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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

Schafs' Pferd, Pfaff! Brauchen viel Pferd und gleich! lautet der besehls-
haberische Morgengruß, während ein Paar der Eindringlinge den Vater in die
Mitte nahmen, wohl um sich seiner Person zu versichern.

Ich habe keine Pferde, wovon ihr euch selbst überzeugen könnt! entgegnet
der Vater.

Schafs Pferd, oder wir kreuzigen dich! brüllen die Nachdrängenden und
stoßen den Wehrlosen gegen die Wand.

Der Vater breitet die Arme aus, richtet sich hoch auf und versetzt ruhig:
Thut es, wenn ein Pferd aus mir wird!

Darauf wildes Fluchen, Säbelgerassel, sinnloses Drohen, das damit endigte,
daß der Vater, halb angekleidet, wie er war, inmitten der Lärmenden fort¬
geschleppt wurde.

Die Mutter, welche deu Vater aus dem Hofe schleppen sieht, ruft um
Hilfe, wir Kinder schreien, ohne zu wissen, um was es sich handelt, die Mägde
stürzen in den nächsten Bauernhof, jammernd und händeringend.

Inzwischen war es ringsum lebendig geworden. Eine Anzahl entschlossener
Männer, an der Spitze der Dorfrichter, dessen großes Gehöft dem Pastorat
schief gegenüber lag, eilten herbei zur Befreiung ihres gefährdeten Seelsorgers.
Mit Hilfe zweier Offiziere, die nunmehr einrückten, umgeben von einer geord¬
neten Truppe, gelingt dies auch ohne Schwierigkeit, worauf über die Frevler
strenges Gericht gehalten wird.

In der Besorgnis, daß ähnliche Auftritte sich noch öfter wiederholen
könnten, dachten die Eltern jetzt ernstlich an Flucht. Dieser stellten sich aber
dadurch Hindernisse entgegen, daß der Vater unter allen Umständen bei seiner
Gemeinde bleiben mußte, was eine zeitweilige Trennung von seiner Familie,
deren Dauer sich nicht vorausbestimmen ließ, nötig machte.

Während man noch darüber beriet, wohl auch bereits die Flucht heimlich
vorbereitete, wäre meine Mutter, in Abwesenheit des Vaters, durch die Rohheit
eines ungarischen Husaren beinahe ums Leben gekommen, ein Vorfall, der
wesentlich zur Beschleunigung unsrer Flucht beitrug.

Es war Sonnabend, der Tag, an welchem allwöchentlich Mittags zwölf
Uhr Beichte in der Kirche gehalten wurde. Plötzlich sprengt die Landstraße
daher ein einzelner Husar, hält vor dem Hofthor, schwingt sich ans dem Sattel
und nähert sich schwankenden Schrittes dem Hause, Die Mutter empfängt
den offenbar bereits angetrunkenen Mann schon an der Thür, um sein Begehr
zu erfahren und ihn möglichst schnell zufriedenzustellen. Wie vermutet wurde,
verlangt der Husar mit lallender Zunge ein paar Flaschen Wein.

Zum Glück war von dem sehr geringen Weinvorrate, den die Eltern für
außerordentliche Fälle bereit hielten, noch ein kleiner Rest vorhanden, was der
Mutter in jenem Augenblicke sehr lieb war, da sie sich nun mit dem halb¬
trunkenen Manne, der nur gebrochen Deutsch sprach, in keine Unterhandlungen


Zugenderinnerungen.

Schafs' Pferd, Pfaff! Brauchen viel Pferd und gleich! lautet der besehls-
haberische Morgengruß, während ein Paar der Eindringlinge den Vater in die
Mitte nahmen, wohl um sich seiner Person zu versichern.

Ich habe keine Pferde, wovon ihr euch selbst überzeugen könnt! entgegnet
der Vater.

Schafs Pferd, oder wir kreuzigen dich! brüllen die Nachdrängenden und
stoßen den Wehrlosen gegen die Wand.

Der Vater breitet die Arme aus, richtet sich hoch auf und versetzt ruhig:
Thut es, wenn ein Pferd aus mir wird!

Darauf wildes Fluchen, Säbelgerassel, sinnloses Drohen, das damit endigte,
daß der Vater, halb angekleidet, wie er war, inmitten der Lärmenden fort¬
geschleppt wurde.

Die Mutter, welche deu Vater aus dem Hofe schleppen sieht, ruft um
Hilfe, wir Kinder schreien, ohne zu wissen, um was es sich handelt, die Mägde
stürzen in den nächsten Bauernhof, jammernd und händeringend.

Inzwischen war es ringsum lebendig geworden. Eine Anzahl entschlossener
Männer, an der Spitze der Dorfrichter, dessen großes Gehöft dem Pastorat
schief gegenüber lag, eilten herbei zur Befreiung ihres gefährdeten Seelsorgers.
Mit Hilfe zweier Offiziere, die nunmehr einrückten, umgeben von einer geord¬
neten Truppe, gelingt dies auch ohne Schwierigkeit, worauf über die Frevler
strenges Gericht gehalten wird.

In der Besorgnis, daß ähnliche Auftritte sich noch öfter wiederholen
könnten, dachten die Eltern jetzt ernstlich an Flucht. Dieser stellten sich aber
dadurch Hindernisse entgegen, daß der Vater unter allen Umständen bei seiner
Gemeinde bleiben mußte, was eine zeitweilige Trennung von seiner Familie,
deren Dauer sich nicht vorausbestimmen ließ, nötig machte.

Während man noch darüber beriet, wohl auch bereits die Flucht heimlich
vorbereitete, wäre meine Mutter, in Abwesenheit des Vaters, durch die Rohheit
eines ungarischen Husaren beinahe ums Leben gekommen, ein Vorfall, der
wesentlich zur Beschleunigung unsrer Flucht beitrug.

Es war Sonnabend, der Tag, an welchem allwöchentlich Mittags zwölf
Uhr Beichte in der Kirche gehalten wurde. Plötzlich sprengt die Landstraße
daher ein einzelner Husar, hält vor dem Hofthor, schwingt sich ans dem Sattel
und nähert sich schwankenden Schrittes dem Hause, Die Mutter empfängt
den offenbar bereits angetrunkenen Mann schon an der Thür, um sein Begehr
zu erfahren und ihn möglichst schnell zufriedenzustellen. Wie vermutet wurde,
verlangt der Husar mit lallender Zunge ein paar Flaschen Wein.

Zum Glück war von dem sehr geringen Weinvorrate, den die Eltern für
außerordentliche Fälle bereit hielten, noch ein kleiner Rest vorhanden, was der
Mutter in jenem Augenblicke sehr lieb war, da sie sich nun mit dem halb¬
trunkenen Manne, der nur gebrochen Deutsch sprach, in keine Unterhandlungen


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[0250] Zugenderinnerungen. Schafs' Pferd, Pfaff! Brauchen viel Pferd und gleich! lautet der besehls- haberische Morgengruß, während ein Paar der Eindringlinge den Vater in die Mitte nahmen, wohl um sich seiner Person zu versichern. Ich habe keine Pferde, wovon ihr euch selbst überzeugen könnt! entgegnet der Vater. Schafs Pferd, oder wir kreuzigen dich! brüllen die Nachdrängenden und stoßen den Wehrlosen gegen die Wand. Der Vater breitet die Arme aus, richtet sich hoch auf und versetzt ruhig: Thut es, wenn ein Pferd aus mir wird! Darauf wildes Fluchen, Säbelgerassel, sinnloses Drohen, das damit endigte, daß der Vater, halb angekleidet, wie er war, inmitten der Lärmenden fort¬ geschleppt wurde. Die Mutter, welche deu Vater aus dem Hofe schleppen sieht, ruft um Hilfe, wir Kinder schreien, ohne zu wissen, um was es sich handelt, die Mägde stürzen in den nächsten Bauernhof, jammernd und händeringend. Inzwischen war es ringsum lebendig geworden. Eine Anzahl entschlossener Männer, an der Spitze der Dorfrichter, dessen großes Gehöft dem Pastorat schief gegenüber lag, eilten herbei zur Befreiung ihres gefährdeten Seelsorgers. Mit Hilfe zweier Offiziere, die nunmehr einrückten, umgeben von einer geord¬ neten Truppe, gelingt dies auch ohne Schwierigkeit, worauf über die Frevler strenges Gericht gehalten wird. In der Besorgnis, daß ähnliche Auftritte sich noch öfter wiederholen könnten, dachten die Eltern jetzt ernstlich an Flucht. Dieser stellten sich aber dadurch Hindernisse entgegen, daß der Vater unter allen Umständen bei seiner Gemeinde bleiben mußte, was eine zeitweilige Trennung von seiner Familie, deren Dauer sich nicht vorausbestimmen ließ, nötig machte. Während man noch darüber beriet, wohl auch bereits die Flucht heimlich vorbereitete, wäre meine Mutter, in Abwesenheit des Vaters, durch die Rohheit eines ungarischen Husaren beinahe ums Leben gekommen, ein Vorfall, der wesentlich zur Beschleunigung unsrer Flucht beitrug. Es war Sonnabend, der Tag, an welchem allwöchentlich Mittags zwölf Uhr Beichte in der Kirche gehalten wurde. Plötzlich sprengt die Landstraße daher ein einzelner Husar, hält vor dem Hofthor, schwingt sich ans dem Sattel und nähert sich schwankenden Schrittes dem Hause, Die Mutter empfängt den offenbar bereits angetrunkenen Mann schon an der Thür, um sein Begehr zu erfahren und ihn möglichst schnell zufriedenzustellen. Wie vermutet wurde, verlangt der Husar mit lallender Zunge ein paar Flaschen Wein. Zum Glück war von dem sehr geringen Weinvorrate, den die Eltern für außerordentliche Fälle bereit hielten, noch ein kleiner Rest vorhanden, was der Mutter in jenem Augenblicke sehr lieb war, da sie sich nun mit dem halb¬ trunkenen Manne, der nur gebrochen Deutsch sprach, in keine Unterhandlungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/250>, abgerufen am 03.07.2024.