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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Jammer von Reichstag.

das Volksgemüt gegen die Mehrheit erregte. Das Organ des Herrn Hänel
in Kiel schrieb: "In dem Falle der 20 000 Mark hat man es, wie sich immer
mehr herausstellt, mit einem von langer Hand vorbereiteten Plane zu thun."
Hatten sich etwa die ausländischen Zeitungen auch schon von langer Hand
vorbereitet zu den Urteilen über diese Mehrheit des deutschen Neichtags? Oder
war die Anerkennung auch vorbereitet, die diese Majorität bei deutschfeindlichen
Organen fand? So schrieb in Nußland das "Echo": "Der deutsche Reichstag
setzt den Kampf gegen die Regierung fort und fuhrt denselben jetzt viel erfolg¬
reicher als früher. Besonders bedeutungsvoll ist der Umstand, daß die Opposition
sich sogar in der Frage der Kolonialpolitik mächtig erweist, auf welche Politik
alle Welt in Deutschland große Hoffnungen setzte. Diese Hoffnungen sind zu
Schanden geworden; durch solche Ablehnungen, wie sie jetzt der deutsche Reichstag
gegenüber dem Fürsten Bismarck vornimmt, wird natürlich die Thätigkeit eines
Staatsmannes gehemmt. Fürst Bismarck ist genötigt, zu scheu, wie seine gro߬
artigen kolonialpvlitischeu Pläne an der Opposition des Reichstags zerschellen."

Der Reichstag gewährte, wie schon gesagt, in der dritten Lesung den Posten
>" der Sitzung vom 2. März 1885. Aber das Urteil über diesen Reichstag
mußte schon damals entschieden sein und war entschieden. In dem erzwungenen
Spott, womit ultramontane und fortschrittliche Blatter von Adrcssenschwindel
und Entrüstuugsrummel sprachen, war ein gut Teil von bösem Gewissen und
Angst. Wenn die Freisinnigen damals nnr den zwanzigsten Teil von der Zu¬
stimmung des Volkes, wie jetzt die Rcichstreuen bei der Militärvorlage, er¬
fahren hätten, was hätten sie daraus gemacht! Während die Fortschrittsblätter
von Eutrüstungsrnmmel sprechen mußten, spritzten die obsoleten angusten-
l'urgischen Agitatoren in Kiel privatim ihren Geifer ans Bismarck aus und
sprachen von dem Bismarckgifte, welches wie eine Seuche alle Welt auslecke.
Solchen Patrioten und echten Liberalen sprach der liberale ?nnAolc> in Neapel
ihr Urteil, wenn er sagte: "Die fortwährenden Niederlagen, die Bismarck durch
die gesetzmäßige Vertretung seiner Landsleute erfährt, sind demütigend für das
deutsche Volk. Er, der Deutschland auf den Platz gestellt hat, auf dem es sich
befindet, wird nicht anders behandelt, als der ungeschickteste Minister es werden
würde, der sich zum erstenmale der Kammer vorstellt. Und dies dem Manne,
dem Deutschland es verdankt, daß es die erste Macht Europas, vielleicht der
Welt ist! In welchem andern Lande würde eine ähnliche Abstimmung möglich
gewesen sein?" Gewiß war der ?uugc>l0 auch vom Bismarckgifte angesteckt,
daß er so schrieb. O Haß, wie häßlich machst du den Menschen!

Natürlich hatte sich das Angesicht der Mehrheit dieses Reichstags auch
in andern Fragen mit seiner vaterlandsfeindlichen Miene gezeigt. In der Kom¬
mission für die Dampfersnbvention lehnte die freisinnig-klerikale Mehrheit die
australische und afrikanische Linie ab und wollte nnr die ostasiatische halten.
Als die Nativnalliberalen erklärten, dann hätte die ganze Vorlage für sie keine


Der Jammer von Reichstag.

das Volksgemüt gegen die Mehrheit erregte. Das Organ des Herrn Hänel
in Kiel schrieb: „In dem Falle der 20 000 Mark hat man es, wie sich immer
mehr herausstellt, mit einem von langer Hand vorbereiteten Plane zu thun."
Hatten sich etwa die ausländischen Zeitungen auch schon von langer Hand
vorbereitet zu den Urteilen über diese Mehrheit des deutschen Neichtags? Oder
war die Anerkennung auch vorbereitet, die diese Majorität bei deutschfeindlichen
Organen fand? So schrieb in Nußland das „Echo": „Der deutsche Reichstag
setzt den Kampf gegen die Regierung fort und fuhrt denselben jetzt viel erfolg¬
reicher als früher. Besonders bedeutungsvoll ist der Umstand, daß die Opposition
sich sogar in der Frage der Kolonialpolitik mächtig erweist, auf welche Politik
alle Welt in Deutschland große Hoffnungen setzte. Diese Hoffnungen sind zu
Schanden geworden; durch solche Ablehnungen, wie sie jetzt der deutsche Reichstag
gegenüber dem Fürsten Bismarck vornimmt, wird natürlich die Thätigkeit eines
Staatsmannes gehemmt. Fürst Bismarck ist genötigt, zu scheu, wie seine gro߬
artigen kolonialpvlitischeu Pläne an der Opposition des Reichstags zerschellen."

Der Reichstag gewährte, wie schon gesagt, in der dritten Lesung den Posten
>» der Sitzung vom 2. März 1885. Aber das Urteil über diesen Reichstag
mußte schon damals entschieden sein und war entschieden. In dem erzwungenen
Spott, womit ultramontane und fortschrittliche Blatter von Adrcssenschwindel
und Entrüstuugsrummel sprachen, war ein gut Teil von bösem Gewissen und
Angst. Wenn die Freisinnigen damals nnr den zwanzigsten Teil von der Zu¬
stimmung des Volkes, wie jetzt die Rcichstreuen bei der Militärvorlage, er¬
fahren hätten, was hätten sie daraus gemacht! Während die Fortschrittsblätter
von Eutrüstungsrnmmel sprechen mußten, spritzten die obsoleten angusten-
l'urgischen Agitatoren in Kiel privatim ihren Geifer ans Bismarck aus und
sprachen von dem Bismarckgifte, welches wie eine Seuche alle Welt auslecke.
Solchen Patrioten und echten Liberalen sprach der liberale ?nnAolc> in Neapel
ihr Urteil, wenn er sagte: „Die fortwährenden Niederlagen, die Bismarck durch
die gesetzmäßige Vertretung seiner Landsleute erfährt, sind demütigend für das
deutsche Volk. Er, der Deutschland auf den Platz gestellt hat, auf dem es sich
befindet, wird nicht anders behandelt, als der ungeschickteste Minister es werden
würde, der sich zum erstenmale der Kammer vorstellt. Und dies dem Manne,
dem Deutschland es verdankt, daß es die erste Macht Europas, vielleicht der
Welt ist! In welchem andern Lande würde eine ähnliche Abstimmung möglich
gewesen sein?" Gewiß war der ?uugc>l0 auch vom Bismarckgifte angesteckt,
daß er so schrieb. O Haß, wie häßlich machst du den Menschen!

Natürlich hatte sich das Angesicht der Mehrheit dieses Reichstags auch
in andern Fragen mit seiner vaterlandsfeindlichen Miene gezeigt. In der Kom¬
mission für die Dampfersnbvention lehnte die freisinnig-klerikale Mehrheit die
australische und afrikanische Linie ab und wollte nnr die ostasiatische halten.
Als die Nativnalliberalen erklärten, dann hätte die ganze Vorlage für sie keine


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[0206] Der Jammer von Reichstag. das Volksgemüt gegen die Mehrheit erregte. Das Organ des Herrn Hänel in Kiel schrieb: „In dem Falle der 20 000 Mark hat man es, wie sich immer mehr herausstellt, mit einem von langer Hand vorbereiteten Plane zu thun." Hatten sich etwa die ausländischen Zeitungen auch schon von langer Hand vorbereitet zu den Urteilen über diese Mehrheit des deutschen Neichtags? Oder war die Anerkennung auch vorbereitet, die diese Majorität bei deutschfeindlichen Organen fand? So schrieb in Nußland das „Echo": „Der deutsche Reichstag setzt den Kampf gegen die Regierung fort und fuhrt denselben jetzt viel erfolg¬ reicher als früher. Besonders bedeutungsvoll ist der Umstand, daß die Opposition sich sogar in der Frage der Kolonialpolitik mächtig erweist, auf welche Politik alle Welt in Deutschland große Hoffnungen setzte. Diese Hoffnungen sind zu Schanden geworden; durch solche Ablehnungen, wie sie jetzt der deutsche Reichstag gegenüber dem Fürsten Bismarck vornimmt, wird natürlich die Thätigkeit eines Staatsmannes gehemmt. Fürst Bismarck ist genötigt, zu scheu, wie seine gro߬ artigen kolonialpvlitischeu Pläne an der Opposition des Reichstags zerschellen." Der Reichstag gewährte, wie schon gesagt, in der dritten Lesung den Posten >» der Sitzung vom 2. März 1885. Aber das Urteil über diesen Reichstag mußte schon damals entschieden sein und war entschieden. In dem erzwungenen Spott, womit ultramontane und fortschrittliche Blatter von Adrcssenschwindel und Entrüstuugsrummel sprachen, war ein gut Teil von bösem Gewissen und Angst. Wenn die Freisinnigen damals nnr den zwanzigsten Teil von der Zu¬ stimmung des Volkes, wie jetzt die Rcichstreuen bei der Militärvorlage, er¬ fahren hätten, was hätten sie daraus gemacht! Während die Fortschrittsblätter von Eutrüstungsrnmmel sprechen mußten, spritzten die obsoleten angusten- l'urgischen Agitatoren in Kiel privatim ihren Geifer ans Bismarck aus und sprachen von dem Bismarckgifte, welches wie eine Seuche alle Welt auslecke. Solchen Patrioten und echten Liberalen sprach der liberale ?nnAolc> in Neapel ihr Urteil, wenn er sagte: „Die fortwährenden Niederlagen, die Bismarck durch die gesetzmäßige Vertretung seiner Landsleute erfährt, sind demütigend für das deutsche Volk. Er, der Deutschland auf den Platz gestellt hat, auf dem es sich befindet, wird nicht anders behandelt, als der ungeschickteste Minister es werden würde, der sich zum erstenmale der Kammer vorstellt. Und dies dem Manne, dem Deutschland es verdankt, daß es die erste Macht Europas, vielleicht der Welt ist! In welchem andern Lande würde eine ähnliche Abstimmung möglich gewesen sein?" Gewiß war der ?uugc>l0 auch vom Bismarckgifte angesteckt, daß er so schrieb. O Haß, wie häßlich machst du den Menschen! Natürlich hatte sich das Angesicht der Mehrheit dieses Reichstags auch in andern Fragen mit seiner vaterlandsfeindlichen Miene gezeigt. In der Kom¬ mission für die Dampfersnbvention lehnte die freisinnig-klerikale Mehrheit die australische und afrikanische Linie ab und wollte nnr die ostasiatische halten. Als die Nativnalliberalen erklärten, dann hätte die ganze Vorlage für sie keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/206>, abgerufen am 03.07.2024.