Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Aus Anlaß des heutigen Gedenktages") sei es mir vergönnt, diesen Ge¬ Vergebliches Bemühen ist es, das Königtum, wie es sich im Gegensatze zu der Einst befangen in jener unpolitischen Auffassung, welche die staatlichen Ver¬ *) Dem vorliegenden Aufsätze liegt die zur Feier des KrömmgSfestes am 18. Januar
18L7 in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg gehaltene Festrede zu Grunde. Aus Anlaß des heutigen Gedenktages") sei es mir vergönnt, diesen Ge¬ Vergebliches Bemühen ist es, das Königtum, wie es sich im Gegensatze zu der Einst befangen in jener unpolitischen Auffassung, welche die staatlichen Ver¬ *) Dem vorliegenden Aufsätze liegt die zur Feier des KrömmgSfestes am 18. Januar
18L7 in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg gehaltene Festrede zu Grunde. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200317"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_605"> Aus Anlaß des heutigen Gedenktages") sei es mir vergönnt, diesen Ge¬<lb/> danken von der kulturgeschichtlichen Bedeutung des modernen Königtums näher<lb/> auszuführen, indem ich zu zeigen versuche, wie das Königtum der neuern Zeit<lb/> als Schöpfer und Träger der politischen und der militärischen, der sozialen und<lb/> der wirtschaftlichen Ordnung des modernen Staates zugleich der vornehmste<lb/> Träger der neuern Kultur überhaupt geworden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_606"> Vergebliches Bemühen ist es, das Königtum, wie es sich im Gegensatze zu der<lb/> staatlichen Ordnung des Mittelalters um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts<lb/> ausbildet, mit dem Königtum der ältern Zeiten und namentlich mit dem so<lb/> eigen gearteten, aber politisch unfruchtbaren germanischen Königinn: in einen<lb/> innern Zusammenhang zu bringen oder gar als dessen natürliche Weiterbildung<lb/> zu erweisen. Denn nichts wesentliches hat das Königtum der neuern Geschichte<lb/> mit dem germanischen Königtum gemein. Niemals war dieses das, als was<lb/> das moderne Königtum sich gleich bei seiner Entstehung darstellt, die über allen<lb/> zeitlichen und persönlichen Wandel erhabene Verkörperung des Staates als des<lb/> Inbegriffes der allen Einzelinteressen übergeordneten Interessen einer auf nationaler<lb/> Zusammengehörigkeit beruhenden Gemeinschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_607" next="#ID_608"> Einst befangen in jener unpolitischen Auffassung, welche die staatlichen Ver¬<lb/> hältnisse nach privatrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt, sahen die Deutschen<lb/> nachmals ihren Staat durch das Lehnswesen in ein so viclverschlnngenes<lb/> System sich gegenseitig teils bedingender, teils aussehender Faktoren verflüchtigt,<lb/> daß sie sein Wesen schließlich in dem gemeingefährlichen Ideal der „Libertät"<lb/> fanden und damit jedes unbedingte Recht des Staates dein Einzelnen gegen¬<lb/> über und jede Pflicht des Einzelnen dem Staate gegenüber verneinten. Ferner<lb/> kannte das germanische Königtum nur eine beschränkte Erblichkeit, denn die<lb/> Krone ging in dem königlichen Hause uicht nach dem Rechte der Erstgeburt von<lb/> dem Vater auf den Sohn über, sondern das ganze königliche Haus in allen<lb/> seinen Gliedern hatte ein Recht ans sie; für die Anerkennung desselben zu<lb/> Gunsten einer Person aber bedürfte es einer Mitwirkung des Volkes, die<lb/> schließlich doch immer auf eine Art von Wahl hinauslief. Endlich war nach<lb/> germanischer Anschauung die Behauptung der Krone bedingt dnrch die Erfüllung<lb/> der mit derselben verbundenen Pflichten: dnrch Untüchtigkeit verwirkte der König<lb/> die Herrschaft, das Volk durfte ihm den Gehorsam aufkündigen und einen andern,<lb/> tüchtigen Manu aus dem königlichen Geschlechte oder, wenn dieses keinen darbot,<lb/> anderswoher auf den Thron erheben. Der Ausgang der Merowinger und der<lb/> Karolinger, die Revolution unter Heinrich IV., welche Deutschland zum Wahl-<lb/> reich machte, die Thrvnstreitigkeitcu des vierzehnten und die ruhmlosen Regie¬<lb/> rungen des fünfzehnten Jahrhunderts bestätigen das und zeigen, wie das deutsche</p><lb/> <note xml:id="FID_32" place="foot"> *) Dem vorliegenden Aufsätze liegt die zur Feier des KrömmgSfestes am 18. Januar<lb/> 18L7 in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg gehaltene Festrede zu Grunde.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Aus Anlaß des heutigen Gedenktages") sei es mir vergönnt, diesen Ge¬
danken von der kulturgeschichtlichen Bedeutung des modernen Königtums näher
auszuführen, indem ich zu zeigen versuche, wie das Königtum der neuern Zeit
als Schöpfer und Träger der politischen und der militärischen, der sozialen und
der wirtschaftlichen Ordnung des modernen Staates zugleich der vornehmste
Träger der neuern Kultur überhaupt geworden ist.
Vergebliches Bemühen ist es, das Königtum, wie es sich im Gegensatze zu der
staatlichen Ordnung des Mittelalters um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
ausbildet, mit dem Königtum der ältern Zeiten und namentlich mit dem so
eigen gearteten, aber politisch unfruchtbaren germanischen Königinn: in einen
innern Zusammenhang zu bringen oder gar als dessen natürliche Weiterbildung
zu erweisen. Denn nichts wesentliches hat das Königtum der neuern Geschichte
mit dem germanischen Königtum gemein. Niemals war dieses das, als was
das moderne Königtum sich gleich bei seiner Entstehung darstellt, die über allen
zeitlichen und persönlichen Wandel erhabene Verkörperung des Staates als des
Inbegriffes der allen Einzelinteressen übergeordneten Interessen einer auf nationaler
Zusammengehörigkeit beruhenden Gemeinschaft.
Einst befangen in jener unpolitischen Auffassung, welche die staatlichen Ver¬
hältnisse nach privatrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt, sahen die Deutschen
nachmals ihren Staat durch das Lehnswesen in ein so viclverschlnngenes
System sich gegenseitig teils bedingender, teils aussehender Faktoren verflüchtigt,
daß sie sein Wesen schließlich in dem gemeingefährlichen Ideal der „Libertät"
fanden und damit jedes unbedingte Recht des Staates dein Einzelnen gegen¬
über und jede Pflicht des Einzelnen dem Staate gegenüber verneinten. Ferner
kannte das germanische Königtum nur eine beschränkte Erblichkeit, denn die
Krone ging in dem königlichen Hause uicht nach dem Rechte der Erstgeburt von
dem Vater auf den Sohn über, sondern das ganze königliche Haus in allen
seinen Gliedern hatte ein Recht ans sie; für die Anerkennung desselben zu
Gunsten einer Person aber bedürfte es einer Mitwirkung des Volkes, die
schließlich doch immer auf eine Art von Wahl hinauslief. Endlich war nach
germanischer Anschauung die Behauptung der Krone bedingt dnrch die Erfüllung
der mit derselben verbundenen Pflichten: dnrch Untüchtigkeit verwirkte der König
die Herrschaft, das Volk durfte ihm den Gehorsam aufkündigen und einen andern,
tüchtigen Manu aus dem königlichen Geschlechte oder, wenn dieses keinen darbot,
anderswoher auf den Thron erheben. Der Ausgang der Merowinger und der
Karolinger, die Revolution unter Heinrich IV., welche Deutschland zum Wahl-
reich machte, die Thrvnstreitigkeitcu des vierzehnten und die ruhmlosen Regie¬
rungen des fünfzehnten Jahrhunderts bestätigen das und zeigen, wie das deutsche
*) Dem vorliegenden Aufsätze liegt die zur Feier des KrömmgSfestes am 18. Januar
18L7 in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg gehaltene Festrede zu Grunde.
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