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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Jammer von Reichstag.

Bedeutung mehr, erwiederte der Thersites des Reichstags, Eugen Richter:
"Dahin wollten wir sie gerade haben." Die "Kieler Zeitung" aber übte wieder
ihre Hauptkunst, die Verdrehung, und sagte, am Scheitern der Vorlage seien
die Nationalliberalen schuld.

Wie gehorsam aber die Freisinnigen in diesem Reichstage über den Stock
sprangen, den ihm der boshafteste Feind des Reiches, Windthorst, vorhielt,
zeigte sich, als Windthorst ein achttägiges Ausfallen der Neichstagssitzungcn
verlangte, obschon die zweite Lesung des Etats bevorstand, die Dampfersubveutiou
zur zweiten Lesung vorlag, ferner die dritte Etatsberatung der zweiten Direktor¬
stelle, endlich die Zollnovcllc. Herr Windthorst wollte Zeit gewinnen für die
Kultnrkampfdebatte, die im Abgeordnetenhaus": bevorstand. Die sachlich wichtigsten
Interessen des Reiches wurden erbarmungslos vom Zentrum der Parteipolitik
geopfert, und Richter und Rickert unterstützten dabei ungescheut. Windthorst
beabsichtigte das Verhalten des Zentrums im Reichstage von dem Ausfalle
seiner kirchenpolitischen Aktion abhängig zu machen, und für diese welfisch-
tlerikale Parteipolitik trat auch hier der Freisinn ein. Wahrlich, da hat schon
damals mancher patriotische Mann fragen aufhellt Wie lauge, wie lange wird
dieser Schimpf einer welfisch-römischen Interessen dienenden Majorität noch
dauern? Ist das Zwcigcstirn Richter-Windthorst wirklich das Zeichen, an dem
man die deutsche Nation erkennen soll?

Wir wollen hier noch an etwas erinnern, was sich in derselben Sitzung
abspielte, in welcher schließlich durch Abschweifung einer Anzahl Freisinniger
unter Rickerts Führung die zweite Direktorstelle genehmigt wurde. Der Vor¬
gang, den wir meinen, zeigt, wie der Freisinn die nationale Ehre mit Füße"
tritt. Herr Eugen Richter warf sich zum Vorkämpfer Englands auf in dem¬
selben Augenblicke, wo Bismarck der britischen Staatsleitung den Standpunkt
klar machte, um sie in kolonialen Dingen zur Vernunft zu bringen, zu welchem
Zwecke er den Grafen Herbert Bismarck nach London gesandt hatte. Diesen
Augenblick hielt der Führer der Opposition für geeignet, mit einer Standrede
zu Gunsten Englands Bismarck in den Rücken zu fallen und so die englischen
Staatsmänner zu ermutigen, der Durchftthruug der deutschen Kolonialpolitik
weitere Hindernisse zu bereiten. So wenig war bei dieser Rcichsvertrctnng die
deutsche Nation vor unwürdige" Exzessen bewahrt! Daß mit diesem Eintreten
für England Herr Eugen Richter sich eine gute Nummer an einer gewissen
hohen Stelle machen wollte, stimmt ganz überein mit dem shstematischm Angeln
nach dem Zukunftsregiment, das ja auch gegenwärtig wieder die Herren Frei¬
sinnigen in nicht allzuferner Zeit erblicken und für sich in recht liebcuswiirdiger
Weise in Beschlag nehmen. Redet doch ihre Presse davon, daß dann einer der
ersten Akte sein soll, das Herrenhaus, für seine Adresse an den König wegen
der cmtiuationalen Haltung des Reichstages, ganz und gar verschwinden zu
lassen.


Der Jammer von Reichstag.

Bedeutung mehr, erwiederte der Thersites des Reichstags, Eugen Richter:
„Dahin wollten wir sie gerade haben." Die „Kieler Zeitung" aber übte wieder
ihre Hauptkunst, die Verdrehung, und sagte, am Scheitern der Vorlage seien
die Nationalliberalen schuld.

Wie gehorsam aber die Freisinnigen in diesem Reichstage über den Stock
sprangen, den ihm der boshafteste Feind des Reiches, Windthorst, vorhielt,
zeigte sich, als Windthorst ein achttägiges Ausfallen der Neichstagssitzungcn
verlangte, obschon die zweite Lesung des Etats bevorstand, die Dampfersubveutiou
zur zweiten Lesung vorlag, ferner die dritte Etatsberatung der zweiten Direktor¬
stelle, endlich die Zollnovcllc. Herr Windthorst wollte Zeit gewinnen für die
Kultnrkampfdebatte, die im Abgeordnetenhaus«: bevorstand. Die sachlich wichtigsten
Interessen des Reiches wurden erbarmungslos vom Zentrum der Parteipolitik
geopfert, und Richter und Rickert unterstützten dabei ungescheut. Windthorst
beabsichtigte das Verhalten des Zentrums im Reichstage von dem Ausfalle
seiner kirchenpolitischen Aktion abhängig zu machen, und für diese welfisch-
tlerikale Parteipolitik trat auch hier der Freisinn ein. Wahrlich, da hat schon
damals mancher patriotische Mann fragen aufhellt Wie lauge, wie lange wird
dieser Schimpf einer welfisch-römischen Interessen dienenden Majorität noch
dauern? Ist das Zwcigcstirn Richter-Windthorst wirklich das Zeichen, an dem
man die deutsche Nation erkennen soll?

Wir wollen hier noch an etwas erinnern, was sich in derselben Sitzung
abspielte, in welcher schließlich durch Abschweifung einer Anzahl Freisinniger
unter Rickerts Führung die zweite Direktorstelle genehmigt wurde. Der Vor¬
gang, den wir meinen, zeigt, wie der Freisinn die nationale Ehre mit Füße«
tritt. Herr Eugen Richter warf sich zum Vorkämpfer Englands auf in dem¬
selben Augenblicke, wo Bismarck der britischen Staatsleitung den Standpunkt
klar machte, um sie in kolonialen Dingen zur Vernunft zu bringen, zu welchem
Zwecke er den Grafen Herbert Bismarck nach London gesandt hatte. Diesen
Augenblick hielt der Führer der Opposition für geeignet, mit einer Standrede
zu Gunsten Englands Bismarck in den Rücken zu fallen und so die englischen
Staatsmänner zu ermutigen, der Durchftthruug der deutschen Kolonialpolitik
weitere Hindernisse zu bereiten. So wenig war bei dieser Rcichsvertrctnng die
deutsche Nation vor unwürdige» Exzessen bewahrt! Daß mit diesem Eintreten
für England Herr Eugen Richter sich eine gute Nummer an einer gewissen
hohen Stelle machen wollte, stimmt ganz überein mit dem shstematischm Angeln
nach dem Zukunftsregiment, das ja auch gegenwärtig wieder die Herren Frei¬
sinnigen in nicht allzuferner Zeit erblicken und für sich in recht liebcuswiirdiger
Weise in Beschlag nehmen. Redet doch ihre Presse davon, daß dann einer der
ersten Akte sein soll, das Herrenhaus, für seine Adresse an den König wegen
der cmtiuationalen Haltung des Reichstages, ganz und gar verschwinden zu
lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/207>, abgerufen am 03.07.2024.