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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches, romanisches und preußisches Königtum,

möglich gemacht wurde. Das französische, Königtum wurde damit seinen ge¬
fährlichsten Gegner los nud kam an die Spitze der sozialen Bewegung, die
Frankreich auch politisch wandeln sollte. Bei ihm fanden die französischen
Städte zuverlässigen Schutz gegen die Ansprüche der Territorialherrcn; königliche
Freibriefe entwickelte!, ihre alten Gildcnverfassnugeu zu voller mnnizipaler Selbst-
regierung. Die Interessen des Bürgertums nud der Krone wäre" sicher dieselben,
und mit Hilfe der Städte beugte diese schließlich die Feudalherren ihrer hart¬
näckig bestrittenen Autorität.

Aber auch dieses Bündnis zwischen Königtum und Bürgertum wurde in
Frage gestellt, als die ersten Vnlois gegen deu natürlichen Gang der Geschichte
die überlebte Feudalordnung zu erneuern versuchten und dadurch Frankreich in
die Schrecken einer politischen und zugleich sozialen Revolution stürzten, welche
die Städte wüstem Demngogentum preisgab und die Rettung ihrer bedrohten
munizipalen Freiheit im Bündnis mit dem hochverräterische" Burgund und
dem Landesfeinde suchen ließ. Solche Verirrung für die Zukunft unmöglich
zu macheu und die wirtschaftlichen und sozialen Elemente Frankreichs z"
dauernder Lebensgemeinschaft zu verbinden, war die Aufgabe, vor welche sich
das Königtum gestellt sah, als es durch die Jungfrau von tiefem Fall auf¬
gerichtet war. Hier setzte die Organisation ein, welche für die gesamte poli¬
tische Entwicklung ein neues Zeitalter eröffnete, sie führte jene neue Art
des Königtums in die Geschichte ein, welche den moderne" Staat ins Lebe"
rufen sollte.

Auch sie knüpft an Karl VII. ein, der, i" großer Zeit so klein befunden,
für sein Volk doch der Träger der neuen Religion des Königtums blieb. Neben
ihm aber steht als der geistige Vater der neuen Ordnung ein Mann bürger¬
licher Abkunft, ein echter Vertreter der städtische" Kultur Frankreichs.

Wie der Zusammenbruch der feudale" Gesellschaft und des feudalen Staates
sich vollzogen hatte, nicht bloß auf dem Hintergrunde, sondern als die natürliche
Folge der wirtschaftlichen Umwälzung, welche der Übergang von der Naturcil-
zur Geldwirtschaft mit sich brachte, so wurden a"es bei der Neuordnung des
Staates die wirtschaftlichen und finanziellen Gesichtspunkte entscheidend. Lag
die Schwäche der Feudalverfassung vornehmlich darin, daß der Staat das zur
Erfüllung seiner Obliegenheiten nötige nicht unmittelbar zur Verfügung hatte,
sondern nur als Gegenleistung beanspruchen konnte für die Erfüllung ihm selbst
auferlegter Bedingungen, so galt es, ihn wenigstens in seinen vornehmsten
Funktionen auf eigne Füße zu stellen. Das that Jacques Coeur, der Kaufmann
von Bourges, Karls VII. bürgerlicher Minister, indem er den Staatshaushalt
"ach den Regel" des bürgerliche" Haushalts ordnete. Auf Veranlassung Jacques
Coeurs erließ Karl VII. die berühmte Ordonnanz vom 2. November 1439. Ohne
bestimmt in Worte gefaßt zu sein, fanden darin zum erstenmale die grund¬
legenden Prinzipien moderner Staatsordnung Ausdruck. Hier zum erstenmale


Grenzlwten I. 1W7, 27
Deutsches, romanisches und preußisches Königtum,

möglich gemacht wurde. Das französische, Königtum wurde damit seinen ge¬
fährlichsten Gegner los nud kam an die Spitze der sozialen Bewegung, die
Frankreich auch politisch wandeln sollte. Bei ihm fanden die französischen
Städte zuverlässigen Schutz gegen die Ansprüche der Territorialherrcn; königliche
Freibriefe entwickelte!, ihre alten Gildcnverfassnugeu zu voller mnnizipaler Selbst-
regierung. Die Interessen des Bürgertums nud der Krone wäre» sicher dieselben,
und mit Hilfe der Städte beugte diese schließlich die Feudalherren ihrer hart¬
näckig bestrittenen Autorität.

Aber auch dieses Bündnis zwischen Königtum und Bürgertum wurde in
Frage gestellt, als die ersten Vnlois gegen deu natürlichen Gang der Geschichte
die überlebte Feudalordnung zu erneuern versuchten und dadurch Frankreich in
die Schrecken einer politischen und zugleich sozialen Revolution stürzten, welche
die Städte wüstem Demngogentum preisgab und die Rettung ihrer bedrohten
munizipalen Freiheit im Bündnis mit dem hochverräterische» Burgund und
dem Landesfeinde suchen ließ. Solche Verirrung für die Zukunft unmöglich
zu macheu und die wirtschaftlichen und sozialen Elemente Frankreichs z»
dauernder Lebensgemeinschaft zu verbinden, war die Aufgabe, vor welche sich
das Königtum gestellt sah, als es durch die Jungfrau von tiefem Fall auf¬
gerichtet war. Hier setzte die Organisation ein, welche für die gesamte poli¬
tische Entwicklung ein neues Zeitalter eröffnete, sie führte jene neue Art
des Königtums in die Geschichte ein, welche den moderne» Staat ins Lebe»
rufen sollte.

Auch sie knüpft an Karl VII. ein, der, i» großer Zeit so klein befunden,
für sein Volk doch der Träger der neuen Religion des Königtums blieb. Neben
ihm aber steht als der geistige Vater der neuen Ordnung ein Mann bürger¬
licher Abkunft, ein echter Vertreter der städtische« Kultur Frankreichs.

Wie der Zusammenbruch der feudale» Gesellschaft und des feudalen Staates
sich vollzogen hatte, nicht bloß auf dem Hintergrunde, sondern als die natürliche
Folge der wirtschaftlichen Umwälzung, welche der Übergang von der Naturcil-
zur Geldwirtschaft mit sich brachte, so wurden a»es bei der Neuordnung des
Staates die wirtschaftlichen und finanziellen Gesichtspunkte entscheidend. Lag
die Schwäche der Feudalverfassung vornehmlich darin, daß der Staat das zur
Erfüllung seiner Obliegenheiten nötige nicht unmittelbar zur Verfügung hatte,
sondern nur als Gegenleistung beanspruchen konnte für die Erfüllung ihm selbst
auferlegter Bedingungen, so galt es, ihn wenigstens in seinen vornehmsten
Funktionen auf eigne Füße zu stellen. Das that Jacques Coeur, der Kaufmann
von Bourges, Karls VII. bürgerlicher Minister, indem er den Staatshaushalt
»ach den Regel» des bürgerliche» Haushalts ordnete. Auf Veranlassung Jacques
Coeurs erließ Karl VII. die berühmte Ordonnanz vom 2. November 1439. Ohne
bestimmt in Worte gefaßt zu sein, fanden darin zum erstenmale die grund¬
legenden Prinzipien moderner Staatsordnung Ausdruck. Hier zum erstenmale


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[0217] Deutsches, romanisches und preußisches Königtum, möglich gemacht wurde. Das französische, Königtum wurde damit seinen ge¬ fährlichsten Gegner los nud kam an die Spitze der sozialen Bewegung, die Frankreich auch politisch wandeln sollte. Bei ihm fanden die französischen Städte zuverlässigen Schutz gegen die Ansprüche der Territorialherrcn; königliche Freibriefe entwickelte!, ihre alten Gildcnverfassnugeu zu voller mnnizipaler Selbst- regierung. Die Interessen des Bürgertums nud der Krone wäre» sicher dieselben, und mit Hilfe der Städte beugte diese schließlich die Feudalherren ihrer hart¬ näckig bestrittenen Autorität. Aber auch dieses Bündnis zwischen Königtum und Bürgertum wurde in Frage gestellt, als die ersten Vnlois gegen deu natürlichen Gang der Geschichte die überlebte Feudalordnung zu erneuern versuchten und dadurch Frankreich in die Schrecken einer politischen und zugleich sozialen Revolution stürzten, welche die Städte wüstem Demngogentum preisgab und die Rettung ihrer bedrohten munizipalen Freiheit im Bündnis mit dem hochverräterische» Burgund und dem Landesfeinde suchen ließ. Solche Verirrung für die Zukunft unmöglich zu macheu und die wirtschaftlichen und sozialen Elemente Frankreichs z» dauernder Lebensgemeinschaft zu verbinden, war die Aufgabe, vor welche sich das Königtum gestellt sah, als es durch die Jungfrau von tiefem Fall auf¬ gerichtet war. Hier setzte die Organisation ein, welche für die gesamte poli¬ tische Entwicklung ein neues Zeitalter eröffnete, sie führte jene neue Art des Königtums in die Geschichte ein, welche den moderne» Staat ins Lebe» rufen sollte. Auch sie knüpft an Karl VII. ein, der, i» großer Zeit so klein befunden, für sein Volk doch der Träger der neuen Religion des Königtums blieb. Neben ihm aber steht als der geistige Vater der neuen Ordnung ein Mann bürger¬ licher Abkunft, ein echter Vertreter der städtische« Kultur Frankreichs. Wie der Zusammenbruch der feudale» Gesellschaft und des feudalen Staates sich vollzogen hatte, nicht bloß auf dem Hintergrunde, sondern als die natürliche Folge der wirtschaftlichen Umwälzung, welche der Übergang von der Naturcil- zur Geldwirtschaft mit sich brachte, so wurden a»es bei der Neuordnung des Staates die wirtschaftlichen und finanziellen Gesichtspunkte entscheidend. Lag die Schwäche der Feudalverfassung vornehmlich darin, daß der Staat das zur Erfüllung seiner Obliegenheiten nötige nicht unmittelbar zur Verfügung hatte, sondern nur als Gegenleistung beanspruchen konnte für die Erfüllung ihm selbst auferlegter Bedingungen, so galt es, ihn wenigstens in seinen vornehmsten Funktionen auf eigne Füße zu stellen. Das that Jacques Coeur, der Kaufmann von Bourges, Karls VII. bürgerlicher Minister, indem er den Staatshaushalt »ach den Regel» des bürgerliche» Haushalts ordnete. Auf Veranlassung Jacques Coeurs erließ Karl VII. die berühmte Ordonnanz vom 2. November 1439. Ohne bestimmt in Worte gefaßt zu sein, fanden darin zum erstenmale die grund¬ legenden Prinzipien moderner Staatsordnung Ausdruck. Hier zum erstenmale Grenzlwten I. 1W7, 27

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/217>, abgerufen am 01.10.2024.