Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Jammer von Reichstag.

zu den alten Mitteln griff, die Dinge zu verschieben. Man rechnete auf die
Gutmütigkeit und das kurze Gedächtnis des deutschen Michels und gaukelte
ihm vor: "Die Regierung verlangt für das Auswärtige in dem jetzigen Etat
7 237 075 Mark, und sie soll ohne weiteres alles erhalten, bis auf rund 80 000.
Etwas über ein Prozent des Verlangten, das ist der Gegenstand des Streites."
So die Lügenprcsse nach Verabredung. Es waren fast dieselben Worte, die
die "Germania" und die Fortschrittspresse, z. B. Herrn Hünels edles Blatt, an
einem Tage brachten. O nein, das war nicht der Gegenstand des Streites,
die 80 000 Mark, sondern ob dem Kanzler Nadelstiche versetzt werden sollten,
damit, daß man gerade ihm persönlich das Leben sauer und das Arbeiten un¬
möglich machen wollte, und damit, daß man gerade für die wichtigste Stelle
der Kolonialpolitik, für Kapstadt, die nötigen Gelder verweigerte. Das war
der Gegenstand des Streites, und das wußte die "Germania" gerade so gut
wie die "Kieler Zeitung." Es war dieselbe Lügeupresse, die damals schrieb,
die Regierung "solle ohne weiteres alles erhalten," und die heute dem Ratten¬
fänger von Meppen nachleiert, daß "kein Mann und kein Groschen" fehle,
dieselbe Lügenpresse und dieselben Parteien, die damals wie heute mit ihren
Wahrheitsentstellungen über Bedrohung des Budgetrechts des Reichstags, der
Preßfreiheit, der Redefreiheit, der Verkehrsfreiheit u. s. w. und mit Schein¬
beschlüssen ihre Blendwerke zur Irreführung des Volkes aufführten. Damals wie
heute beanspruchte" die Blätter jener Maulhelden, die mit den Herzen Republi¬
kaner, mit dem Munde Patrioten sind, die Herrschaft für die Mehrheit, "die aus
dem nationalen Willen hervorgegangen ist." Ein schöner nationaler Wille, diese
Mehrheit der Ultramontanen mit ihren Schleppenträgern!

In der dritten Lesung über den Posten eines zweiten Direktors im Aus¬
wärtigen Amte, um das gleich vorauszunehmen, stellte Windthorst die Figuren
seines Pnppenspieles anders, indem er einen Teil seiner Mhrmidonen, römische
sowohl als freisinnige, abkommandirte, um für die Verwilligung des vorher ver¬
weigerten Postens zu stimmen. Damit wurde erst recht deutlich, daß nicht
sachliche Gründe, nicht Rücksichten der Sparsamkeit, an die ohnehin kein Mensch
glaubte, die Mehrheit vom 15. Dezember bestimmt hatten, sondern der Partei¬
geist, der ans nichts andres denkt, als wie man den verhaßten Kanzler ärger",
Peinigen, verfolgen kann. Die linuzs schrieb damals: "Es liegt etwas un¬
beschreiblich niedriges und unmännliches darin, einem Manne absichtlich eine
persönliche Niederlage zu bereiten, dem Deutschland so viel schuldet. Wenn sich
solche kleinliche Bosheit als das Ergebnis von parlamentarischen Institutionen
darbietet, so flößt es einem Zweifel ein, ob man sich darauf verlassen kann, daß
sie die beste Weisheit einer Nation darstellen." Als die fortschrittlichen Blätter
die Entrüstung sahen, welche sich im deutscheu Volke über die Machinationen
der Mehrheit deö Reichstags zeigte, da halfen sie sich mit Verhetzung. Bismarck
sollte absichtlich die Sache mit dein zweiten Direktor so gelenkt haben, daß er


Der Jammer von Reichstag.

zu den alten Mitteln griff, die Dinge zu verschieben. Man rechnete auf die
Gutmütigkeit und das kurze Gedächtnis des deutschen Michels und gaukelte
ihm vor: „Die Regierung verlangt für das Auswärtige in dem jetzigen Etat
7 237 075 Mark, und sie soll ohne weiteres alles erhalten, bis auf rund 80 000.
Etwas über ein Prozent des Verlangten, das ist der Gegenstand des Streites."
So die Lügenprcsse nach Verabredung. Es waren fast dieselben Worte, die
die „Germania" und die Fortschrittspresse, z. B. Herrn Hünels edles Blatt, an
einem Tage brachten. O nein, das war nicht der Gegenstand des Streites,
die 80 000 Mark, sondern ob dem Kanzler Nadelstiche versetzt werden sollten,
damit, daß man gerade ihm persönlich das Leben sauer und das Arbeiten un¬
möglich machen wollte, und damit, daß man gerade für die wichtigste Stelle
der Kolonialpolitik, für Kapstadt, die nötigen Gelder verweigerte. Das war
der Gegenstand des Streites, und das wußte die „Germania" gerade so gut
wie die „Kieler Zeitung." Es war dieselbe Lügeupresse, die damals schrieb,
die Regierung „solle ohne weiteres alles erhalten," und die heute dem Ratten¬
fänger von Meppen nachleiert, daß „kein Mann und kein Groschen" fehle,
dieselbe Lügenpresse und dieselben Parteien, die damals wie heute mit ihren
Wahrheitsentstellungen über Bedrohung des Budgetrechts des Reichstags, der
Preßfreiheit, der Redefreiheit, der Verkehrsfreiheit u. s. w. und mit Schein¬
beschlüssen ihre Blendwerke zur Irreführung des Volkes aufführten. Damals wie
heute beanspruchte» die Blätter jener Maulhelden, die mit den Herzen Republi¬
kaner, mit dem Munde Patrioten sind, die Herrschaft für die Mehrheit, „die aus
dem nationalen Willen hervorgegangen ist." Ein schöner nationaler Wille, diese
Mehrheit der Ultramontanen mit ihren Schleppenträgern!

In der dritten Lesung über den Posten eines zweiten Direktors im Aus¬
wärtigen Amte, um das gleich vorauszunehmen, stellte Windthorst die Figuren
seines Pnppenspieles anders, indem er einen Teil seiner Mhrmidonen, römische
sowohl als freisinnige, abkommandirte, um für die Verwilligung des vorher ver¬
weigerten Postens zu stimmen. Damit wurde erst recht deutlich, daß nicht
sachliche Gründe, nicht Rücksichten der Sparsamkeit, an die ohnehin kein Mensch
glaubte, die Mehrheit vom 15. Dezember bestimmt hatten, sondern der Partei¬
geist, der ans nichts andres denkt, als wie man den verhaßten Kanzler ärger»,
Peinigen, verfolgen kann. Die linuzs schrieb damals: „Es liegt etwas un¬
beschreiblich niedriges und unmännliches darin, einem Manne absichtlich eine
persönliche Niederlage zu bereiten, dem Deutschland so viel schuldet. Wenn sich
solche kleinliche Bosheit als das Ergebnis von parlamentarischen Institutionen
darbietet, so flößt es einem Zweifel ein, ob man sich darauf verlassen kann, daß
sie die beste Weisheit einer Nation darstellen." Als die fortschrittlichen Blätter
die Entrüstung sahen, welche sich im deutscheu Volke über die Machinationen
der Mehrheit deö Reichstags zeigte, da halfen sie sich mit Verhetzung. Bismarck
sollte absichtlich die Sache mit dein zweiten Direktor so gelenkt haben, daß er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200310"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Jammer von Reichstag.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_585" prev="#ID_584"> zu den alten Mitteln griff, die Dinge zu verschieben. Man rechnete auf die<lb/>
Gutmütigkeit und das kurze Gedächtnis des deutschen Michels und gaukelte<lb/>
ihm vor: &#x201E;Die Regierung verlangt für das Auswärtige in dem jetzigen Etat<lb/>
7 237 075 Mark, und sie soll ohne weiteres alles erhalten, bis auf rund 80 000.<lb/>
Etwas über ein Prozent des Verlangten, das ist der Gegenstand des Streites."<lb/>
So die Lügenprcsse nach Verabredung. Es waren fast dieselben Worte, die<lb/>
die &#x201E;Germania" und die Fortschrittspresse, z. B. Herrn Hünels edles Blatt, an<lb/>
einem Tage brachten. O nein, das war nicht der Gegenstand des Streites,<lb/>
die 80 000 Mark, sondern ob dem Kanzler Nadelstiche versetzt werden sollten,<lb/>
damit, daß man gerade ihm persönlich das Leben sauer und das Arbeiten un¬<lb/>
möglich machen wollte, und damit, daß man gerade für die wichtigste Stelle<lb/>
der Kolonialpolitik, für Kapstadt, die nötigen Gelder verweigerte. Das war<lb/>
der Gegenstand des Streites, und das wußte die &#x201E;Germania" gerade so gut<lb/>
wie die &#x201E;Kieler Zeitung." Es war dieselbe Lügeupresse, die damals schrieb,<lb/>
die Regierung &#x201E;solle ohne weiteres alles erhalten," und die heute dem Ratten¬<lb/>
fänger von Meppen nachleiert, daß &#x201E;kein Mann und kein Groschen" fehle,<lb/>
dieselbe Lügenpresse und dieselben Parteien, die damals wie heute mit ihren<lb/>
Wahrheitsentstellungen über Bedrohung des Budgetrechts des Reichstags, der<lb/>
Preßfreiheit, der Redefreiheit, der Verkehrsfreiheit u. s. w. und mit Schein¬<lb/>
beschlüssen ihre Blendwerke zur Irreführung des Volkes aufführten. Damals wie<lb/>
heute beanspruchte» die Blätter jener Maulhelden, die mit den Herzen Republi¬<lb/>
kaner, mit dem Munde Patrioten sind, die Herrschaft für die Mehrheit, &#x201E;die aus<lb/>
dem nationalen Willen hervorgegangen ist." Ein schöner nationaler Wille, diese<lb/>
Mehrheit der Ultramontanen mit ihren Schleppenträgern!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> In der dritten Lesung über den Posten eines zweiten Direktors im Aus¬<lb/>
wärtigen Amte, um das gleich vorauszunehmen, stellte Windthorst die Figuren<lb/>
seines Pnppenspieles anders, indem er einen Teil seiner Mhrmidonen, römische<lb/>
sowohl als freisinnige, abkommandirte, um für die Verwilligung des vorher ver¬<lb/>
weigerten Postens zu stimmen. Damit wurde erst recht deutlich, daß nicht<lb/>
sachliche Gründe, nicht Rücksichten der Sparsamkeit, an die ohnehin kein Mensch<lb/>
glaubte, die Mehrheit vom 15. Dezember bestimmt hatten, sondern der Partei¬<lb/>
geist, der ans nichts andres denkt, als wie man den verhaßten Kanzler ärger»,<lb/>
Peinigen, verfolgen kann. Die linuzs schrieb damals: &#x201E;Es liegt etwas un¬<lb/>
beschreiblich niedriges und unmännliches darin, einem Manne absichtlich eine<lb/>
persönliche Niederlage zu bereiten, dem Deutschland so viel schuldet. Wenn sich<lb/>
solche kleinliche Bosheit als das Ergebnis von parlamentarischen Institutionen<lb/>
darbietet, so flößt es einem Zweifel ein, ob man sich darauf verlassen kann, daß<lb/>
sie die beste Weisheit einer Nation darstellen." Als die fortschrittlichen Blätter<lb/>
die Entrüstung sahen, welche sich im deutscheu Volke über die Machinationen<lb/>
der Mehrheit deö Reichstags zeigte, da halfen sie sich mit Verhetzung. Bismarck<lb/>
sollte absichtlich die Sache mit dein zweiten Direktor so gelenkt haben, daß er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0205] Der Jammer von Reichstag. zu den alten Mitteln griff, die Dinge zu verschieben. Man rechnete auf die Gutmütigkeit und das kurze Gedächtnis des deutschen Michels und gaukelte ihm vor: „Die Regierung verlangt für das Auswärtige in dem jetzigen Etat 7 237 075 Mark, und sie soll ohne weiteres alles erhalten, bis auf rund 80 000. Etwas über ein Prozent des Verlangten, das ist der Gegenstand des Streites." So die Lügenprcsse nach Verabredung. Es waren fast dieselben Worte, die die „Germania" und die Fortschrittspresse, z. B. Herrn Hünels edles Blatt, an einem Tage brachten. O nein, das war nicht der Gegenstand des Streites, die 80 000 Mark, sondern ob dem Kanzler Nadelstiche versetzt werden sollten, damit, daß man gerade ihm persönlich das Leben sauer und das Arbeiten un¬ möglich machen wollte, und damit, daß man gerade für die wichtigste Stelle der Kolonialpolitik, für Kapstadt, die nötigen Gelder verweigerte. Das war der Gegenstand des Streites, und das wußte die „Germania" gerade so gut wie die „Kieler Zeitung." Es war dieselbe Lügeupresse, die damals schrieb, die Regierung „solle ohne weiteres alles erhalten," und die heute dem Ratten¬ fänger von Meppen nachleiert, daß „kein Mann und kein Groschen" fehle, dieselbe Lügenpresse und dieselben Parteien, die damals wie heute mit ihren Wahrheitsentstellungen über Bedrohung des Budgetrechts des Reichstags, der Preßfreiheit, der Redefreiheit, der Verkehrsfreiheit u. s. w. und mit Schein¬ beschlüssen ihre Blendwerke zur Irreführung des Volkes aufführten. Damals wie heute beanspruchte» die Blätter jener Maulhelden, die mit den Herzen Republi¬ kaner, mit dem Munde Patrioten sind, die Herrschaft für die Mehrheit, „die aus dem nationalen Willen hervorgegangen ist." Ein schöner nationaler Wille, diese Mehrheit der Ultramontanen mit ihren Schleppenträgern! In der dritten Lesung über den Posten eines zweiten Direktors im Aus¬ wärtigen Amte, um das gleich vorauszunehmen, stellte Windthorst die Figuren seines Pnppenspieles anders, indem er einen Teil seiner Mhrmidonen, römische sowohl als freisinnige, abkommandirte, um für die Verwilligung des vorher ver¬ weigerten Postens zu stimmen. Damit wurde erst recht deutlich, daß nicht sachliche Gründe, nicht Rücksichten der Sparsamkeit, an die ohnehin kein Mensch glaubte, die Mehrheit vom 15. Dezember bestimmt hatten, sondern der Partei¬ geist, der ans nichts andres denkt, als wie man den verhaßten Kanzler ärger», Peinigen, verfolgen kann. Die linuzs schrieb damals: „Es liegt etwas un¬ beschreiblich niedriges und unmännliches darin, einem Manne absichtlich eine persönliche Niederlage zu bereiten, dem Deutschland so viel schuldet. Wenn sich solche kleinliche Bosheit als das Ergebnis von parlamentarischen Institutionen darbietet, so flößt es einem Zweifel ein, ob man sich darauf verlassen kann, daß sie die beste Weisheit einer Nation darstellen." Als die fortschrittlichen Blätter die Entrüstung sahen, welche sich im deutscheu Volke über die Machinationen der Mehrheit deö Reichstags zeigte, da halfen sie sich mit Verhetzung. Bismarck sollte absichtlich die Sache mit dein zweiten Direktor so gelenkt haben, daß er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/205
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/205>, abgerufen am 23.12.2024.