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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Französische Charakterköpfe.
von A. Vttiker-DSmcrrais. ^. Hipxolyt Taine.

u Anfang der vierziger Jahre besuchte das Kollegium Bourbon
in Paris ein aufgeweckter, aus den Ardennen gebürtiger Junge,
dessen frühreife Gelehrsamkeit und geistige Entwicklung nicht allein
bei den Lehrern gewaltiges Aufsehen hervorrief, sondern auch
auf die Schüler großen Eindruck machte. Die "Kvllegicmer" ge¬
trauten sich garnicht, ihren "Copain" als ihresgleichen zu behandeln und redeten
ihn respektvoll mit "Monsieur Taine" an. In der That schienen dem jungen
Taine, welcher am 21. April 1828 in Vonziers geboren war, seine Erfolge
eine ungewöhnliche Laufbahn zu verheißen, und entgegen der vielfach be¬
obachteten Erscheinung, daß die Wunderkinder im spätern praktischen Leben
oft nur Mittelmäßiges leisten, hat der Mann redlich gehalten, was der Knabe
versprach. Alljährlich bei der Preisverteilung, die ans die Prüfungen zu folgen
Pflegte, belaste Hippolyt Taine immer erste Preise ein, und bei der allgemeinen
Prcismitbcwerbung aller Kvllcgiancr und Lhecaucr des Scinedepartemeuts vom
Jahre 1847 wurde er mit dem Ehrenpreise der Rhetorik, einer der höchsten
Auszeichnungen, welche Frankreichs Mnsensöhnen zu Teil werden können, be¬
dacht. So ging er anch im folgenden Jahre 1848 als der erste ans der
Aufnahmeprüfung für die Normnlschule hervor, und es schien sich die glänzendste
Laufbahn in der französischen Universität vor ihm aufzuthun. Sie hätte ihm
offen gestanden, wenn er ein gewöhnlicher Schulfuchs und Vielwisser gewesen
wäre, wenn er nicht schon als ein scharfsichtiger Kritiker und selbständiger Denker
sich geweigert Hütte, ohne weiteres vor dein Kredo der orthodoxen Staats-
Philvsophie ehrfurchtsvoll sich zu beugen. Trotz seiner Jugend war Taine schon
damals ein gereifter Geist, der seine eignen Bahnen ging und nicht blindlings
dem eingetrichterten alleinseligmachenden Dogma seiner Lehrer nachbeten konnte.
Sein tüchtiges und umfassendes Wissen entschuldigte in ihren Augen sei" selbstän¬
diges Denken, die Auflehnung seiner philosophischen Überzeugung gegen die offi¬
zielle Lehre schlecht, und als er 1851 um die "Aggregation" für Philosophie, das
heißt um den staatlichen Professortitel dieser Wissenschaft, sich bewarb, wurde
e'r trotz seines glänzend bestandenen Examens zurückgewiesen. Hatte er geglaubt,
sich eiuer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen, so mußte er jetzt erfahren,


Grenzlwten I. 1887. 29
Französische Charakterköpfe.
von A. Vttiker-DSmcrrais. ^. Hipxolyt Taine.

u Anfang der vierziger Jahre besuchte das Kollegium Bourbon
in Paris ein aufgeweckter, aus den Ardennen gebürtiger Junge,
dessen frühreife Gelehrsamkeit und geistige Entwicklung nicht allein
bei den Lehrern gewaltiges Aufsehen hervorrief, sondern auch
auf die Schüler großen Eindruck machte. Die „Kvllegicmer" ge¬
trauten sich garnicht, ihren „Copain" als ihresgleichen zu behandeln und redeten
ihn respektvoll mit „Monsieur Taine" an. In der That schienen dem jungen
Taine, welcher am 21. April 1828 in Vonziers geboren war, seine Erfolge
eine ungewöhnliche Laufbahn zu verheißen, und entgegen der vielfach be¬
obachteten Erscheinung, daß die Wunderkinder im spätern praktischen Leben
oft nur Mittelmäßiges leisten, hat der Mann redlich gehalten, was der Knabe
versprach. Alljährlich bei der Preisverteilung, die ans die Prüfungen zu folgen
Pflegte, belaste Hippolyt Taine immer erste Preise ein, und bei der allgemeinen
Prcismitbcwerbung aller Kvllcgiancr und Lhecaucr des Scinedepartemeuts vom
Jahre 1847 wurde er mit dem Ehrenpreise der Rhetorik, einer der höchsten
Auszeichnungen, welche Frankreichs Mnsensöhnen zu Teil werden können, be¬
dacht. So ging er anch im folgenden Jahre 1848 als der erste ans der
Aufnahmeprüfung für die Normnlschule hervor, und es schien sich die glänzendste
Laufbahn in der französischen Universität vor ihm aufzuthun. Sie hätte ihm
offen gestanden, wenn er ein gewöhnlicher Schulfuchs und Vielwisser gewesen
wäre, wenn er nicht schon als ein scharfsichtiger Kritiker und selbständiger Denker
sich geweigert Hütte, ohne weiteres vor dein Kredo der orthodoxen Staats-
Philvsophie ehrfurchtsvoll sich zu beugen. Trotz seiner Jugend war Taine schon
damals ein gereifter Geist, der seine eignen Bahnen ging und nicht blindlings
dem eingetrichterten alleinseligmachenden Dogma seiner Lehrer nachbeten konnte.
Sein tüchtiges und umfassendes Wissen entschuldigte in ihren Augen sei» selbstän¬
diges Denken, die Auflehnung seiner philosophischen Überzeugung gegen die offi¬
zielle Lehre schlecht, und als er 1851 um die „Aggregation" für Philosophie, das
heißt um den staatlichen Professortitel dieser Wissenschaft, sich bewarb, wurde
e'r trotz seines glänzend bestandenen Examens zurückgewiesen. Hatte er geglaubt,
sich eiuer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen, so mußte er jetzt erfahren,


Grenzlwten I. 1887. 29
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[0233] Französische Charakterköpfe. von A. Vttiker-DSmcrrais. ^. Hipxolyt Taine. u Anfang der vierziger Jahre besuchte das Kollegium Bourbon in Paris ein aufgeweckter, aus den Ardennen gebürtiger Junge, dessen frühreife Gelehrsamkeit und geistige Entwicklung nicht allein bei den Lehrern gewaltiges Aufsehen hervorrief, sondern auch auf die Schüler großen Eindruck machte. Die „Kvllegicmer" ge¬ trauten sich garnicht, ihren „Copain" als ihresgleichen zu behandeln und redeten ihn respektvoll mit „Monsieur Taine" an. In der That schienen dem jungen Taine, welcher am 21. April 1828 in Vonziers geboren war, seine Erfolge eine ungewöhnliche Laufbahn zu verheißen, und entgegen der vielfach be¬ obachteten Erscheinung, daß die Wunderkinder im spätern praktischen Leben oft nur Mittelmäßiges leisten, hat der Mann redlich gehalten, was der Knabe versprach. Alljährlich bei der Preisverteilung, die ans die Prüfungen zu folgen Pflegte, belaste Hippolyt Taine immer erste Preise ein, und bei der allgemeinen Prcismitbcwerbung aller Kvllcgiancr und Lhecaucr des Scinedepartemeuts vom Jahre 1847 wurde er mit dem Ehrenpreise der Rhetorik, einer der höchsten Auszeichnungen, welche Frankreichs Mnsensöhnen zu Teil werden können, be¬ dacht. So ging er anch im folgenden Jahre 1848 als der erste ans der Aufnahmeprüfung für die Normnlschule hervor, und es schien sich die glänzendste Laufbahn in der französischen Universität vor ihm aufzuthun. Sie hätte ihm offen gestanden, wenn er ein gewöhnlicher Schulfuchs und Vielwisser gewesen wäre, wenn er nicht schon als ein scharfsichtiger Kritiker und selbständiger Denker sich geweigert Hütte, ohne weiteres vor dein Kredo der orthodoxen Staats- Philvsophie ehrfurchtsvoll sich zu beugen. Trotz seiner Jugend war Taine schon damals ein gereifter Geist, der seine eignen Bahnen ging und nicht blindlings dem eingetrichterten alleinseligmachenden Dogma seiner Lehrer nachbeten konnte. Sein tüchtiges und umfassendes Wissen entschuldigte in ihren Augen sei» selbstän¬ diges Denken, die Auflehnung seiner philosophischen Überzeugung gegen die offi¬ zielle Lehre schlecht, und als er 1851 um die „Aggregation" für Philosophie, das heißt um den staatlichen Professortitel dieser Wissenschaft, sich bewarb, wurde e'r trotz seines glänzend bestandenen Examens zurückgewiesen. Hatte er geglaubt, sich eiuer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen, so mußte er jetzt erfahren, Grenzlwten I. 1887. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/233>, abgerufen am 22.12.2024.