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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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gemacht wurden, haben mit seiner sozialen Zerrissenheit die Ohnmacht Deutsch¬
lands nur noch gesteigert. Hier fehlten die sozialen Voraussetzungen für ein
nationales Königtum, die in Frankreich selbst einem Karl VII. die Schaffung
eines neuen Staates ermöglichten.

Hatte doch die Umgestaltung der germanischen Gesellschafts- und Wirt¬
schaftsordnung seit dem Ende des karolingischen Zeitalters zwei scharf gesonderte
Klassen ausgebildet, einen kriegerischen Adel hier und dort die große Masse
der Erwerbenden nud Produzirendcn, teils Bauern, welche die alte Freiheit
allmählich einbüßten, teils Stadtbürger, von denen die einen ihre alte Freiheit
glücklich bewahrten, die andern eine neue gewannen, dieser Nährstand jenem
Wehrstand an Zahl unendlich überlegen, der Träger des wirtschaftlichen Lebens,
aber ausgeschlossen von der Teilnahme am Staate. Dieser Zweiteilung entsprang
die Katastrophe des mittelalterlichen Deutschlands. Treten doch aus dem ent¬
stellten Bilde, das der Haß seiner Feinde von Kaiser Heinrich IV. ans die
Nachwelt gebracht hat, allmählich die Züge eines zwar leidenschaftlichen, aber
Staatsklugen und volksfreundlichen Herrschers immer deutlicher herbor. Unterstützt
von dem Teil des Klerus, der den wahren Beruf der Kirche noch nicht ganz
vergessen hatte, hat Heinrich IV. versucht, jenen verwilderten Kriegsadcl unschädlich
zu machen durch eine neue soziale Ordnung. Als Beschützer des niedern
Volkes, der Bauern und der Stadtbürger, die in der Zeit der ärgsten Not
treu zu ihm gestanden, versuchte er, das deutsche Königtum zu einer sozialen Macht
zu erheben, in deren Hand die wirtschaftliche "ut die politische Zukunft Deutsch¬
lands liegen sollte.

An dem Widerstände der bisher herrschenden Klasse und der Kirche ist
dieser Versuch zur Schaffung eines nationalen und zugleich sozialen Königtums
gescheitert. Die deutschen Städte, die treuesten Vorkämpferinnen desselben,
wurden schließlich ihren Gegnern preisgegeben. Des dentschen Bauern hat kein
König sich wieder angenommen. Daher hatten Bürger und Bauern kaum noch
ein Interesse am Königtum und Reich, und nur durch harten Zwang wurden
sie zur Zeit der Hussiteneinfällc gehindert, das furchtbare Beispiel ihrer tschechischen
Leidensgenossen nachzuahmen. Aber die Gährung blieb, bis mit der Refor¬
mation die Bewegung auch auf diesem Gebiete alle Fesseln sprengte und mit
elementarer Gewalt einherstürmte.

An dem sozialen und politischen Übergewicht seines wirtschaftlich un¬
produktiven kriegerischen Adels ist Deutschland und mit ihm das deutsche
Königtum gescheitert. Während der Adel Italiens dem Wandel der Verhältnisse,
welchen der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft damals mit sich
brachte, klug Rechnung trug, in die bürgerliche Gemeinde der sich freiheitlich
organisirenden Städte eintrat und dort militärisch und politisch eine gleich
hervorragende Rolle spielte, eröffneten dem Adel Frankreichs die Kreuzzüge ein
neues Feld der Thätigkeit, als ihm diese daheim in der bisherigen Weise um-


gemacht wurden, haben mit seiner sozialen Zerrissenheit die Ohnmacht Deutsch¬
lands nur noch gesteigert. Hier fehlten die sozialen Voraussetzungen für ein
nationales Königtum, die in Frankreich selbst einem Karl VII. die Schaffung
eines neuen Staates ermöglichten.

Hatte doch die Umgestaltung der germanischen Gesellschafts- und Wirt¬
schaftsordnung seit dem Ende des karolingischen Zeitalters zwei scharf gesonderte
Klassen ausgebildet, einen kriegerischen Adel hier und dort die große Masse
der Erwerbenden nud Produzirendcn, teils Bauern, welche die alte Freiheit
allmählich einbüßten, teils Stadtbürger, von denen die einen ihre alte Freiheit
glücklich bewahrten, die andern eine neue gewannen, dieser Nährstand jenem
Wehrstand an Zahl unendlich überlegen, der Träger des wirtschaftlichen Lebens,
aber ausgeschlossen von der Teilnahme am Staate. Dieser Zweiteilung entsprang
die Katastrophe des mittelalterlichen Deutschlands. Treten doch aus dem ent¬
stellten Bilde, das der Haß seiner Feinde von Kaiser Heinrich IV. ans die
Nachwelt gebracht hat, allmählich die Züge eines zwar leidenschaftlichen, aber
Staatsklugen und volksfreundlichen Herrschers immer deutlicher herbor. Unterstützt
von dem Teil des Klerus, der den wahren Beruf der Kirche noch nicht ganz
vergessen hatte, hat Heinrich IV. versucht, jenen verwilderten Kriegsadcl unschädlich
zu machen durch eine neue soziale Ordnung. Als Beschützer des niedern
Volkes, der Bauern und der Stadtbürger, die in der Zeit der ärgsten Not
treu zu ihm gestanden, versuchte er, das deutsche Königtum zu einer sozialen Macht
zu erheben, in deren Hand die wirtschaftliche »ut die politische Zukunft Deutsch¬
lands liegen sollte.

An dem Widerstände der bisher herrschenden Klasse und der Kirche ist
dieser Versuch zur Schaffung eines nationalen und zugleich sozialen Königtums
gescheitert. Die deutschen Städte, die treuesten Vorkämpferinnen desselben,
wurden schließlich ihren Gegnern preisgegeben. Des dentschen Bauern hat kein
König sich wieder angenommen. Daher hatten Bürger und Bauern kaum noch
ein Interesse am Königtum und Reich, und nur durch harten Zwang wurden
sie zur Zeit der Hussiteneinfällc gehindert, das furchtbare Beispiel ihrer tschechischen
Leidensgenossen nachzuahmen. Aber die Gährung blieb, bis mit der Refor¬
mation die Bewegung auch auf diesem Gebiete alle Fesseln sprengte und mit
elementarer Gewalt einherstürmte.

An dem sozialen und politischen Übergewicht seines wirtschaftlich un¬
produktiven kriegerischen Adels ist Deutschland und mit ihm das deutsche
Königtum gescheitert. Während der Adel Italiens dem Wandel der Verhältnisse,
welchen der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft damals mit sich
brachte, klug Rechnung trug, in die bürgerliche Gemeinde der sich freiheitlich
organisirenden Städte eintrat und dort militärisch und politisch eine gleich
hervorragende Rolle spielte, eröffneten dem Adel Frankreichs die Kreuzzüge ein
neues Feld der Thätigkeit, als ihm diese daheim in der bisherigen Weise um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/216>, abgerufen am 03.07.2024.