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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Apotheken.

hier wird die Sache von den Anhängern der freien Niederlassung schlimmer
gemacht, als sie ist. Der Apotheker hat während seiner Laufbahn vieles gelernt.
Er ist sehr geeignet, in andre Bahnen überzutreten, und wir finden in der That
in vielen Ständen tüchtige Leute, welche ehemals Apotheker waren. Wir kennen
Professoren, Chemiker, Ärzte, Fabrikanten, Kaufleute ?e., lauter ehemalige
Apotheker, denen es sehr Wohl geht. Dagegen hat man nie gehört, daß ein
brauchbarer Apotheker stellenlos gewesen wäre. Sache des Staates wäre es
hier, mit zu helfen, Laufbahnen zu schaffen; wir denken um die Fabrikinspektoren,
vereideten Handelschemiker, Chemiker an staatlichen Untersuchuugsstativueu ?c.
Solche Stellen konnten tüchtigen Apothekern vorbehalten werden. Es ist nicht
ganz leicht, in einem andern Fache sich Bahn zu brechen, das geben wir zu.
Es erfordert Willenskraft, Verstand und Glück. Leichter ist es, auf eine Kon¬
zession zu warten und inzwischen nach Freiheit zu rufen, nämlich nach dein
Rechte freier Niederlassung. Das Wort "Freiheit" allein ist ja ganz geeignet,
die Massen zu gewinnen.

Außer den beiden hervorgehobenen Übelständen, nämlich daß zum Ankauf
Vermögen gehört und daß er anch dann noch recht schwierig ist, Übelständen,
welche leider in andern Ständen (beim Landwirt z. B.) auch vorkommen, wüßten
wir dem Konzessionssystcm mit beschränkter Niederlassung nichts nachzusagen.
Das öffentliche Interesse erfordert Apotheken, der Staat hat die Verteilung
derselben in der Hand, er führt die Aufsicht, er bestimmt den Preis der
Arzeneien. Unter diesem System ist die deutsche Apotheke geworden, was sie
ist. Wer jemals in England, in Holland oder Frankreich gereist ist, der weiß
auch, daß in diesen Staaten nur wenige hervorragende Apotheken sich mit der
deutschen Durchschnitt-Apotheke messen können, sowohl in Bezug auf Güte und
Reinheit der Waaren, praktische Einrichtung, als Billigkeit der Preise.

Nicht unterlassen können wir an dieser Stelle auf den Selbstmord des
Dr. Kolewnin in Petersburg zurückzukommen, der noch in frischem Gedächtnis
ist. Derselbe hatte Versuche mit Cocain gemacht, und zwar ließ er sich Be¬
richte französischer Fachzeitungen als Richtschnur dienen. Er ließ 24 Gran
einspritzen und erklärte den Zuhörern, daß französische Ärzte fast eine doppelt
so große Quantität anwendeten ohne Gefahr für den Patienten. Die Opera¬
tion verlief glücklich, doch kurze Zeit, nachdem die Patientin in ihrem Zinnner
angelangt war, traten Todessymptome auf; sie starb nach zwei Stunde-?. Da
die pharmazeutischen Präparate in Nußland untersucht werden und das Coeain
rein war, muß angenommen werden, daß die Franzosen mit unreinem oder
(Coeain ist sehr teuer) verfälschtem Cocaiu zu thun gehabt haben, sodaß die
Dosis von reinem Coeain zu groß war. Dieser Vorfall wirft ein Licht auf
die französischen Apotheken.

Wir stellen in Frage, ob die deutsche Apotheke bei freier Niederlassung
leistungsfähig bleiben wird. Wir bestreiten jedenfalls, daß dann für eine an-


Unsre Apotheken.

hier wird die Sache von den Anhängern der freien Niederlassung schlimmer
gemacht, als sie ist. Der Apotheker hat während seiner Laufbahn vieles gelernt.
Er ist sehr geeignet, in andre Bahnen überzutreten, und wir finden in der That
in vielen Ständen tüchtige Leute, welche ehemals Apotheker waren. Wir kennen
Professoren, Chemiker, Ärzte, Fabrikanten, Kaufleute ?e., lauter ehemalige
Apotheker, denen es sehr Wohl geht. Dagegen hat man nie gehört, daß ein
brauchbarer Apotheker stellenlos gewesen wäre. Sache des Staates wäre es
hier, mit zu helfen, Laufbahnen zu schaffen; wir denken um die Fabrikinspektoren,
vereideten Handelschemiker, Chemiker an staatlichen Untersuchuugsstativueu ?c.
Solche Stellen konnten tüchtigen Apothekern vorbehalten werden. Es ist nicht
ganz leicht, in einem andern Fache sich Bahn zu brechen, das geben wir zu.
Es erfordert Willenskraft, Verstand und Glück. Leichter ist es, auf eine Kon¬
zession zu warten und inzwischen nach Freiheit zu rufen, nämlich nach dein
Rechte freier Niederlassung. Das Wort „Freiheit" allein ist ja ganz geeignet,
die Massen zu gewinnen.

Außer den beiden hervorgehobenen Übelständen, nämlich daß zum Ankauf
Vermögen gehört und daß er anch dann noch recht schwierig ist, Übelständen,
welche leider in andern Ständen (beim Landwirt z. B.) auch vorkommen, wüßten
wir dem Konzessionssystcm mit beschränkter Niederlassung nichts nachzusagen.
Das öffentliche Interesse erfordert Apotheken, der Staat hat die Verteilung
derselben in der Hand, er führt die Aufsicht, er bestimmt den Preis der
Arzeneien. Unter diesem System ist die deutsche Apotheke geworden, was sie
ist. Wer jemals in England, in Holland oder Frankreich gereist ist, der weiß
auch, daß in diesen Staaten nur wenige hervorragende Apotheken sich mit der
deutschen Durchschnitt-Apotheke messen können, sowohl in Bezug auf Güte und
Reinheit der Waaren, praktische Einrichtung, als Billigkeit der Preise.

Nicht unterlassen können wir an dieser Stelle auf den Selbstmord des
Dr. Kolewnin in Petersburg zurückzukommen, der noch in frischem Gedächtnis
ist. Derselbe hatte Versuche mit Cocain gemacht, und zwar ließ er sich Be¬
richte französischer Fachzeitungen als Richtschnur dienen. Er ließ 24 Gran
einspritzen und erklärte den Zuhörern, daß französische Ärzte fast eine doppelt
so große Quantität anwendeten ohne Gefahr für den Patienten. Die Opera¬
tion verlief glücklich, doch kurze Zeit, nachdem die Patientin in ihrem Zinnner
angelangt war, traten Todessymptome auf; sie starb nach zwei Stunde-?. Da
die pharmazeutischen Präparate in Nußland untersucht werden und das Coeain
rein war, muß angenommen werden, daß die Franzosen mit unreinem oder
(Coeain ist sehr teuer) verfälschtem Cocaiu zu thun gehabt haben, sodaß die
Dosis von reinem Coeain zu groß war. Dieser Vorfall wirft ein Licht auf
die französischen Apotheken.

Wir stellen in Frage, ob die deutsche Apotheke bei freier Niederlassung
leistungsfähig bleiben wird. Wir bestreiten jedenfalls, daß dann für eine an-


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[0024] Unsre Apotheken. hier wird die Sache von den Anhängern der freien Niederlassung schlimmer gemacht, als sie ist. Der Apotheker hat während seiner Laufbahn vieles gelernt. Er ist sehr geeignet, in andre Bahnen überzutreten, und wir finden in der That in vielen Ständen tüchtige Leute, welche ehemals Apotheker waren. Wir kennen Professoren, Chemiker, Ärzte, Fabrikanten, Kaufleute ?e., lauter ehemalige Apotheker, denen es sehr Wohl geht. Dagegen hat man nie gehört, daß ein brauchbarer Apotheker stellenlos gewesen wäre. Sache des Staates wäre es hier, mit zu helfen, Laufbahnen zu schaffen; wir denken um die Fabrikinspektoren, vereideten Handelschemiker, Chemiker an staatlichen Untersuchuugsstativueu ?c. Solche Stellen konnten tüchtigen Apothekern vorbehalten werden. Es ist nicht ganz leicht, in einem andern Fache sich Bahn zu brechen, das geben wir zu. Es erfordert Willenskraft, Verstand und Glück. Leichter ist es, auf eine Kon¬ zession zu warten und inzwischen nach Freiheit zu rufen, nämlich nach dein Rechte freier Niederlassung. Das Wort „Freiheit" allein ist ja ganz geeignet, die Massen zu gewinnen. Außer den beiden hervorgehobenen Übelständen, nämlich daß zum Ankauf Vermögen gehört und daß er anch dann noch recht schwierig ist, Übelständen, welche leider in andern Ständen (beim Landwirt z. B.) auch vorkommen, wüßten wir dem Konzessionssystcm mit beschränkter Niederlassung nichts nachzusagen. Das öffentliche Interesse erfordert Apotheken, der Staat hat die Verteilung derselben in der Hand, er führt die Aufsicht, er bestimmt den Preis der Arzeneien. Unter diesem System ist die deutsche Apotheke geworden, was sie ist. Wer jemals in England, in Holland oder Frankreich gereist ist, der weiß auch, daß in diesen Staaten nur wenige hervorragende Apotheken sich mit der deutschen Durchschnitt-Apotheke messen können, sowohl in Bezug auf Güte und Reinheit der Waaren, praktische Einrichtung, als Billigkeit der Preise. Nicht unterlassen können wir an dieser Stelle auf den Selbstmord des Dr. Kolewnin in Petersburg zurückzukommen, der noch in frischem Gedächtnis ist. Derselbe hatte Versuche mit Cocain gemacht, und zwar ließ er sich Be¬ richte französischer Fachzeitungen als Richtschnur dienen. Er ließ 24 Gran einspritzen und erklärte den Zuhörern, daß französische Ärzte fast eine doppelt so große Quantität anwendeten ohne Gefahr für den Patienten. Die Opera¬ tion verlief glücklich, doch kurze Zeit, nachdem die Patientin in ihrem Zinnner angelangt war, traten Todessymptome auf; sie starb nach zwei Stunde-?. Da die pharmazeutischen Präparate in Nußland untersucht werden und das Coeain rein war, muß angenommen werden, daß die Franzosen mit unreinem oder (Coeain ist sehr teuer) verfälschtem Cocaiu zu thun gehabt haben, sodaß die Dosis von reinem Coeain zu groß war. Dieser Vorfall wirft ein Licht auf die französischen Apotheken. Wir stellen in Frage, ob die deutsche Apotheke bei freier Niederlassung leistungsfähig bleiben wird. Wir bestreiten jedenfalls, daß dann für eine an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/24>, abgerufen am 01.07.2024.