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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden der Uirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums,

Verfassers dieser Zeilen, der Philosoph war, machte die "schlechte preußische
Philosophie" -- er meinte die Hegelsche -- für den politischen Liberalismus,
für die Revolution, kurz für alle möglichen Schäden verantwortlich. Natürlich --
einem Philosophen ist die Philosophie die Hauptsache, So ist einem Theologen
die Theologie die Hauptsache; aber so wenig durch verbesserte Philosophie Zeit¬
schäden geheilt werden, so wenig ist zu hoffen, daß durch verbesserte theologische
Studien die Übelstände in der Kirche, die gleichfalls in der Zeitlage ihre Ursache
haben, gehoben werden können.

Ich möchte anch nicht sagen: Es ist Verlegenheit gegenüber den neuen
wissenschaftlichen und sozialen Lehren und Anforderungen, welche die Geistlichen
empfinden und äußern. Es scheint mir damit zu wenig gesagt zu sein. Denn
von Verlegenheit redet man bei solchen Hindernissen, die bei einiger Klugheit
und Gewandtheit überwunden werden können. Was aber gegenwärtig vorliegt,
das find schwere Probleme, alte, unlösbare Fragen, die wieder einmal mit voller
Schärfe gestellt werden. Wenn die Predigt nicht die Wirkung hat, wie sie
sollte, wenn der Geistliche Widerstand findet, in seinen guten Absichten verkannt
wird, wenn die evangelische Kirche das Aussehen der Ermüdung zeigt, so liegt
das darin, daß die Denkweise eines großen Teiles der gebildeten und ungebildeten
Stände unsers Volkes und diejenige, auf welcher der evangelische Glaube auf¬
gebaut ist, weit auseinander klaffen. Das fühlt der Geistliche sehr Wohl und
kann es doch nicht ändern. Denn nur ein ganz kleiner Teil unter ihnen hat
die Illusion, daß eine Versöhnung der Gegensätze möglich sei und daß sich
der Glanbensinhalt dem Zeitbewußtsein anpassen könne und dürfe. Ebensowenig
Hoffnung setzt man darauf, die der Kirche entfremdeten Kreise durch dialektische
Mittel wieder zu gewinnen. Es bleibt nichts übrig, als Entsagung zu üben
und Geduld zu haben. Aber das ist nicht jedermanns Sache, am wenigsten die
Sache derer, die mit kräftigem Willen und lebhafter Empfindung begabt sind.
Der Wunsch, etwas zu schaffen, etwas fertig zu bringen, aufzubauen, führt zu
Parteiungen, zur Vielgeschäftigkeit, zur Selbsttäuschung, zum Pessimismus.

Das alte Problem, welches die Gegenwart beherrscht, ist die Frage nach
dem Maße der freien Bestimmung gegenüber der Autorität, der eignen Überzeugung
gegenüber der objektiven Lehre. Faßt man das Prinzip des Protestantismus, nach
welchem die subjektive Überzeugung der höchste Richter ist, absolut, so bedeutet
es die Verneinung jeglicher Kircheubildung, Eine objektive Unterlage der Ver¬
einigung muß da sein und ist da in dem Worte Gottes. In dem Maße, als
dies an Ansehen verlor, lockerte sich der Halt der Kirche. Aber was ist Wort
Gottes? Welches ist die zutreffende Form seines Inhaltes? Welches ist das
Minimum, das verlangt werden muß? In der verschiednen Beantwortung dieser
Fragen liegen die Differenzen des Bekenntnisses wie der Parteien.

Auch in sittlicher Beziehung ist die evangelische Kirche nicht ohne Voraus¬
setzung gegründet wordeu. Sie erstrebt das höchste sittliche Ideal, dem gegen-


Die Schäden der Uirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums,

Verfassers dieser Zeilen, der Philosoph war, machte die „schlechte preußische
Philosophie" — er meinte die Hegelsche — für den politischen Liberalismus,
für die Revolution, kurz für alle möglichen Schäden verantwortlich. Natürlich —
einem Philosophen ist die Philosophie die Hauptsache, So ist einem Theologen
die Theologie die Hauptsache; aber so wenig durch verbesserte Philosophie Zeit¬
schäden geheilt werden, so wenig ist zu hoffen, daß durch verbesserte theologische
Studien die Übelstände in der Kirche, die gleichfalls in der Zeitlage ihre Ursache
haben, gehoben werden können.

Ich möchte anch nicht sagen: Es ist Verlegenheit gegenüber den neuen
wissenschaftlichen und sozialen Lehren und Anforderungen, welche die Geistlichen
empfinden und äußern. Es scheint mir damit zu wenig gesagt zu sein. Denn
von Verlegenheit redet man bei solchen Hindernissen, die bei einiger Klugheit
und Gewandtheit überwunden werden können. Was aber gegenwärtig vorliegt,
das find schwere Probleme, alte, unlösbare Fragen, die wieder einmal mit voller
Schärfe gestellt werden. Wenn die Predigt nicht die Wirkung hat, wie sie
sollte, wenn der Geistliche Widerstand findet, in seinen guten Absichten verkannt
wird, wenn die evangelische Kirche das Aussehen der Ermüdung zeigt, so liegt
das darin, daß die Denkweise eines großen Teiles der gebildeten und ungebildeten
Stände unsers Volkes und diejenige, auf welcher der evangelische Glaube auf¬
gebaut ist, weit auseinander klaffen. Das fühlt der Geistliche sehr Wohl und
kann es doch nicht ändern. Denn nur ein ganz kleiner Teil unter ihnen hat
die Illusion, daß eine Versöhnung der Gegensätze möglich sei und daß sich
der Glanbensinhalt dem Zeitbewußtsein anpassen könne und dürfe. Ebensowenig
Hoffnung setzt man darauf, die der Kirche entfremdeten Kreise durch dialektische
Mittel wieder zu gewinnen. Es bleibt nichts übrig, als Entsagung zu üben
und Geduld zu haben. Aber das ist nicht jedermanns Sache, am wenigsten die
Sache derer, die mit kräftigem Willen und lebhafter Empfindung begabt sind.
Der Wunsch, etwas zu schaffen, etwas fertig zu bringen, aufzubauen, führt zu
Parteiungen, zur Vielgeschäftigkeit, zur Selbsttäuschung, zum Pessimismus.

Das alte Problem, welches die Gegenwart beherrscht, ist die Frage nach
dem Maße der freien Bestimmung gegenüber der Autorität, der eignen Überzeugung
gegenüber der objektiven Lehre. Faßt man das Prinzip des Protestantismus, nach
welchem die subjektive Überzeugung der höchste Richter ist, absolut, so bedeutet
es die Verneinung jeglicher Kircheubildung, Eine objektive Unterlage der Ver¬
einigung muß da sein und ist da in dem Worte Gottes. In dem Maße, als
dies an Ansehen verlor, lockerte sich der Halt der Kirche. Aber was ist Wort
Gottes? Welches ist die zutreffende Form seines Inhaltes? Welches ist das
Minimum, das verlangt werden muß? In der verschiednen Beantwortung dieser
Fragen liegen die Differenzen des Bekenntnisses wie der Parteien.

Auch in sittlicher Beziehung ist die evangelische Kirche nicht ohne Voraus¬
setzung gegründet wordeu. Sie erstrebt das höchste sittliche Ideal, dem gegen-


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[0019] Die Schäden der Uirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums, Verfassers dieser Zeilen, der Philosoph war, machte die „schlechte preußische Philosophie" — er meinte die Hegelsche — für den politischen Liberalismus, für die Revolution, kurz für alle möglichen Schäden verantwortlich. Natürlich — einem Philosophen ist die Philosophie die Hauptsache, So ist einem Theologen die Theologie die Hauptsache; aber so wenig durch verbesserte Philosophie Zeit¬ schäden geheilt werden, so wenig ist zu hoffen, daß durch verbesserte theologische Studien die Übelstände in der Kirche, die gleichfalls in der Zeitlage ihre Ursache haben, gehoben werden können. Ich möchte anch nicht sagen: Es ist Verlegenheit gegenüber den neuen wissenschaftlichen und sozialen Lehren und Anforderungen, welche die Geistlichen empfinden und äußern. Es scheint mir damit zu wenig gesagt zu sein. Denn von Verlegenheit redet man bei solchen Hindernissen, die bei einiger Klugheit und Gewandtheit überwunden werden können. Was aber gegenwärtig vorliegt, das find schwere Probleme, alte, unlösbare Fragen, die wieder einmal mit voller Schärfe gestellt werden. Wenn die Predigt nicht die Wirkung hat, wie sie sollte, wenn der Geistliche Widerstand findet, in seinen guten Absichten verkannt wird, wenn die evangelische Kirche das Aussehen der Ermüdung zeigt, so liegt das darin, daß die Denkweise eines großen Teiles der gebildeten und ungebildeten Stände unsers Volkes und diejenige, auf welcher der evangelische Glaube auf¬ gebaut ist, weit auseinander klaffen. Das fühlt der Geistliche sehr Wohl und kann es doch nicht ändern. Denn nur ein ganz kleiner Teil unter ihnen hat die Illusion, daß eine Versöhnung der Gegensätze möglich sei und daß sich der Glanbensinhalt dem Zeitbewußtsein anpassen könne und dürfe. Ebensowenig Hoffnung setzt man darauf, die der Kirche entfremdeten Kreise durch dialektische Mittel wieder zu gewinnen. Es bleibt nichts übrig, als Entsagung zu üben und Geduld zu haben. Aber das ist nicht jedermanns Sache, am wenigsten die Sache derer, die mit kräftigem Willen und lebhafter Empfindung begabt sind. Der Wunsch, etwas zu schaffen, etwas fertig zu bringen, aufzubauen, führt zu Parteiungen, zur Vielgeschäftigkeit, zur Selbsttäuschung, zum Pessimismus. Das alte Problem, welches die Gegenwart beherrscht, ist die Frage nach dem Maße der freien Bestimmung gegenüber der Autorität, der eignen Überzeugung gegenüber der objektiven Lehre. Faßt man das Prinzip des Protestantismus, nach welchem die subjektive Überzeugung der höchste Richter ist, absolut, so bedeutet es die Verneinung jeglicher Kircheubildung, Eine objektive Unterlage der Ver¬ einigung muß da sein und ist da in dem Worte Gottes. In dem Maße, als dies an Ansehen verlor, lockerte sich der Halt der Kirche. Aber was ist Wort Gottes? Welches ist die zutreffende Form seines Inhaltes? Welches ist das Minimum, das verlangt werden muß? In der verschiednen Beantwortung dieser Fragen liegen die Differenzen des Bekenntnisses wie der Parteien. Auch in sittlicher Beziehung ist die evangelische Kirche nicht ohne Voraus¬ setzung gegründet wordeu. Sie erstrebt das höchste sittliche Ideal, dem gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/19>, abgerufen am 01.07.2024.