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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

einzulassen brauchte. Sie holte also den Hauptschlttssel, der auch die verschlossene
Kellerthür öffnete. Zu dieser hinab führte aus dem Hausflur eine tiefe, voll¬
kommen finstere Treppe mit unebenen, schadhaften und sehr hohen Stufen, wes¬
halb ein Betreten des Kellers ohne Licht selbst für solche, die täglich darin
aus- und eingingen, eine unangenehme Sache war.

Von dem taumelnden Husaren verfolgt, ergreift die Mutter das ihr von
der Magd gereichte Licht und nähert sich der bloß durch eine Einfallklinke ge¬
schlossenen Kellerthür. Hier faßt der Husar nach dem Schlüssel und löscht dabei
das Licht aus.

Lassen Sie mich, Sie fallen und würden dabei zu Schaden kommen, spricht
die Mutter entschlossen, mit der linken Hand die schon geöffnete, zur Treppe
führende Thür wieder zudrückend, mit der rechten den Schlüssel fester um¬
fassend. Der Husar aber will sich nicht abweisen lassen, wird heftig, umfaßt
die schwache, kleine Frau und beginnt mit ihr um den verhängnisvollen Schlüssel
zu ringen.

Angst und Verzweiflung gaben der Mutter übermenschliche Kräfte. Es
gelang ihr, sich der Umschlingung des wilden Menschen zu entreißen und mit
dem glücklich geretteten Schlüssel zu entfliehen. Der an unsern Hof stoßende
Garten des sogenannten Kirchbaners, in den sie flüchtete, bot ihr vorläufig
Schutz.

Mittlerweile kam der Vater aus der Kirche zurück, fand den noch immer
im Hause herumwankenden Husaren, der sich jetzt eines bessern besonnen hatte
und "gute Frau" die Hand küssen wollte, und erfuhr von der mit uns Kleinen
allein gebliebenen Kindcrmagd, was sich sodann zugetragen hatte.

Die würdige Erscheinung des hochgewachsenen Geistlichen im schwarzen,
faltigen Priesterrock mochte Eindruck auf den Burschen machen, den Wohl
auch ein Gefühl der Scham wegen seines Betragens gegen eine Frau
überkam.

Ungar bitten wollen und küssen Hand gnädige Frau, war der Refrain, den
er mehrmals wiederholte. Dies Vergnügen sollte ihm denn auch alsbald ge¬
gönnt sein; denn die Mutter kam in Begleitung mehrerer Bauern zurück, die
nicht übel Lust hatten, dem weinseligen Kriegsmanne ihre Fäuste kosten zu
lassen. Auf Vorstellung des Vaters unterblieb indes jeder Angriff; die Mutter
reichte dem Reuigen zum Zeichen der Verzeihung die Hand, und der Friede
war besiegelt.

Anstatt sich aber nun ruhig zu entfernen, kam der Husar wieder zurück
auf das Begehren, welches ihn von Anfang an ins Pastorat geführt hatte. Nicht
fordernd, sondern mit höflichen Worten bat er jetzt den Vater um den ersehnten
Labetrunk und zwar, damit der Vorrat ihm nicht gar zu zeitig ausgehe, um
zwei Flaschen.

Das Verlangte wurde ihm gereicht, doch nahm er vorerst nur eine Flasche


Jugenderinnerungen.

einzulassen brauchte. Sie holte also den Hauptschlttssel, der auch die verschlossene
Kellerthür öffnete. Zu dieser hinab führte aus dem Hausflur eine tiefe, voll¬
kommen finstere Treppe mit unebenen, schadhaften und sehr hohen Stufen, wes¬
halb ein Betreten des Kellers ohne Licht selbst für solche, die täglich darin
aus- und eingingen, eine unangenehme Sache war.

Von dem taumelnden Husaren verfolgt, ergreift die Mutter das ihr von
der Magd gereichte Licht und nähert sich der bloß durch eine Einfallklinke ge¬
schlossenen Kellerthür. Hier faßt der Husar nach dem Schlüssel und löscht dabei
das Licht aus.

Lassen Sie mich, Sie fallen und würden dabei zu Schaden kommen, spricht
die Mutter entschlossen, mit der linken Hand die schon geöffnete, zur Treppe
führende Thür wieder zudrückend, mit der rechten den Schlüssel fester um¬
fassend. Der Husar aber will sich nicht abweisen lassen, wird heftig, umfaßt
die schwache, kleine Frau und beginnt mit ihr um den verhängnisvollen Schlüssel
zu ringen.

Angst und Verzweiflung gaben der Mutter übermenschliche Kräfte. Es
gelang ihr, sich der Umschlingung des wilden Menschen zu entreißen und mit
dem glücklich geretteten Schlüssel zu entfliehen. Der an unsern Hof stoßende
Garten des sogenannten Kirchbaners, in den sie flüchtete, bot ihr vorläufig
Schutz.

Mittlerweile kam der Vater aus der Kirche zurück, fand den noch immer
im Hause herumwankenden Husaren, der sich jetzt eines bessern besonnen hatte
und „gute Frau" die Hand küssen wollte, und erfuhr von der mit uns Kleinen
allein gebliebenen Kindcrmagd, was sich sodann zugetragen hatte.

Die würdige Erscheinung des hochgewachsenen Geistlichen im schwarzen,
faltigen Priesterrock mochte Eindruck auf den Burschen machen, den Wohl
auch ein Gefühl der Scham wegen seines Betragens gegen eine Frau
überkam.

Ungar bitten wollen und küssen Hand gnädige Frau, war der Refrain, den
er mehrmals wiederholte. Dies Vergnügen sollte ihm denn auch alsbald ge¬
gönnt sein; denn die Mutter kam in Begleitung mehrerer Bauern zurück, die
nicht übel Lust hatten, dem weinseligen Kriegsmanne ihre Fäuste kosten zu
lassen. Auf Vorstellung des Vaters unterblieb indes jeder Angriff; die Mutter
reichte dem Reuigen zum Zeichen der Verzeihung die Hand, und der Friede
war besiegelt.

Anstatt sich aber nun ruhig zu entfernen, kam der Husar wieder zurück
auf das Begehren, welches ihn von Anfang an ins Pastorat geführt hatte. Nicht
fordernd, sondern mit höflichen Worten bat er jetzt den Vater um den ersehnten
Labetrunk und zwar, damit der Vorrat ihm nicht gar zu zeitig ausgehe, um
zwei Flaschen.

Das Verlangte wurde ihm gereicht, doch nahm er vorerst nur eine Flasche


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[0251] Jugenderinnerungen. einzulassen brauchte. Sie holte also den Hauptschlttssel, der auch die verschlossene Kellerthür öffnete. Zu dieser hinab führte aus dem Hausflur eine tiefe, voll¬ kommen finstere Treppe mit unebenen, schadhaften und sehr hohen Stufen, wes¬ halb ein Betreten des Kellers ohne Licht selbst für solche, die täglich darin aus- und eingingen, eine unangenehme Sache war. Von dem taumelnden Husaren verfolgt, ergreift die Mutter das ihr von der Magd gereichte Licht und nähert sich der bloß durch eine Einfallklinke ge¬ schlossenen Kellerthür. Hier faßt der Husar nach dem Schlüssel und löscht dabei das Licht aus. Lassen Sie mich, Sie fallen und würden dabei zu Schaden kommen, spricht die Mutter entschlossen, mit der linken Hand die schon geöffnete, zur Treppe führende Thür wieder zudrückend, mit der rechten den Schlüssel fester um¬ fassend. Der Husar aber will sich nicht abweisen lassen, wird heftig, umfaßt die schwache, kleine Frau und beginnt mit ihr um den verhängnisvollen Schlüssel zu ringen. Angst und Verzweiflung gaben der Mutter übermenschliche Kräfte. Es gelang ihr, sich der Umschlingung des wilden Menschen zu entreißen und mit dem glücklich geretteten Schlüssel zu entfliehen. Der an unsern Hof stoßende Garten des sogenannten Kirchbaners, in den sie flüchtete, bot ihr vorläufig Schutz. Mittlerweile kam der Vater aus der Kirche zurück, fand den noch immer im Hause herumwankenden Husaren, der sich jetzt eines bessern besonnen hatte und „gute Frau" die Hand küssen wollte, und erfuhr von der mit uns Kleinen allein gebliebenen Kindcrmagd, was sich sodann zugetragen hatte. Die würdige Erscheinung des hochgewachsenen Geistlichen im schwarzen, faltigen Priesterrock mochte Eindruck auf den Burschen machen, den Wohl auch ein Gefühl der Scham wegen seines Betragens gegen eine Frau überkam. Ungar bitten wollen und küssen Hand gnädige Frau, war der Refrain, den er mehrmals wiederholte. Dies Vergnügen sollte ihm denn auch alsbald ge¬ gönnt sein; denn die Mutter kam in Begleitung mehrerer Bauern zurück, die nicht übel Lust hatten, dem weinseligen Kriegsmanne ihre Fäuste kosten zu lassen. Auf Vorstellung des Vaters unterblieb indes jeder Angriff; die Mutter reichte dem Reuigen zum Zeichen der Verzeihung die Hand, und der Friede war besiegelt. Anstatt sich aber nun ruhig zu entfernen, kam der Husar wieder zurück auf das Begehren, welches ihn von Anfang an ins Pastorat geführt hatte. Nicht fordernd, sondern mit höflichen Worten bat er jetzt den Vater um den ersehnten Labetrunk und zwar, damit der Vorrat ihm nicht gar zu zeitig ausgehe, um zwei Flaschen. Das Verlangte wurde ihm gereicht, doch nahm er vorerst nur eine Flasche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/251>, abgerufen am 23.12.2024.