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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymimsmlmlterricht mit Fachbildung.

feststehende politische und religiöse Anschauungen und Glaubenssätze -- ich sage
nicht: Überzeugungen -- mit ins Leben. Neben Freiheitsgefühl und National¬
stolz wohnt ihm eine uns -- im allgemeinen -- fremde Achtung vor der
Autorität und eine konservative Richtung inne, die unsern fortgeschrittenen jugend¬
lichen (und auch älter gewordenen) Freiheitsschwärmern in ihrem häufig etwas
verschwommenen Idealismus ziemlich beschränkt erscheinen muß."

Wer mit Engländern aus den höhern Ständen in Verkehr gestanden hat,
dem wird es aufgefallen sein, mit welcher Anhänglichkeit dieselben ihrer Schul¬
zeit in Eton, Harrow, Winchester, Rugby ?c. gedenken, einer Anhänglichkeit, wie
sie unsre alte" Herren für die Schauplätze ihres fröhlichen akademischen Treibens
in Bonn, Heidelberg oder Göttingen?c. zu bewahren Pflegen. An unsre Schul¬
zeit knüpfen uns selten so angenehme Erinnerungen. Der Unterschied ist eben,
daß dem englischen Knaben die Schuljahre nicht bloß in den dumpfen Klassen¬
zimmern und bei häuslicher Arbeit verstreichen, sondern daß er in den Inter¬
naten eine Fortsetzung des Familienlebens findet. Unsre geschlossenen Anstalten,
die Pädagogien und die thüringischen Klosterschulen entsprechen dieser Aufgabe
doch nur in unvollkommenen Maße. Immerhin besitzen sie ja große Vorzüge
vor den städtischen Gymnasien. Der viermalige Schulweg kann dort zu Spazier-
gängen und Spielen verwendet, die Körperpflege mehr berücksichtigt, auf die
Charakterbildung der Schüler besser eingewirkt werden. Aber der Umstand,
daß auch die Lehrer an diesen Anstalten nicht immer erfahrene Pädagogen sind,
daß das Rektorat und die obern Stellen vorwiegend mit Philologen besetzt
werden, welche tüchtige Gelehrte sein, aber im Erziehungswesen eine sehr un¬
genügende Vorbildung haben können, mindert den Wert solcher Anstaltserziehung.
Nicht jeder, der über ein gediegnes Wissen verfügt, besitzt auch die Fähigkeit,
andern davon mitzuteilen. Ist die Gabe des Unterrichts schon an und für sich
nicht verbreitet, so wird den Schulamtskaudidateu leider viel zu wenig Ge¬
legenheit geboten, diesen Mangel dnrch praktische Übungen zu ersetzen. Die
staatlichen Lehrerprüfungen sind in diesem Punkte sehr nachsichtig. Dem Schul¬
amtskaudidateu und junge" Lehrer werden meistens die untern Gymnasialklassen
als Versuchsfeld überwiesen. Er, der eben noch in dem tiefsten Schachte philo¬
logischer Gelehrsamkeit gearbeitet hat und von dem Wunsche beseelt ist, seine
Kenntnisse zu verwerten, sieht sich einer Schar von Kindern gegenüber, deren
Fassungsgabe abzuschätzen ihm ungemein schwer fällt. Und dazu erfordert gerade
dieser Unterricht vor allem eine Eigenschaft, welche die wenigsten jüngern
Männer besitzen: Geduld. Und noch ein andres erschwert die pädagogische
Wirksamkeit in den Internaten: die soziale Stellung der Lehrer und die Un-
bekanntschaft derselben mit den Gewohnheiten und Anschauungen desjenigen Ge¬
sellschaftskreises, dem viele der ihnen anvertrauten Zöglinge entstammen. I"
England nehmen die N^störs und Autors eine den Geistlichen dieses Landes
ebenbürtige Stellung ein, und was ein Lsvsröirä dort bedeutet, wird den Lesern


Gymimsmlmlterricht mit Fachbildung.

feststehende politische und religiöse Anschauungen und Glaubenssätze — ich sage
nicht: Überzeugungen — mit ins Leben. Neben Freiheitsgefühl und National¬
stolz wohnt ihm eine uns — im allgemeinen — fremde Achtung vor der
Autorität und eine konservative Richtung inne, die unsern fortgeschrittenen jugend¬
lichen (und auch älter gewordenen) Freiheitsschwärmern in ihrem häufig etwas
verschwommenen Idealismus ziemlich beschränkt erscheinen muß."

Wer mit Engländern aus den höhern Ständen in Verkehr gestanden hat,
dem wird es aufgefallen sein, mit welcher Anhänglichkeit dieselben ihrer Schul¬
zeit in Eton, Harrow, Winchester, Rugby ?c. gedenken, einer Anhänglichkeit, wie
sie unsre alte» Herren für die Schauplätze ihres fröhlichen akademischen Treibens
in Bonn, Heidelberg oder Göttingen?c. zu bewahren Pflegen. An unsre Schul¬
zeit knüpfen uns selten so angenehme Erinnerungen. Der Unterschied ist eben,
daß dem englischen Knaben die Schuljahre nicht bloß in den dumpfen Klassen¬
zimmern und bei häuslicher Arbeit verstreichen, sondern daß er in den Inter¬
naten eine Fortsetzung des Familienlebens findet. Unsre geschlossenen Anstalten,
die Pädagogien und die thüringischen Klosterschulen entsprechen dieser Aufgabe
doch nur in unvollkommenen Maße. Immerhin besitzen sie ja große Vorzüge
vor den städtischen Gymnasien. Der viermalige Schulweg kann dort zu Spazier-
gängen und Spielen verwendet, die Körperpflege mehr berücksichtigt, auf die
Charakterbildung der Schüler besser eingewirkt werden. Aber der Umstand,
daß auch die Lehrer an diesen Anstalten nicht immer erfahrene Pädagogen sind,
daß das Rektorat und die obern Stellen vorwiegend mit Philologen besetzt
werden, welche tüchtige Gelehrte sein, aber im Erziehungswesen eine sehr un¬
genügende Vorbildung haben können, mindert den Wert solcher Anstaltserziehung.
Nicht jeder, der über ein gediegnes Wissen verfügt, besitzt auch die Fähigkeit,
andern davon mitzuteilen. Ist die Gabe des Unterrichts schon an und für sich
nicht verbreitet, so wird den Schulamtskaudidateu leider viel zu wenig Ge¬
legenheit geboten, diesen Mangel dnrch praktische Übungen zu ersetzen. Die
staatlichen Lehrerprüfungen sind in diesem Punkte sehr nachsichtig. Dem Schul¬
amtskaudidateu und junge» Lehrer werden meistens die untern Gymnasialklassen
als Versuchsfeld überwiesen. Er, der eben noch in dem tiefsten Schachte philo¬
logischer Gelehrsamkeit gearbeitet hat und von dem Wunsche beseelt ist, seine
Kenntnisse zu verwerten, sieht sich einer Schar von Kindern gegenüber, deren
Fassungsgabe abzuschätzen ihm ungemein schwer fällt. Und dazu erfordert gerade
dieser Unterricht vor allem eine Eigenschaft, welche die wenigsten jüngern
Männer besitzen: Geduld. Und noch ein andres erschwert die pädagogische
Wirksamkeit in den Internaten: die soziale Stellung der Lehrer und die Un-
bekanntschaft derselben mit den Gewohnheiten und Anschauungen desjenigen Ge¬
sellschaftskreises, dem viele der ihnen anvertrauten Zöglinge entstammen. I»
England nehmen die N^störs und Autors eine den Geistlichen dieses Landes
ebenbürtige Stellung ein, und was ein Lsvsröirä dort bedeutet, wird den Lesern


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[0226] Gymimsmlmlterricht mit Fachbildung. feststehende politische und religiöse Anschauungen und Glaubenssätze — ich sage nicht: Überzeugungen — mit ins Leben. Neben Freiheitsgefühl und National¬ stolz wohnt ihm eine uns — im allgemeinen — fremde Achtung vor der Autorität und eine konservative Richtung inne, die unsern fortgeschrittenen jugend¬ lichen (und auch älter gewordenen) Freiheitsschwärmern in ihrem häufig etwas verschwommenen Idealismus ziemlich beschränkt erscheinen muß." Wer mit Engländern aus den höhern Ständen in Verkehr gestanden hat, dem wird es aufgefallen sein, mit welcher Anhänglichkeit dieselben ihrer Schul¬ zeit in Eton, Harrow, Winchester, Rugby ?c. gedenken, einer Anhänglichkeit, wie sie unsre alte» Herren für die Schauplätze ihres fröhlichen akademischen Treibens in Bonn, Heidelberg oder Göttingen?c. zu bewahren Pflegen. An unsre Schul¬ zeit knüpfen uns selten so angenehme Erinnerungen. Der Unterschied ist eben, daß dem englischen Knaben die Schuljahre nicht bloß in den dumpfen Klassen¬ zimmern und bei häuslicher Arbeit verstreichen, sondern daß er in den Inter¬ naten eine Fortsetzung des Familienlebens findet. Unsre geschlossenen Anstalten, die Pädagogien und die thüringischen Klosterschulen entsprechen dieser Aufgabe doch nur in unvollkommenen Maße. Immerhin besitzen sie ja große Vorzüge vor den städtischen Gymnasien. Der viermalige Schulweg kann dort zu Spazier- gängen und Spielen verwendet, die Körperpflege mehr berücksichtigt, auf die Charakterbildung der Schüler besser eingewirkt werden. Aber der Umstand, daß auch die Lehrer an diesen Anstalten nicht immer erfahrene Pädagogen sind, daß das Rektorat und die obern Stellen vorwiegend mit Philologen besetzt werden, welche tüchtige Gelehrte sein, aber im Erziehungswesen eine sehr un¬ genügende Vorbildung haben können, mindert den Wert solcher Anstaltserziehung. Nicht jeder, der über ein gediegnes Wissen verfügt, besitzt auch die Fähigkeit, andern davon mitzuteilen. Ist die Gabe des Unterrichts schon an und für sich nicht verbreitet, so wird den Schulamtskaudidateu leider viel zu wenig Ge¬ legenheit geboten, diesen Mangel dnrch praktische Übungen zu ersetzen. Die staatlichen Lehrerprüfungen sind in diesem Punkte sehr nachsichtig. Dem Schul¬ amtskaudidateu und junge» Lehrer werden meistens die untern Gymnasialklassen als Versuchsfeld überwiesen. Er, der eben noch in dem tiefsten Schachte philo¬ logischer Gelehrsamkeit gearbeitet hat und von dem Wunsche beseelt ist, seine Kenntnisse zu verwerten, sieht sich einer Schar von Kindern gegenüber, deren Fassungsgabe abzuschätzen ihm ungemein schwer fällt. Und dazu erfordert gerade dieser Unterricht vor allem eine Eigenschaft, welche die wenigsten jüngern Männer besitzen: Geduld. Und noch ein andres erschwert die pädagogische Wirksamkeit in den Internaten: die soziale Stellung der Lehrer und die Un- bekanntschaft derselben mit den Gewohnheiten und Anschauungen desjenigen Ge¬ sellschaftskreises, dem viele der ihnen anvertrauten Zöglinge entstammen. I» England nehmen die N^störs und Autors eine den Geistlichen dieses Landes ebenbürtige Stellung ein, und was ein Lsvsröirä dort bedeutet, wird den Lesern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/226>, abgerufen am 03.07.2024.