelterliche Haus, an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200357"/>
            <fw type="header" place="top"> Jugenderinnerungen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_758" prev="#ID_757"> und stieg mit dieser zu Pferde. Als er sich hier fest im Sattel fühlte,<lb/>
wendete er sich wieder an die Mutter und bat um Nadel und Zwirn. Obwohl,<lb/>
niemand erraten konnte, was der Mann des Krieges damit beginnen wollte,<lb/>
wurde ihm auch diese Bitte nicht abgeschlagen. Mit dankenden Lächeln und<lb/>
einem landesüblichen &#x201E;Küß die Hand" nahm er der Mutter die Nadel ab, er¬<lb/>
faßte den einen Ärmel des ihm um die Schulter hängenden Dolmans und nähte<lb/>
ihn unten an der Hcmdöffunng zu.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_759"> Das gut sein für Fourage, sagte er, indem er die Nadel der Mutter zurück¬<lb/>
gab, ließ sich vom Vater die noch unberührte Flasche Wein reichen und schob<lb/>
sie in den zugenähten Ärmel. Darauf legte er die Hand grüßend an den Kalpcck,<lb/>
setzte die schon halbgelcerte Flasche an den Mund, wandte sein Pferd und sprengte<lb/>
davon.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_760"> Dieser Vorfall beschleunigte die längst geplante und großenteils anch bereits<lb/>
vorbereitete Flucht. Geboten schien dieselbe umsomehr, als mein älterer Bruder<lb/>
nicht unbedenklich um einem Fieber erkrankt war, zu dem sich uoch der Keuch¬<lb/>
husten gesellte. Der Vater eilte deshalb, seine Familie sobald als möglich in<lb/>
Sicherheit zu bringen, indem er zugleich Sorge trug, sich selbst und das Haus<lb/>
gegen etwaige Plünderer zu schützen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_761"> Am Tage unsers Auszuges &#x2014; dessen kann ich mich noch sehr deutlich<lb/>
erinnern &#x2014; drang eine Anzahl österreichischer Jäger bei uns ein, die wie ge¬<lb/>
wöhnlich Beköstigung und Wem heisesten. Es wurde ihnen gegeben, was im<lb/>
Hause vorhanden war, nur mit Wein konnte man nicht nufwarteu. Um nun<lb/>
die Leute bei guter Laune zu erhalten, ergriff der Vater ein Glas des einge¬<lb/>
schenkten Bieres und wollte mit den Worten: &#x201E;Der Kaiser soll leben" anstoßen.<lb/>
Die Jäger aber weigerten sich dessen, meinte», Kaiser Franz lebe ohne dergleichen,<lb/>
und gössen den Rest des Bieres, das ihnen wahrscheinlich nicht mundete, auf<lb/>
die Diele.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_762"> Kaum hatten sich diese letzten militärischen Gäste, die in unserm Hanse<lb/>
einkehrte», entfernt, so brachen auch die Eltern mit uns Kindern auf, um uns<lb/>
zu den noch lebenden Eltern der Mutter in Zittau zu bringen, wo man uns<lb/>
mit Ungeduld erwartete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_763" next="#ID_764"> Damit aber auch der Schein einer beabsichtigten Flucht vermiede» wurde,<lb/>
schlug man verschiedne Wege nach der Stadt ein, die innerhalb einer Stunde<lb/>
bequem zu erreichen war. Vater und Mutter wählten, als wollten sie bloß<lb/>
spazieren gehen, den gewöhnlichen Feldweg. Meinen kranken Bruder fuhr<lb/>
unsre Pflegerin i» einem geschützten Kinderwagen über Feldraine, die sich erst<lb/>
kurz vor der Stadt mit den, Hauptwege wieder vereinigten. Mich selbst und<lb/>
eine jüngere Schwester packten die Eltern in einen großen Korb von Weiden-<lb/>
gcflecht, den unser im Hause und ans dem Felde beschäftigter Arbeiter, ein zu¬<lb/>
verlässiger und rüstiger Mann, auf einer Schiebkarre befestigte. In solcher<lb/>
Verpackung erreichten wir denn unangefochten das großelterliche Haus, an</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] Jugenderinnerungen. und stieg mit dieser zu Pferde. Als er sich hier fest im Sattel fühlte, wendete er sich wieder an die Mutter und bat um Nadel und Zwirn. Obwohl, niemand erraten konnte, was der Mann des Krieges damit beginnen wollte, wurde ihm auch diese Bitte nicht abgeschlagen. Mit dankenden Lächeln und einem landesüblichen „Küß die Hand" nahm er der Mutter die Nadel ab, er¬ faßte den einen Ärmel des ihm um die Schulter hängenden Dolmans und nähte ihn unten an der Hcmdöffunng zu. Das gut sein für Fourage, sagte er, indem er die Nadel der Mutter zurück¬ gab, ließ sich vom Vater die noch unberührte Flasche Wein reichen und schob sie in den zugenähten Ärmel. Darauf legte er die Hand grüßend an den Kalpcck, setzte die schon halbgelcerte Flasche an den Mund, wandte sein Pferd und sprengte davon. Dieser Vorfall beschleunigte die längst geplante und großenteils anch bereits vorbereitete Flucht. Geboten schien dieselbe umsomehr, als mein älterer Bruder nicht unbedenklich um einem Fieber erkrankt war, zu dem sich uoch der Keuch¬ husten gesellte. Der Vater eilte deshalb, seine Familie sobald als möglich in Sicherheit zu bringen, indem er zugleich Sorge trug, sich selbst und das Haus gegen etwaige Plünderer zu schützen. Am Tage unsers Auszuges — dessen kann ich mich noch sehr deutlich erinnern — drang eine Anzahl österreichischer Jäger bei uns ein, die wie ge¬ wöhnlich Beköstigung und Wem heisesten. Es wurde ihnen gegeben, was im Hause vorhanden war, nur mit Wein konnte man nicht nufwarteu. Um nun die Leute bei guter Laune zu erhalten, ergriff der Vater ein Glas des einge¬ schenkten Bieres und wollte mit den Worten: „Der Kaiser soll leben" anstoßen. Die Jäger aber weigerten sich dessen, meinte», Kaiser Franz lebe ohne dergleichen, und gössen den Rest des Bieres, das ihnen wahrscheinlich nicht mundete, auf die Diele. Kaum hatten sich diese letzten militärischen Gäste, die in unserm Hanse einkehrte», entfernt, so brachen auch die Eltern mit uns Kindern auf, um uns zu den noch lebenden Eltern der Mutter in Zittau zu bringen, wo man uns mit Ungeduld erwartete. Damit aber auch der Schein einer beabsichtigten Flucht vermiede» wurde, schlug man verschiedne Wege nach der Stadt ein, die innerhalb einer Stunde bequem zu erreichen war. Vater und Mutter wählten, als wollten sie bloß spazieren gehen, den gewöhnlichen Feldweg. Meinen kranken Bruder fuhr unsre Pflegerin i» einem geschützten Kinderwagen über Feldraine, die sich erst kurz vor der Stadt mit den, Hauptwege wieder vereinigten. Mich selbst und eine jüngere Schwester packten die Eltern in einen großen Korb von Weiden- gcflecht, den unser im Hause und ans dem Felde beschäftigter Arbeiter, ein zu¬ verlässiger und rüstiger Mann, auf einer Schiebkarre befestigte. In solcher Verpackung erreichten wir denn unangefochten das großelterliche Haus, an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/252>, abgerufen am 22.12.2024.