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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Goethe als Pädagog.

blieben sein kann. Schelling rühmte, daß aus dem Faustfragmente von 179")
für alle Wissenschaften wie für die Philosophie verjüngende Kraft sich er¬
gieße; sollte sein Schöpfer wirklich kein Organ für Philosophie gehabt haben?
liegt seinem Naturstudium nicht ein philosophischer Trieb zu Grunde?*)
Mangel an historischem Sinne hat man, seit Niebuhrs Tadel des italie¬
nischen Reiseberichtes bekannt geworden ist, Goethe immer wieder vorgeworfen.
Es ist gewiß einer der unberechtigtsten Vorwürfe von allen, die je gegen einen
großen Mann erhoben worden sind. Gerade in der italienischen Reise, die
ihm zuerst diese Vorwürfe zugezogen hat, bethätigt sich sein historischer Sinn.
In den Tagebüchern und Briefen, den Grundlagen der Reisebeschreibung, welche
die Goethegesellschaft uun herausgegeben hat, ruft er in immer wieder neuer
Begeisterung aus: "Wie mir die Römische Geschichte eutgegensteigt." "Hundert-
snttig steigen die Geister der Geschichte aus dem Grabe, und zeigen mir ihre
wahre Gestalt." "Die Römische Geschichte wird mir, als wenn ich dabei ge¬
wesen wäre. Wie will ich sie studiren, wenn ich zurückkomme." Ans Goethes
Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller sollte ja längst sein Ausspruch
(28. Mai 182 3) bekannt sein: "Ich kann mich jetzt mit allem diesem Zeug und
Detail nicht mehr abgeben; aber ich weiß Wohl, was an jedem dieser Staaten
war und halte die Hauptumrisse aller jener Zustände fest in mir." Ich muß
gestehe", es erscheint mir fast widersinnig, erst beweisen zu wollen, daß der Ver¬
fasser von "Dichtung und Wahrheit" und der -- leider so wenig beachteten --
"Geschichte der Farbenlehre" historischen Sinn gehabt habe, allein wenn in
einem so gründlichen und tüchtigen Buche, als welches Laugguths Arbeit zu
rühmen ist, mit aufrichtiger Bewunderung Goethes sich ein solches Verkennen
seines Wesens mischt, so ist es jn wohl nötig, auch das hellste Licht noch mit
kritischem Lämpchen zu erleuchten. Eine ironische Strafe für den Verfasser
möchte ich es nennen, daß er, nachdem er Goethe das Organ für Philosophie
abgesprochen hat, im Kreis der Gedanken und Empfindung eines Klopstock
Spinozismus finden will. Der bibclglänbige Sänger des "Messias" stand Spinoza
völlig unberührt ferne. Für die Freunde der verschiednen Deutungen des Sa-
tyrvs. das halbe Dutzend der aufgefundenen Originale ist ja wohl schon voll,
darf nicht unerwähnt bleiben, daß Langguth es für möglich hält, "Voltaire
mit seinem Haß gegen alle positive Religion dahinter zu suchen." Man braucht
nur an Satyrvs' Verherrlichung des Natürlichen (rohe .Kastanien, Nacktheit) zu
erinnern, um diese Deutung als schwer möglich anzweifeln zu müssen.

Es wäre aber ungerecht, wollte ich einzelne Nebensachen, in denen der
Verfasser zu irren scheint, besonders hervorheben, statt das wirklich Verdienst¬
liche seiner Arbeit im ganzen anzuerkennen. Mit großer Sachkenntnis sowohl



") Vergl. gegenüber solchen mit Dubois-Reynwnds Beschuldigung verwandten Behaup¬
tungen die Schrift Rudolf StcincrS: "Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goethischen
Weltanschauung init besondrer Rücksicht ans Schiller/' Berlin und Stuttgart, 1386.
Goethe als Pädagog.

blieben sein kann. Schelling rühmte, daß aus dem Faustfragmente von 179«)
für alle Wissenschaften wie für die Philosophie verjüngende Kraft sich er¬
gieße; sollte sein Schöpfer wirklich kein Organ für Philosophie gehabt haben?
liegt seinem Naturstudium nicht ein philosophischer Trieb zu Grunde?*)
Mangel an historischem Sinne hat man, seit Niebuhrs Tadel des italie¬
nischen Reiseberichtes bekannt geworden ist, Goethe immer wieder vorgeworfen.
Es ist gewiß einer der unberechtigtsten Vorwürfe von allen, die je gegen einen
großen Mann erhoben worden sind. Gerade in der italienischen Reise, die
ihm zuerst diese Vorwürfe zugezogen hat, bethätigt sich sein historischer Sinn.
In den Tagebüchern und Briefen, den Grundlagen der Reisebeschreibung, welche
die Goethegesellschaft uun herausgegeben hat, ruft er in immer wieder neuer
Begeisterung aus: „Wie mir die Römische Geschichte eutgegensteigt." „Hundert-
snttig steigen die Geister der Geschichte aus dem Grabe, und zeigen mir ihre
wahre Gestalt." „Die Römische Geschichte wird mir, als wenn ich dabei ge¬
wesen wäre. Wie will ich sie studiren, wenn ich zurückkomme." Ans Goethes
Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller sollte ja längst sein Ausspruch
(28. Mai 182 3) bekannt sein: „Ich kann mich jetzt mit allem diesem Zeug und
Detail nicht mehr abgeben; aber ich weiß Wohl, was an jedem dieser Staaten
war und halte die Hauptumrisse aller jener Zustände fest in mir." Ich muß
gestehe», es erscheint mir fast widersinnig, erst beweisen zu wollen, daß der Ver¬
fasser von „Dichtung und Wahrheit" und der — leider so wenig beachteten —
„Geschichte der Farbenlehre" historischen Sinn gehabt habe, allein wenn in
einem so gründlichen und tüchtigen Buche, als welches Laugguths Arbeit zu
rühmen ist, mit aufrichtiger Bewunderung Goethes sich ein solches Verkennen
seines Wesens mischt, so ist es jn wohl nötig, auch das hellste Licht noch mit
kritischem Lämpchen zu erleuchten. Eine ironische Strafe für den Verfasser
möchte ich es nennen, daß er, nachdem er Goethe das Organ für Philosophie
abgesprochen hat, im Kreis der Gedanken und Empfindung eines Klopstock
Spinozismus finden will. Der bibclglänbige Sänger des „Messias" stand Spinoza
völlig unberührt ferne. Für die Freunde der verschiednen Deutungen des Sa-
tyrvs. das halbe Dutzend der aufgefundenen Originale ist ja wohl schon voll,
darf nicht unerwähnt bleiben, daß Langguth es für möglich hält, „Voltaire
mit seinem Haß gegen alle positive Religion dahinter zu suchen." Man braucht
nur an Satyrvs' Verherrlichung des Natürlichen (rohe .Kastanien, Nacktheit) zu
erinnern, um diese Deutung als schwer möglich anzweifeln zu müssen.

Es wäre aber ungerecht, wollte ich einzelne Nebensachen, in denen der
Verfasser zu irren scheint, besonders hervorheben, statt das wirklich Verdienst¬
liche seiner Arbeit im ganzen anzuerkennen. Mit großer Sachkenntnis sowohl



») Vergl. gegenüber solchen mit Dubois-Reynwnds Beschuldigung verwandten Behaup¬
tungen die Schrift Rudolf StcincrS: „Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goethischen
Weltanschauung init besondrer Rücksicht ans Schiller/' Berlin und Stuttgart, 1386.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/183>, abgerufen am 01.10.2024.