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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymnasialschüler, denen durchschnittlich neun bis zehn Stunden zugemutet werden
und die man häufig nicht zu künftigen Männern des Praktischen Handelns vor¬
zubereiten, sondern zu unfertigen Philologen auszubilden bestrebt ist. Welcher
Lebcnsgewinn für Auge. Gehirn und Rücken! Statt der sitzenden Thätigkeit
für sogenannte "freiwillige" Extraarbeiten und für übcrschrobene Examina werden
die freien Stunden mit den athletischen Sports ausgefüllt."

Daß die nationale Vorliebe für derartige Leibesübungen, für Football
und Tennis, Cricket und Rudersport die Jugend oft mehr von den wissenschaft¬
lichen Übungen abzieht, als für die Kräftigung der Muskeln und die Entwicklung
von Mut und Geistesgegenwart unbedingt erforderlich ist, wird von den Eng¬
ländern selbst anerkannt. Dennoch bildet ihnen die körperliche Ausbildung einen
so wesentlichen Teil der Jugenderziehung, daß an ein Preisgeben derselben dort
nie gedacht wird. George Canning äußerte einmal im Parlament, daß England
"nicht wäre, was es ist, ohne das System seiner öffentlichen Erziehung, und daß
es diesem letztern, den xudliv seuools, die den Fremden auffallende, ununter¬
brochene Reihenfolge von Männern verdanke, die mehr oder weniger geeignet sind,
die parlamentarischen und offizielle" Pflichten in ausgezeichneter Weise zu er¬
füllen." Charakteristisch für die Aufgaben der Schule ist die Äußerung eines
Vaters in dem bekannten Werke "Tom Browns Schultage" von Mr. Thomas
Hughes. Dieser Vater legt sich beim Abgang seines Sohnes zur Schule die
Frage vor: "Soll ich ihm sagen, daß er fleißig sein müsse, daß er zur Schule
gesandt werde, um ein Gelehrter zu werden? Aber ich schicke ih" ja nicht
deshalb hin, jedenfalls nicht hauptsächlich deshalb. Ich frage nicht das mindeste
nach griechischen Partikeln oder nach dem Digammci, und meine Frau ebenso¬
wenig. Weswegen also wird er ans die Schule geschickt? Wenn ans ihm ein
braver, praktischer, wahrbeitsliebender Engländer wird, und ein Gentleman, und
ein Christ: das ist alles, was ich verlange."

Herr von Ompteda, dessen schon angeführtem Werke ich diese Stelle ent¬
nehme, erkennt an dem ganzen Erziehungssystem der pndliv 8<zlwol8 den
Zweck: "Anständige, praktisch brauchbare, christliche englische Gentlemen und
Mitglieder der Kirche von England auszubilden, und nicht -- wie bei uns --
die Knaben im wesentlichen nur mit ausreichenden Kenntnissen für eiuen "ge¬
lehrten" Beruf vorzubereiten." Daher braucht man dort Erziehungsanstalten,
"die völlig in sich abgeschlossen sind und wo die Gewöhnung und Sitte der
Familie ihre ungestörte weitere Entwicklung findet. Von diesem Standpunkte
aus haben auch die gehäuften mechanischen kirchlichen Verrichtungen, zu deuen
die Schüler disziplinarisch gezwungen werden, ihre Berechtigung. So wachsen
die Knaben in Eton ans, nnter den Einwirkungen des Prinzips aristokratischer
Gleichheit. Daß dieses aristokratische Element in England etwas ganz andres
bedeutet als eine Standeskaste, das dürste wohl hinreichend bekannt sein. So
bringt ein jeder Eton Boy in die Schule und wiederum aus der Schule gewisse


Gttiizbvwi I. 1837. 28

Gymnasialschüler, denen durchschnittlich neun bis zehn Stunden zugemutet werden
und die man häufig nicht zu künftigen Männern des Praktischen Handelns vor¬
zubereiten, sondern zu unfertigen Philologen auszubilden bestrebt ist. Welcher
Lebcnsgewinn für Auge. Gehirn und Rücken! Statt der sitzenden Thätigkeit
für sogenannte »freiwillige« Extraarbeiten und für übcrschrobene Examina werden
die freien Stunden mit den athletischen Sports ausgefüllt."

Daß die nationale Vorliebe für derartige Leibesübungen, für Football
und Tennis, Cricket und Rudersport die Jugend oft mehr von den wissenschaft¬
lichen Übungen abzieht, als für die Kräftigung der Muskeln und die Entwicklung
von Mut und Geistesgegenwart unbedingt erforderlich ist, wird von den Eng¬
ländern selbst anerkannt. Dennoch bildet ihnen die körperliche Ausbildung einen
so wesentlichen Teil der Jugenderziehung, daß an ein Preisgeben derselben dort
nie gedacht wird. George Canning äußerte einmal im Parlament, daß England
„nicht wäre, was es ist, ohne das System seiner öffentlichen Erziehung, und daß
es diesem letztern, den xudliv seuools, die den Fremden auffallende, ununter¬
brochene Reihenfolge von Männern verdanke, die mehr oder weniger geeignet sind,
die parlamentarischen und offizielle» Pflichten in ausgezeichneter Weise zu er¬
füllen." Charakteristisch für die Aufgaben der Schule ist die Äußerung eines
Vaters in dem bekannten Werke „Tom Browns Schultage" von Mr. Thomas
Hughes. Dieser Vater legt sich beim Abgang seines Sohnes zur Schule die
Frage vor: „Soll ich ihm sagen, daß er fleißig sein müsse, daß er zur Schule
gesandt werde, um ein Gelehrter zu werden? Aber ich schicke ih» ja nicht
deshalb hin, jedenfalls nicht hauptsächlich deshalb. Ich frage nicht das mindeste
nach griechischen Partikeln oder nach dem Digammci, und meine Frau ebenso¬
wenig. Weswegen also wird er ans die Schule geschickt? Wenn ans ihm ein
braver, praktischer, wahrbeitsliebender Engländer wird, und ein Gentleman, und
ein Christ: das ist alles, was ich verlange."

Herr von Ompteda, dessen schon angeführtem Werke ich diese Stelle ent¬
nehme, erkennt an dem ganzen Erziehungssystem der pndliv 8<zlwol8 den
Zweck: „Anständige, praktisch brauchbare, christliche englische Gentlemen und
Mitglieder der Kirche von England auszubilden, und nicht — wie bei uns —
die Knaben im wesentlichen nur mit ausreichenden Kenntnissen für eiuen „ge¬
lehrten" Beruf vorzubereiten." Daher braucht man dort Erziehungsanstalten,
„die völlig in sich abgeschlossen sind und wo die Gewöhnung und Sitte der
Familie ihre ungestörte weitere Entwicklung findet. Von diesem Standpunkte
aus haben auch die gehäuften mechanischen kirchlichen Verrichtungen, zu deuen
die Schüler disziplinarisch gezwungen werden, ihre Berechtigung. So wachsen
die Knaben in Eton ans, nnter den Einwirkungen des Prinzips aristokratischer
Gleichheit. Daß dieses aristokratische Element in England etwas ganz andres
bedeutet als eine Standeskaste, das dürste wohl hinreichend bekannt sein. So
bringt ein jeder Eton Boy in die Schule und wiederum aus der Schule gewisse


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[0225] Gymnasialschüler, denen durchschnittlich neun bis zehn Stunden zugemutet werden und die man häufig nicht zu künftigen Männern des Praktischen Handelns vor¬ zubereiten, sondern zu unfertigen Philologen auszubilden bestrebt ist. Welcher Lebcnsgewinn für Auge. Gehirn und Rücken! Statt der sitzenden Thätigkeit für sogenannte »freiwillige« Extraarbeiten und für übcrschrobene Examina werden die freien Stunden mit den athletischen Sports ausgefüllt." Daß die nationale Vorliebe für derartige Leibesübungen, für Football und Tennis, Cricket und Rudersport die Jugend oft mehr von den wissenschaft¬ lichen Übungen abzieht, als für die Kräftigung der Muskeln und die Entwicklung von Mut und Geistesgegenwart unbedingt erforderlich ist, wird von den Eng¬ ländern selbst anerkannt. Dennoch bildet ihnen die körperliche Ausbildung einen so wesentlichen Teil der Jugenderziehung, daß an ein Preisgeben derselben dort nie gedacht wird. George Canning äußerte einmal im Parlament, daß England „nicht wäre, was es ist, ohne das System seiner öffentlichen Erziehung, und daß es diesem letztern, den xudliv seuools, die den Fremden auffallende, ununter¬ brochene Reihenfolge von Männern verdanke, die mehr oder weniger geeignet sind, die parlamentarischen und offizielle» Pflichten in ausgezeichneter Weise zu er¬ füllen." Charakteristisch für die Aufgaben der Schule ist die Äußerung eines Vaters in dem bekannten Werke „Tom Browns Schultage" von Mr. Thomas Hughes. Dieser Vater legt sich beim Abgang seines Sohnes zur Schule die Frage vor: „Soll ich ihm sagen, daß er fleißig sein müsse, daß er zur Schule gesandt werde, um ein Gelehrter zu werden? Aber ich schicke ih» ja nicht deshalb hin, jedenfalls nicht hauptsächlich deshalb. Ich frage nicht das mindeste nach griechischen Partikeln oder nach dem Digammci, und meine Frau ebenso¬ wenig. Weswegen also wird er ans die Schule geschickt? Wenn ans ihm ein braver, praktischer, wahrbeitsliebender Engländer wird, und ein Gentleman, und ein Christ: das ist alles, was ich verlange." Herr von Ompteda, dessen schon angeführtem Werke ich diese Stelle ent¬ nehme, erkennt an dem ganzen Erziehungssystem der pndliv 8<zlwol8 den Zweck: „Anständige, praktisch brauchbare, christliche englische Gentlemen und Mitglieder der Kirche von England auszubilden, und nicht — wie bei uns — die Knaben im wesentlichen nur mit ausreichenden Kenntnissen für eiuen „ge¬ lehrten" Beruf vorzubereiten." Daher braucht man dort Erziehungsanstalten, „die völlig in sich abgeschlossen sind und wo die Gewöhnung und Sitte der Familie ihre ungestörte weitere Entwicklung findet. Von diesem Standpunkte aus haben auch die gehäuften mechanischen kirchlichen Verrichtungen, zu deuen die Schüler disziplinarisch gezwungen werden, ihre Berechtigung. So wachsen die Knaben in Eton ans, nnter den Einwirkungen des Prinzips aristokratischer Gleichheit. Daß dieses aristokratische Element in England etwas ganz andres bedeutet als eine Standeskaste, das dürste wohl hinreichend bekannt sein. So bringt ein jeder Eton Boy in die Schule und wiederum aus der Schule gewisse Gttiizbvwi I. 1837. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/225>, abgerufen am 03.07.2024.