Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Vor den neuen Ideen Tau'nes zurück, schamrot darüber, den Essay über Titus Die "Geschichte der englischen Literatur" selbst aber machte dessen ungeachtet Und doch fällt gerade in diese Zeit allerhöchster Mißbilligung der Taine- Vor den neuen Ideen Tau'nes zurück, schamrot darüber, den Essay über Titus Die „Geschichte der englischen Literatur" selbst aber machte dessen ungeachtet Und doch fällt gerade in diese Zeit allerhöchster Mißbilligung der Taine- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200341"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_673" prev="#ID_672"> Vor den neuen Ideen Tau'nes zurück, schamrot darüber, den Essay über Titus<lb/> Livius gekrönt und die Umstnrztendeuz desselben nicht durchschaut zu haben;<lb/> und bestrebt, das an der philosophischen Orthodoxie der Universität begangene<lb/> Unrecht zu sühnen, weigerte sie sich, zur Mitschuldigen an der gegen die einzig<lb/> richtige Glaubenslehre ihres Mitgliedes Victor Cousin begangenen Ketzerei zu<lb/> werden, indem sie offenherzig zugestand, daß das sonst vortreffliche Buch von<lb/> der Preisbewerbung auszuschließen sei, weil seine Grundsätze „allen anerkannten<lb/> Prinzipien der Philosophie widersprächen" und denselben „Gewalt anthäten."<lb/> Die Zeit des Bücherverbrennens war glücklicherweise vorüber, und auch Taine<lb/> lief uicht Gefahr, auf einen Scheiterhaufen gebunden zu werden. Dennoch hatte<lb/> es mit der Verurteilung durch die Akademie uicht sei» Bewenden; auch die<lb/> Kirche trat gegen das Buch ans; Bischof Dnpaulvup begriff deu Verfasser mit<lb/> ein in die Anschuldigungen des Atheismus, mit denen er Littre und Renan zu<lb/> vernichten glaubte, und Taiues Werk wurde auf deu doppelten iuclLX librorum<lb/> xrolriditorain der offiziellen Philosophie und der katholischen Theologie gesetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_674"> Die „Geschichte der englischen Literatur" selbst aber machte dessen ungeachtet<lb/> oder gerade deshalb ihren Weg und konnte das akademische Zeugnis korrekter<lb/> Denkungsweise und die bischöfliche Empfehlung leicht entbehren. Wie aber wäre<lb/> Taine geschehen, wen» er wohlbestallter Professor der Philosophie an einer der<lb/> staatlichen Proviuzialfakultäten oder an der Sorbonne selbst gewesen wäre?</p><lb/> <p xml:id="ID_675" next="#ID_676"> Und doch fällt gerade in diese Zeit allerhöchster Mißbilligung der Taine-<lb/> schcn Gedankenarbeit seine Ernennung um eine staatlich besoldete Stellung,<lb/> freilich weder vonseiten der Universität noch viel weniger durch die Kirche.<lb/> Napoleon III. und seine militärische Umgebung scheinen nur unvollkommen pointer<lb/> Notwendigkeit und Unfehlbarkeit des Eklektizismus und von dessen Verdienst um<lb/> Staat und Kirche überzeugt gewesen zu sein; angeregt auch durch die Tainesche<lb/> Auffassung des Lebens und Denkens einer Nation, bei der er den größten Teil<lb/> seiner Jugend verbracht hatte, sprach der Kaiser ein Machtwort, und Taine<lb/> wurde Examinator für englische und deutsche Sprache an der Militärschnle von<lb/> Saint-Cyr. Nichtsdestoweniger gelang es seinen Feinden, denn als solche ge-<lb/> berdeten sich die Orthodoxen der Universität und die Unfehlbarer der Klerisei,<lb/> seine Beseitigung zu erwirken, die indes unter dem Drucke der öffentlichen<lb/> Meinung und der kaiserlichen Sympathie bald genug widerrufen wurde, so-<lb/> daß er als eiuer der wenigen Franzosen, welche die englische und deutsche<lb/> Sprache ebenso gut wie ihre eigue beherrschen, in seinem neuen Amte verblieb.<lb/> Ja die Gunst des Kaisers ging noch mener, indem sie 1864 dem Verfolgten<lb/> endlich eine seines Geistes und seiner Neigungen und Anlagen würdige an¬<lb/> gesehene Stellung in dem Lehrstühle für Kunstgeschichte und Ästhetik an der<lb/> Pariser Kunstakademie — I^eols nes beaux-irrts — verlieh. Diese Ernennung<lb/> mochte viele überraschen, denn bis dahin hatte Taine keinerlei knnstphilvsvphische<lb/> Arbeiten veröffentlicht, aber die Widersacher mußten verstumme», als der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
Vor den neuen Ideen Tau'nes zurück, schamrot darüber, den Essay über Titus
Livius gekrönt und die Umstnrztendeuz desselben nicht durchschaut zu haben;
und bestrebt, das an der philosophischen Orthodoxie der Universität begangene
Unrecht zu sühnen, weigerte sie sich, zur Mitschuldigen an der gegen die einzig
richtige Glaubenslehre ihres Mitgliedes Victor Cousin begangenen Ketzerei zu
werden, indem sie offenherzig zugestand, daß das sonst vortreffliche Buch von
der Preisbewerbung auszuschließen sei, weil seine Grundsätze „allen anerkannten
Prinzipien der Philosophie widersprächen" und denselben „Gewalt anthäten."
Die Zeit des Bücherverbrennens war glücklicherweise vorüber, und auch Taine
lief uicht Gefahr, auf einen Scheiterhaufen gebunden zu werden. Dennoch hatte
es mit der Verurteilung durch die Akademie uicht sei» Bewenden; auch die
Kirche trat gegen das Buch ans; Bischof Dnpaulvup begriff deu Verfasser mit
ein in die Anschuldigungen des Atheismus, mit denen er Littre und Renan zu
vernichten glaubte, und Taiues Werk wurde auf deu doppelten iuclLX librorum
xrolriditorain der offiziellen Philosophie und der katholischen Theologie gesetzt.
Die „Geschichte der englischen Literatur" selbst aber machte dessen ungeachtet
oder gerade deshalb ihren Weg und konnte das akademische Zeugnis korrekter
Denkungsweise und die bischöfliche Empfehlung leicht entbehren. Wie aber wäre
Taine geschehen, wen» er wohlbestallter Professor der Philosophie an einer der
staatlichen Proviuzialfakultäten oder an der Sorbonne selbst gewesen wäre?
Und doch fällt gerade in diese Zeit allerhöchster Mißbilligung der Taine-
schcn Gedankenarbeit seine Ernennung um eine staatlich besoldete Stellung,
freilich weder vonseiten der Universität noch viel weniger durch die Kirche.
Napoleon III. und seine militärische Umgebung scheinen nur unvollkommen pointer
Notwendigkeit und Unfehlbarkeit des Eklektizismus und von dessen Verdienst um
Staat und Kirche überzeugt gewesen zu sein; angeregt auch durch die Tainesche
Auffassung des Lebens und Denkens einer Nation, bei der er den größten Teil
seiner Jugend verbracht hatte, sprach der Kaiser ein Machtwort, und Taine
wurde Examinator für englische und deutsche Sprache an der Militärschnle von
Saint-Cyr. Nichtsdestoweniger gelang es seinen Feinden, denn als solche ge-
berdeten sich die Orthodoxen der Universität und die Unfehlbarer der Klerisei,
seine Beseitigung zu erwirken, die indes unter dem Drucke der öffentlichen
Meinung und der kaiserlichen Sympathie bald genug widerrufen wurde, so-
daß er als eiuer der wenigen Franzosen, welche die englische und deutsche
Sprache ebenso gut wie ihre eigue beherrschen, in seinem neuen Amte verblieb.
Ja die Gunst des Kaisers ging noch mener, indem sie 1864 dem Verfolgten
endlich eine seines Geistes und seiner Neigungen und Anlagen würdige an¬
gesehene Stellung in dem Lehrstühle für Kunstgeschichte und Ästhetik an der
Pariser Kunstakademie — I^eols nes beaux-irrts — verlieh. Diese Ernennung
mochte viele überraschen, denn bis dahin hatte Taine keinerlei knnstphilvsvphische
Arbeiten veröffentlicht, aber die Widersacher mußten verstumme», als der
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |