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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gym"asialnnterricht und Fachbildung.

bekannt sein. So kann sich zwischen Lehrern und Schülern ein inniges Ver¬
hältnis gestalten, denn der letztere gilt nicht bloß als pedantischer Schulmeister,
sondern ist Gentleman und übt die Umgangsformen der großen aristokratischen
Gesellschaftsgruppe. Ich wünschte auch unsern Lehrern und Pädagogen diese
soziale Rangstellung. Sie würde den Schülern mehr Achtung abnötigen, die
Schulzucht besser stützen, als der Ruf tiefer Gelehrsamkeit "ut wissenschaftlicher
Bedeutung, der unsern Schulmännern eigen ist oder doch erstrebenswert erscheint.

Ich will nicht so weit gehen wie einer meiner Freunde, der die Leitung
aller geschlossenen Unterrichtsanstalten einem tüchtigen Arzte oder einem wissen¬
schaftlich gebildeten Artillerieoffizier übertragen sehen möchte. Warum aber die
Erziehung unsrer Jugend vorwiegend durch Philologen gehandhabt werden
müsse, vermag ich nicht einzusehen. Ohne eine sorgfältigere Auswahl der für
die Erziehung, nicht bloß für den Unterricht geeigneten Lehrkräfte wird daher
keine Schulreform die erwarteten Ergebnisse haben. Daß der Lehrerstand heut¬
zutage nicht allen pädagogischen Anforderungen entspricht, kann ihm nicht zum
Vorwürfe gemacht werden. Der Stand als solcher ist dnrch die gesetzlichen
Eintrittsbedingungen nun einmal gebildet, und der Einzelne vermag nicht eine
andre Richtung einzuschlagen, als Überlieferung, Gewohnheit und die Be¬
stimmungen der Schulverwaltung dem Erziehungswesen vorzeichnen. Ob den
Internaten in Deutschland eine größere Verbreitung zu wünschen sei, mag so
lange eine offne Frage bleiben, als wir nicht Anstalten wie die englischen
Mblie 8Lllool8 besitzen, deren weitläufige Baumerke, von ausgedehnten Garten-
anlagen und schattigen Parks umgeben, mit allem Komfort ausgestattet und
mit Stiftungen und Pfründen verschwenderisch dotirt sind. Wir sind zur Be¬
gründung solcher Einrichtungen vielleicht nicht reich genng. Freilich fließen
eines die Stiftungen freigebiger Erblasser nnr höchst selten dem Schulwesen zu.
Jedenfalls müssen wir mit dem Umstände rechnen, daß nicht alle Eltern gewillt
und in der Lage sind, ihre Söhne schon in jugendlichem Alter vom Hause fort¬
zugehen. In den großen Städten werden Gymnasien für Externe immer ein
Bedürfnis bleiben, doch könnte bei neuen Anlagen ans die Verlegung der An¬
stalten in die Vorstädte, wo der Baugrund für Gärten und Spielplätze noch
erschwinglich ist, Wohl Bedacht genommen werden. Bei der größern Entfernung
vom Elternhause möchte es sich empfehlen, eine gemeinschaftliche Mittaas¬
mahlzeit in den Erholnngsräumen der Schule einzurichten, an welche sich die
der körperlichen Bewegung gewidmete Freistunde anschlösse. Die Knaben würden
dann den Schulweg nur zweimal täglich zurückzulegen haben.

In der Beförderung athletischen Sports brauchen wir nicht so weit zu
gehen wie die Engländer. Die allgemeine Militärpflicht, die ihnen fehlt, bietet
bei uns eine ausreichende Gelegenheit zur Abhärtung und Muskeleutwickluug.
Aber die zwei Turnstunden wöchentlich, für die außerdem gewöhnlich wenig Be¬
geisterung vorhanden ist, sind unbedingt zu wenig für die Zeit der Entwicklungs-


Gym»asialnnterricht und Fachbildung.

bekannt sein. So kann sich zwischen Lehrern und Schülern ein inniges Ver¬
hältnis gestalten, denn der letztere gilt nicht bloß als pedantischer Schulmeister,
sondern ist Gentleman und übt die Umgangsformen der großen aristokratischen
Gesellschaftsgruppe. Ich wünschte auch unsern Lehrern und Pädagogen diese
soziale Rangstellung. Sie würde den Schülern mehr Achtung abnötigen, die
Schulzucht besser stützen, als der Ruf tiefer Gelehrsamkeit »ut wissenschaftlicher
Bedeutung, der unsern Schulmännern eigen ist oder doch erstrebenswert erscheint.

Ich will nicht so weit gehen wie einer meiner Freunde, der die Leitung
aller geschlossenen Unterrichtsanstalten einem tüchtigen Arzte oder einem wissen¬
schaftlich gebildeten Artillerieoffizier übertragen sehen möchte. Warum aber die
Erziehung unsrer Jugend vorwiegend durch Philologen gehandhabt werden
müsse, vermag ich nicht einzusehen. Ohne eine sorgfältigere Auswahl der für
die Erziehung, nicht bloß für den Unterricht geeigneten Lehrkräfte wird daher
keine Schulreform die erwarteten Ergebnisse haben. Daß der Lehrerstand heut¬
zutage nicht allen pädagogischen Anforderungen entspricht, kann ihm nicht zum
Vorwürfe gemacht werden. Der Stand als solcher ist dnrch die gesetzlichen
Eintrittsbedingungen nun einmal gebildet, und der Einzelne vermag nicht eine
andre Richtung einzuschlagen, als Überlieferung, Gewohnheit und die Be¬
stimmungen der Schulverwaltung dem Erziehungswesen vorzeichnen. Ob den
Internaten in Deutschland eine größere Verbreitung zu wünschen sei, mag so
lange eine offne Frage bleiben, als wir nicht Anstalten wie die englischen
Mblie 8Lllool8 besitzen, deren weitläufige Baumerke, von ausgedehnten Garten-
anlagen und schattigen Parks umgeben, mit allem Komfort ausgestattet und
mit Stiftungen und Pfründen verschwenderisch dotirt sind. Wir sind zur Be¬
gründung solcher Einrichtungen vielleicht nicht reich genng. Freilich fließen
eines die Stiftungen freigebiger Erblasser nnr höchst selten dem Schulwesen zu.
Jedenfalls müssen wir mit dem Umstände rechnen, daß nicht alle Eltern gewillt
und in der Lage sind, ihre Söhne schon in jugendlichem Alter vom Hause fort¬
zugehen. In den großen Städten werden Gymnasien für Externe immer ein
Bedürfnis bleiben, doch könnte bei neuen Anlagen ans die Verlegung der An¬
stalten in die Vorstädte, wo der Baugrund für Gärten und Spielplätze noch
erschwinglich ist, Wohl Bedacht genommen werden. Bei der größern Entfernung
vom Elternhause möchte es sich empfehlen, eine gemeinschaftliche Mittaas¬
mahlzeit in den Erholnngsräumen der Schule einzurichten, an welche sich die
der körperlichen Bewegung gewidmete Freistunde anschlösse. Die Knaben würden
dann den Schulweg nur zweimal täglich zurückzulegen haben.

In der Beförderung athletischen Sports brauchen wir nicht so weit zu
gehen wie die Engländer. Die allgemeine Militärpflicht, die ihnen fehlt, bietet
bei uns eine ausreichende Gelegenheit zur Abhärtung und Muskeleutwickluug.
Aber die zwei Turnstunden wöchentlich, für die außerdem gewöhnlich wenig Be¬
geisterung vorhanden ist, sind unbedingt zu wenig für die Zeit der Entwicklungs-


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[0227] Gym»asialnnterricht und Fachbildung. bekannt sein. So kann sich zwischen Lehrern und Schülern ein inniges Ver¬ hältnis gestalten, denn der letztere gilt nicht bloß als pedantischer Schulmeister, sondern ist Gentleman und übt die Umgangsformen der großen aristokratischen Gesellschaftsgruppe. Ich wünschte auch unsern Lehrern und Pädagogen diese soziale Rangstellung. Sie würde den Schülern mehr Achtung abnötigen, die Schulzucht besser stützen, als der Ruf tiefer Gelehrsamkeit »ut wissenschaftlicher Bedeutung, der unsern Schulmännern eigen ist oder doch erstrebenswert erscheint. Ich will nicht so weit gehen wie einer meiner Freunde, der die Leitung aller geschlossenen Unterrichtsanstalten einem tüchtigen Arzte oder einem wissen¬ schaftlich gebildeten Artillerieoffizier übertragen sehen möchte. Warum aber die Erziehung unsrer Jugend vorwiegend durch Philologen gehandhabt werden müsse, vermag ich nicht einzusehen. Ohne eine sorgfältigere Auswahl der für die Erziehung, nicht bloß für den Unterricht geeigneten Lehrkräfte wird daher keine Schulreform die erwarteten Ergebnisse haben. Daß der Lehrerstand heut¬ zutage nicht allen pädagogischen Anforderungen entspricht, kann ihm nicht zum Vorwürfe gemacht werden. Der Stand als solcher ist dnrch die gesetzlichen Eintrittsbedingungen nun einmal gebildet, und der Einzelne vermag nicht eine andre Richtung einzuschlagen, als Überlieferung, Gewohnheit und die Be¬ stimmungen der Schulverwaltung dem Erziehungswesen vorzeichnen. Ob den Internaten in Deutschland eine größere Verbreitung zu wünschen sei, mag so lange eine offne Frage bleiben, als wir nicht Anstalten wie die englischen Mblie 8Lllool8 besitzen, deren weitläufige Baumerke, von ausgedehnten Garten- anlagen und schattigen Parks umgeben, mit allem Komfort ausgestattet und mit Stiftungen und Pfründen verschwenderisch dotirt sind. Wir sind zur Be¬ gründung solcher Einrichtungen vielleicht nicht reich genng. Freilich fließen eines die Stiftungen freigebiger Erblasser nnr höchst selten dem Schulwesen zu. Jedenfalls müssen wir mit dem Umstände rechnen, daß nicht alle Eltern gewillt und in der Lage sind, ihre Söhne schon in jugendlichem Alter vom Hause fort¬ zugehen. In den großen Städten werden Gymnasien für Externe immer ein Bedürfnis bleiben, doch könnte bei neuen Anlagen ans die Verlegung der An¬ stalten in die Vorstädte, wo der Baugrund für Gärten und Spielplätze noch erschwinglich ist, Wohl Bedacht genommen werden. Bei der größern Entfernung vom Elternhause möchte es sich empfehlen, eine gemeinschaftliche Mittaas¬ mahlzeit in den Erholnngsräumen der Schule einzurichten, an welche sich die der körperlichen Bewegung gewidmete Freistunde anschlösse. Die Knaben würden dann den Schulweg nur zweimal täglich zurückzulegen haben. In der Beförderung athletischen Sports brauchen wir nicht so weit zu gehen wie die Engländer. Die allgemeine Militärpflicht, die ihnen fehlt, bietet bei uns eine ausreichende Gelegenheit zur Abhärtung und Muskeleutwickluug. Aber die zwei Turnstunden wöchentlich, für die außerdem gewöhnlich wenig Be¬ geisterung vorhanden ist, sind unbedingt zu wenig für die Zeit der Entwicklungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/227>, abgerufen am 01.10.2024.