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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden der Kirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

ist, gegen den Strom schwimmen können will. Gerade wer einen positiven
Standpunkt mit Sicherheit und Überzeugung vertreten will, muß sich mit der
kritischen Methode und den negativen Richtungen vertraut machen, damit er
sich nicht zu fürchten braucht. Oder wie will ein Pfarrer die Vertreter jener
Richtungen gewinnen, wenn er deren Denkweise mir vom Hörensagen kennt? Das
Bedenklichste an jenen gutgemeinten Ratschläge" ist, daß sie die Meinung er¬
wecken, als habe das Evangelium eine genaue und unparteiische Prüfung zu
fürchten, sodaß man mit Verdächtigungen, frommen Redensarten und Autori¬
tätssprüchen der selbständigen Entwicklung eines jungen Theologen wehren
müsse. Man soll es wissen und glauben, daß ein klarer Blick, ein gerader
Sinn und ein freies Wort Wohl zusammen wohnen können mit einem warmen,
innig frommen Herzen. Man muß es aber auch fühlen, daß die theologischen
Professoren nicht neben der Kirche, sondern in der Kirche stehen und für
dieselbe da find.

Der persönliche Verkehr des Professors mit dem Studenten ist vor allem
zu Pflegen. Es handelt sich nicht um "Fachsimpelei," noch auch um die üb¬
lichen Abfütterungen, sondern um ein Eingehen ans den Studieuverlauf des
Studenten. Es ist leider eine Thatsache, daß zwischen dem geistlichen Stande
und dem der Professoren kein freundliches Einvernehmen herrscht. Dies ist
der Wiederschein dessen, was dem geistlichen Stande das Studium gewesen
und geworden ist. Der Pfarrer hat viel weniger das Bewußtsein von dem
gewinnen können, was ihm und seiner Lebensaufgabe die Universitäten gewesen
sind, als vielmehr von dem, was sie verfehlt haben. Pfarramt und theologische
Fakultät sollen mit einander handeln und für einander dasein.

In die Darstellung der theologischen Disziplinen folgen wir dem Verfasser
nicht, dies hat nnr theologisches Interesse. Wir können nicht leugnen, daß
seine Darstellung treffend ist, und daß sie Schäden berührt, die nicht allein
die theologische Fakultät, sondern auch andre betreffen. Aber alles dies zu¬
gegeben, müssen wir doch fragen, ob den kirchlichen Übelständen wirklich durch
eine Besserung des theologischen Studiums abgeholfen werden könnte.

Der Verfasser ist der Ansicht, daß die Universität auf das zukünftige Amt
vorzubereiten habe. Das ist jedoch nur in eingeschränkten Maße zuzugeben.
Das beste, was der Pfarrer braucht, kann er auf der Universität überhaupt
nicht lernen. Die Universität giebt theoretisches Wissen und lehrt, wie man
das andre lernen kann. Hierfür ist jedoch kein Buch, kein Kolleg, sondern nur
Erfahrung, nur das praktische Leben Lehrerin. Auch der Richter hat von seinen
Universitcitsstndien keine direkte Vorbereitung zum praktischen Amte. Diese
folgt später; aber die Universitätsstudien geben die allgemeinen wissenschaft¬
lichen Unterlagen. So sehr nun auch wünschenswert ist, daß die Studien in
der oben angezeigten Weise gehoben und gebessert werden, so ist doch damit das
für das praktische Amt erforderliche noch immer nicht erreicht. Der Vater des


Die Schäden der Kirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

ist, gegen den Strom schwimmen können will. Gerade wer einen positiven
Standpunkt mit Sicherheit und Überzeugung vertreten will, muß sich mit der
kritischen Methode und den negativen Richtungen vertraut machen, damit er
sich nicht zu fürchten braucht. Oder wie will ein Pfarrer die Vertreter jener
Richtungen gewinnen, wenn er deren Denkweise mir vom Hörensagen kennt? Das
Bedenklichste an jenen gutgemeinten Ratschläge» ist, daß sie die Meinung er¬
wecken, als habe das Evangelium eine genaue und unparteiische Prüfung zu
fürchten, sodaß man mit Verdächtigungen, frommen Redensarten und Autori¬
tätssprüchen der selbständigen Entwicklung eines jungen Theologen wehren
müsse. Man soll es wissen und glauben, daß ein klarer Blick, ein gerader
Sinn und ein freies Wort Wohl zusammen wohnen können mit einem warmen,
innig frommen Herzen. Man muß es aber auch fühlen, daß die theologischen
Professoren nicht neben der Kirche, sondern in der Kirche stehen und für
dieselbe da find.

Der persönliche Verkehr des Professors mit dem Studenten ist vor allem
zu Pflegen. Es handelt sich nicht um „Fachsimpelei," noch auch um die üb¬
lichen Abfütterungen, sondern um ein Eingehen ans den Studieuverlauf des
Studenten. Es ist leider eine Thatsache, daß zwischen dem geistlichen Stande
und dem der Professoren kein freundliches Einvernehmen herrscht. Dies ist
der Wiederschein dessen, was dem geistlichen Stande das Studium gewesen
und geworden ist. Der Pfarrer hat viel weniger das Bewußtsein von dem
gewinnen können, was ihm und seiner Lebensaufgabe die Universitäten gewesen
sind, als vielmehr von dem, was sie verfehlt haben. Pfarramt und theologische
Fakultät sollen mit einander handeln und für einander dasein.

In die Darstellung der theologischen Disziplinen folgen wir dem Verfasser
nicht, dies hat nnr theologisches Interesse. Wir können nicht leugnen, daß
seine Darstellung treffend ist, und daß sie Schäden berührt, die nicht allein
die theologische Fakultät, sondern auch andre betreffen. Aber alles dies zu¬
gegeben, müssen wir doch fragen, ob den kirchlichen Übelständen wirklich durch
eine Besserung des theologischen Studiums abgeholfen werden könnte.

Der Verfasser ist der Ansicht, daß die Universität auf das zukünftige Amt
vorzubereiten habe. Das ist jedoch nur in eingeschränkten Maße zuzugeben.
Das beste, was der Pfarrer braucht, kann er auf der Universität überhaupt
nicht lernen. Die Universität giebt theoretisches Wissen und lehrt, wie man
das andre lernen kann. Hierfür ist jedoch kein Buch, kein Kolleg, sondern nur
Erfahrung, nur das praktische Leben Lehrerin. Auch der Richter hat von seinen
Universitcitsstndien keine direkte Vorbereitung zum praktischen Amte. Diese
folgt später; aber die Universitätsstudien geben die allgemeinen wissenschaft¬
lichen Unterlagen. So sehr nun auch wünschenswert ist, daß die Studien in
der oben angezeigten Weise gehoben und gebessert werden, so ist doch damit das
für das praktische Amt erforderliche noch immer nicht erreicht. Der Vater des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/18>, abgerufen am 01.07.2024.