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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Französische Lharakterköpfe.

daß die Universität ihm eine Glaubensprvbe auferlegt hatte. Die Verweigerung
des Aggregativnsdiploins war die Strafe feines philosophischen Ketzertums.
Er büßte für die Selbständigkeit seiner Ideen, indem er nacheinander ganz un¬
bedeutende Hilfslehrerstellen an Staatsschulen und Winkclfakultäten der kleinen
Prvvinzialstädte Revers und Poitiers bekleidete. Als ihn aber die Unduld¬
samkeit der Staatsphilosophen der Sorbonne gar als Hilfslehrer der Sexta nach
Besanyon versetzte, da lehnte sich denn doch das Bewußtsein des eignen Wertes
gegen das Übelwollen der Universität auf, und, müde der kränkenden Hintan¬
setzungen, zu der Einsicht gelangt, daß der Universitäts-Lehrberuf ihm die erwar¬
tete Zukunft nicht gewähren würde, überdrüssig, als kleiner Hilfslehrer für einen
Bettelgchalt unentwickelten und mittelmäßigen köpfen eine Lehre einzutrichtern,
deren Wissenschaftlichkeit er bestritt und deren Sätze er verwarf, nahm er feinen
Abschied und kehrte nach Paris zurück, um sich außerhalb des Lehrcrberufs,
für den er feine Studien berechnet hatte, einen Lebensweg zu bahnen. Vorerst
ging er wieder an die Sorbonne und bereitete sich auf das "literarische" Doktor¬
examen vor, das er mit den beiden ausgezeichneten Dissertationen: Do xorsoni"
I'ig.domin.iL und Lssiü sur los lÄolos as I^ulontaiiio 1853 rühmlichst bestand.
Beide Schriften tragen nicht allein das unverkennbare Gepräge seiner eignen,
mit der offiziellen Philosophie des Eklektizismus und des Spiritualismus im
Widersprüche stehenden Denkart, sondern auch den Stempel eines originellen
Dialektikers und glänzenden Stilisten.

Er lebte nun längere Zeit als Privatgelehrter seinen Studien und ver¬
öffentlichte in rascher Folge eine Reihe von Schriften, welche die öffentliche
Aufmerksamkeit auf ihn lenkten und deren gerechtfertigte Erfolge jeder eine herbe
Kritik über die tote Kathederweisheit und die beschränkte Unduldsamkeit der
Universität waren. Im Jahre 1854 erschien sein Versuch über Titus Livius,
den die französische Akademie trotz ihrer Anhänglichkeit an seine Gegner mit
einem Preise gekrönt hatte, einer Auszeichnung, welche sie vielleicht gern wieder
zurückgenommen hätte, als der Verfasser die gelehrten Herren des Instituts mit
der Erklärung verblüffte, daß das Buch eine Anwendung und Darlegung der
Ideen Spinozas sei.

Vollends aber verdarb es Taine mit der französischen Universitäts-Philo-
sophie und ihren mächtigen Anhängern, als er 1856 das Buch "Die Philosophen
des neunzehnten Jahrhunderts" veröffentlichte. Für die studirende Jugend be¬
rechnet, "deren philosophische Überzeugung noch in der Bildung begriffen ist,"
übte die Schrift eine vernichtende Kritik an der Schule Cousins, deren Lehre
eben die allein giltige, allein geduldete und an der Universität allein gelehrte
war. Nachdem er die Wandlungen der ursprünglich pantheistischen Philosophie
des Eklektizismus, welcher mit dem politischen Emporsteigen seines Schöpfers
zum religiös ungefährlichen Spiritualismus, zur staatlichen orthodoxen Philo¬
sophie, zu einem Instrumente der Pädagogik und Politik geworden war, bloß-


Französische Lharakterköpfe.

daß die Universität ihm eine Glaubensprvbe auferlegt hatte. Die Verweigerung
des Aggregativnsdiploins war die Strafe feines philosophischen Ketzertums.
Er büßte für die Selbständigkeit seiner Ideen, indem er nacheinander ganz un¬
bedeutende Hilfslehrerstellen an Staatsschulen und Winkclfakultäten der kleinen
Prvvinzialstädte Revers und Poitiers bekleidete. Als ihn aber die Unduld¬
samkeit der Staatsphilosophen der Sorbonne gar als Hilfslehrer der Sexta nach
Besanyon versetzte, da lehnte sich denn doch das Bewußtsein des eignen Wertes
gegen das Übelwollen der Universität auf, und, müde der kränkenden Hintan¬
setzungen, zu der Einsicht gelangt, daß der Universitäts-Lehrberuf ihm die erwar¬
tete Zukunft nicht gewähren würde, überdrüssig, als kleiner Hilfslehrer für einen
Bettelgchalt unentwickelten und mittelmäßigen köpfen eine Lehre einzutrichtern,
deren Wissenschaftlichkeit er bestritt und deren Sätze er verwarf, nahm er feinen
Abschied und kehrte nach Paris zurück, um sich außerhalb des Lehrcrberufs,
für den er feine Studien berechnet hatte, einen Lebensweg zu bahnen. Vorerst
ging er wieder an die Sorbonne und bereitete sich auf das „literarische" Doktor¬
examen vor, das er mit den beiden ausgezeichneten Dissertationen: Do xorsoni»
I'ig.domin.iL und Lssiü sur los lÄolos as I^ulontaiiio 1853 rühmlichst bestand.
Beide Schriften tragen nicht allein das unverkennbare Gepräge seiner eignen,
mit der offiziellen Philosophie des Eklektizismus und des Spiritualismus im
Widersprüche stehenden Denkart, sondern auch den Stempel eines originellen
Dialektikers und glänzenden Stilisten.

Er lebte nun längere Zeit als Privatgelehrter seinen Studien und ver¬
öffentlichte in rascher Folge eine Reihe von Schriften, welche die öffentliche
Aufmerksamkeit auf ihn lenkten und deren gerechtfertigte Erfolge jeder eine herbe
Kritik über die tote Kathederweisheit und die beschränkte Unduldsamkeit der
Universität waren. Im Jahre 1854 erschien sein Versuch über Titus Livius,
den die französische Akademie trotz ihrer Anhänglichkeit an seine Gegner mit
einem Preise gekrönt hatte, einer Auszeichnung, welche sie vielleicht gern wieder
zurückgenommen hätte, als der Verfasser die gelehrten Herren des Instituts mit
der Erklärung verblüffte, daß das Buch eine Anwendung und Darlegung der
Ideen Spinozas sei.

Vollends aber verdarb es Taine mit der französischen Universitäts-Philo-
sophie und ihren mächtigen Anhängern, als er 1856 das Buch „Die Philosophen
des neunzehnten Jahrhunderts" veröffentlichte. Für die studirende Jugend be¬
rechnet, „deren philosophische Überzeugung noch in der Bildung begriffen ist,"
übte die Schrift eine vernichtende Kritik an der Schule Cousins, deren Lehre
eben die allein giltige, allein geduldete und an der Universität allein gelehrte
war. Nachdem er die Wandlungen der ursprünglich pantheistischen Philosophie
des Eklektizismus, welcher mit dem politischen Emporsteigen seines Schöpfers
zum religiös ungefährlichen Spiritualismus, zur staatlichen orthodoxen Philo¬
sophie, zu einem Instrumente der Pädagogik und Politik geworden war, bloß-


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[0234] Französische Lharakterköpfe. daß die Universität ihm eine Glaubensprvbe auferlegt hatte. Die Verweigerung des Aggregativnsdiploins war die Strafe feines philosophischen Ketzertums. Er büßte für die Selbständigkeit seiner Ideen, indem er nacheinander ganz un¬ bedeutende Hilfslehrerstellen an Staatsschulen und Winkclfakultäten der kleinen Prvvinzialstädte Revers und Poitiers bekleidete. Als ihn aber die Unduld¬ samkeit der Staatsphilosophen der Sorbonne gar als Hilfslehrer der Sexta nach Besanyon versetzte, da lehnte sich denn doch das Bewußtsein des eignen Wertes gegen das Übelwollen der Universität auf, und, müde der kränkenden Hintan¬ setzungen, zu der Einsicht gelangt, daß der Universitäts-Lehrberuf ihm die erwar¬ tete Zukunft nicht gewähren würde, überdrüssig, als kleiner Hilfslehrer für einen Bettelgchalt unentwickelten und mittelmäßigen köpfen eine Lehre einzutrichtern, deren Wissenschaftlichkeit er bestritt und deren Sätze er verwarf, nahm er feinen Abschied und kehrte nach Paris zurück, um sich außerhalb des Lehrcrberufs, für den er feine Studien berechnet hatte, einen Lebensweg zu bahnen. Vorerst ging er wieder an die Sorbonne und bereitete sich auf das „literarische" Doktor¬ examen vor, das er mit den beiden ausgezeichneten Dissertationen: Do xorsoni» I'ig.domin.iL und Lssiü sur los lÄolos as I^ulontaiiio 1853 rühmlichst bestand. Beide Schriften tragen nicht allein das unverkennbare Gepräge seiner eignen, mit der offiziellen Philosophie des Eklektizismus und des Spiritualismus im Widersprüche stehenden Denkart, sondern auch den Stempel eines originellen Dialektikers und glänzenden Stilisten. Er lebte nun längere Zeit als Privatgelehrter seinen Studien und ver¬ öffentlichte in rascher Folge eine Reihe von Schriften, welche die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn lenkten und deren gerechtfertigte Erfolge jeder eine herbe Kritik über die tote Kathederweisheit und die beschränkte Unduldsamkeit der Universität waren. Im Jahre 1854 erschien sein Versuch über Titus Livius, den die französische Akademie trotz ihrer Anhänglichkeit an seine Gegner mit einem Preise gekrönt hatte, einer Auszeichnung, welche sie vielleicht gern wieder zurückgenommen hätte, als der Verfasser die gelehrten Herren des Instituts mit der Erklärung verblüffte, daß das Buch eine Anwendung und Darlegung der Ideen Spinozas sei. Vollends aber verdarb es Taine mit der französischen Universitäts-Philo- sophie und ihren mächtigen Anhängern, als er 1856 das Buch „Die Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts" veröffentlichte. Für die studirende Jugend be¬ rechnet, „deren philosophische Überzeugung noch in der Bildung begriffen ist," übte die Schrift eine vernichtende Kritik an der Schule Cousins, deren Lehre eben die allein giltige, allein geduldete und an der Universität allein gelehrte war. Nachdem er die Wandlungen der ursprünglich pantheistischen Philosophie des Eklektizismus, welcher mit dem politischen Emporsteigen seines Schöpfers zum religiös ungefährlichen Spiritualismus, zur staatlichen orthodoxen Philo¬ sophie, zu einem Instrumente der Pädagogik und Politik geworden war, bloß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/234>, abgerufen am 22.12.2024.