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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches, romanisches und preußisches Aönigtnin.

Königtum den Anforderungen strafferer staatlicher Einigung nicht entsprach und
einen lebensfähigen politischen Körper zu schaffen nicht vermochte.

Die deutsche Vorliebe für Wahrung der individuellen Freiheit bethätigte
sich eben auf politischem Gebiete umso nachdrücklicher, je mehr das deutsche
Volk fürchten mußte, durch die Verbindung seines Königtums mit dem römischen
Kaisertum sein uatiouciles Dasein einem internationalen Nnivcrsalreiche aufge¬
opfert zu sehen. Dieser Gegensatz erfüllt die Jahrhunderte der Kaiserzeit; seine
Entstehung und Zuspitzung, seine Ausfechtung nud Lösung geschehen zwar in
den Formen gewaltiger politischer und kirchlicher Kämpfe, find aber ihrem Wesen
nach nur die Akte eines großen kulturgeschichtlichen Prozesses. Diesem fiel auch
das deutsche Königtum zum Opfer: bis auf den Namen ist es schließlich ver¬
schwunden!

Regelmäßig aber waren es der deutscheu Rechtsbildung fremde, in römisch-
rechtlichen oder römisch-kirchlichen Anschauungen wurzelnde Anforderungen, welche
das deutsche Königtum in den großen Krisen seiner Geschichte Deutschland und
mit diesem zugleich der widerstrebenden Welt aufzwingen wollte. Die Ent¬
artung des sächsischen Königtums, das, anfangs rein deutsch, dem bestrickenden
Zauber des Weltherrschaftsideals erlag und in byzantinischer Selbstvergötterung
allein Deutschtum feind wurde, der jähe Zusammenbruch der salischen Erb-
monarchic, die wenigstens ihren deutschen Ursprung nicht vergaß, auch als sie
den Traum, eines friedespeudenden Gottesreiches ans Erden zu verwirklichen
unternahm, die uus immer von neuem erschütternde Katastrophe des herrlichen
staufischen Hauses, das die nationalen deutschen Interessen dein Phantom eines
Weltreiches opferte und so den Boden unter den eigenen Füßen untergrub --
alle diese großen Vorgänge unsrer mittelalterlichen Geschichte lehren, wie das
deutsche Königtum unter der Wucht der Kaiserkrone allmählich mit einem fremden
Inhalt erfüllt wurde, svdnß, als schließlich das Kaisertum zusammenbrach, von
dem Königtume eigentlich nichts mehr übrig war. So wandelte sich der Ver¬
band des Reiches allmählich in eine lockere Föderation thatsächlich selbständiger
Territorien, welche zu Beginn der neuern Zeit das unerquickliche Bild einer
großen Adelsrepublik darbietet.

Den entgegengesetzten Weg hat das Königtum bei den romanischen Völkern
durchmessen. Insbesondre ist Frankreich die Wiege desjenigen Königtums, das
den Feudalstaat des Mittelters überwinden und die Grundformen der modernen
Monarchie als der Trägerin für eine höhere politische und soziale Entwicklung
feststellen sollte. Was bei den Kulturvölkern der neuern Zeit für die Gestaltung
des Rechtslebens die Aufnahme des römischen Rechts gewesen war, das wurde
für das staatliche Leben etwa zwei Jahrhunderte später die Übernahme und
Nachbildung der romanischen, insbesondre der französischen monarchischen Staats¬
ordnung.

Auch Westfranken drohte, nachdem es sich aus dem Verbände des tarv-


Deutsches, romanisches und preußisches Aönigtnin.

Königtum den Anforderungen strafferer staatlicher Einigung nicht entsprach und
einen lebensfähigen politischen Körper zu schaffen nicht vermochte.

Die deutsche Vorliebe für Wahrung der individuellen Freiheit bethätigte
sich eben auf politischem Gebiete umso nachdrücklicher, je mehr das deutsche
Volk fürchten mußte, durch die Verbindung seines Königtums mit dem römischen
Kaisertum sein uatiouciles Dasein einem internationalen Nnivcrsalreiche aufge¬
opfert zu sehen. Dieser Gegensatz erfüllt die Jahrhunderte der Kaiserzeit; seine
Entstehung und Zuspitzung, seine Ausfechtung nud Lösung geschehen zwar in
den Formen gewaltiger politischer und kirchlicher Kämpfe, find aber ihrem Wesen
nach nur die Akte eines großen kulturgeschichtlichen Prozesses. Diesem fiel auch
das deutsche Königtum zum Opfer: bis auf den Namen ist es schließlich ver¬
schwunden!

Regelmäßig aber waren es der deutscheu Rechtsbildung fremde, in römisch-
rechtlichen oder römisch-kirchlichen Anschauungen wurzelnde Anforderungen, welche
das deutsche Königtum in den großen Krisen seiner Geschichte Deutschland und
mit diesem zugleich der widerstrebenden Welt aufzwingen wollte. Die Ent¬
artung des sächsischen Königtums, das, anfangs rein deutsch, dem bestrickenden
Zauber des Weltherrschaftsideals erlag und in byzantinischer Selbstvergötterung
allein Deutschtum feind wurde, der jähe Zusammenbruch der salischen Erb-
monarchic, die wenigstens ihren deutschen Ursprung nicht vergaß, auch als sie
den Traum, eines friedespeudenden Gottesreiches ans Erden zu verwirklichen
unternahm, die uus immer von neuem erschütternde Katastrophe des herrlichen
staufischen Hauses, das die nationalen deutschen Interessen dein Phantom eines
Weltreiches opferte und so den Boden unter den eigenen Füßen untergrub —
alle diese großen Vorgänge unsrer mittelalterlichen Geschichte lehren, wie das
deutsche Königtum unter der Wucht der Kaiserkrone allmählich mit einem fremden
Inhalt erfüllt wurde, svdnß, als schließlich das Kaisertum zusammenbrach, von
dem Königtume eigentlich nichts mehr übrig war. So wandelte sich der Ver¬
band des Reiches allmählich in eine lockere Föderation thatsächlich selbständiger
Territorien, welche zu Beginn der neuern Zeit das unerquickliche Bild einer
großen Adelsrepublik darbietet.

Den entgegengesetzten Weg hat das Königtum bei den romanischen Völkern
durchmessen. Insbesondre ist Frankreich die Wiege desjenigen Königtums, das
den Feudalstaat des Mittelters überwinden und die Grundformen der modernen
Monarchie als der Trägerin für eine höhere politische und soziale Entwicklung
feststellen sollte. Was bei den Kulturvölkern der neuern Zeit für die Gestaltung
des Rechtslebens die Aufnahme des römischen Rechts gewesen war, das wurde
für das staatliche Leben etwa zwei Jahrhunderte später die Übernahme und
Nachbildung der romanischen, insbesondre der französischen monarchischen Staats¬
ordnung.

Auch Westfranken drohte, nachdem es sich aus dem Verbände des tarv-


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[0213] Deutsches, romanisches und preußisches Aönigtnin. Königtum den Anforderungen strafferer staatlicher Einigung nicht entsprach und einen lebensfähigen politischen Körper zu schaffen nicht vermochte. Die deutsche Vorliebe für Wahrung der individuellen Freiheit bethätigte sich eben auf politischem Gebiete umso nachdrücklicher, je mehr das deutsche Volk fürchten mußte, durch die Verbindung seines Königtums mit dem römischen Kaisertum sein uatiouciles Dasein einem internationalen Nnivcrsalreiche aufge¬ opfert zu sehen. Dieser Gegensatz erfüllt die Jahrhunderte der Kaiserzeit; seine Entstehung und Zuspitzung, seine Ausfechtung nud Lösung geschehen zwar in den Formen gewaltiger politischer und kirchlicher Kämpfe, find aber ihrem Wesen nach nur die Akte eines großen kulturgeschichtlichen Prozesses. Diesem fiel auch das deutsche Königtum zum Opfer: bis auf den Namen ist es schließlich ver¬ schwunden! Regelmäßig aber waren es der deutscheu Rechtsbildung fremde, in römisch- rechtlichen oder römisch-kirchlichen Anschauungen wurzelnde Anforderungen, welche das deutsche Königtum in den großen Krisen seiner Geschichte Deutschland und mit diesem zugleich der widerstrebenden Welt aufzwingen wollte. Die Ent¬ artung des sächsischen Königtums, das, anfangs rein deutsch, dem bestrickenden Zauber des Weltherrschaftsideals erlag und in byzantinischer Selbstvergötterung allein Deutschtum feind wurde, der jähe Zusammenbruch der salischen Erb- monarchic, die wenigstens ihren deutschen Ursprung nicht vergaß, auch als sie den Traum, eines friedespeudenden Gottesreiches ans Erden zu verwirklichen unternahm, die uus immer von neuem erschütternde Katastrophe des herrlichen staufischen Hauses, das die nationalen deutschen Interessen dein Phantom eines Weltreiches opferte und so den Boden unter den eigenen Füßen untergrub — alle diese großen Vorgänge unsrer mittelalterlichen Geschichte lehren, wie das deutsche Königtum unter der Wucht der Kaiserkrone allmählich mit einem fremden Inhalt erfüllt wurde, svdnß, als schließlich das Kaisertum zusammenbrach, von dem Königtume eigentlich nichts mehr übrig war. So wandelte sich der Ver¬ band des Reiches allmählich in eine lockere Föderation thatsächlich selbständiger Territorien, welche zu Beginn der neuern Zeit das unerquickliche Bild einer großen Adelsrepublik darbietet. Den entgegengesetzten Weg hat das Königtum bei den romanischen Völkern durchmessen. Insbesondre ist Frankreich die Wiege desjenigen Königtums, das den Feudalstaat des Mittelters überwinden und die Grundformen der modernen Monarchie als der Trägerin für eine höhere politische und soziale Entwicklung feststellen sollte. Was bei den Kulturvölkern der neuern Zeit für die Gestaltung des Rechtslebens die Aufnahme des römischen Rechts gewesen war, das wurde für das staatliche Leben etwa zwei Jahrhunderte später die Übernahme und Nachbildung der romanischen, insbesondre der französischen monarchischen Staats¬ ordnung. Auch Westfranken drohte, nachdem es sich aus dem Verbände des tarv-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/213>, abgerufen am 03.07.2024.