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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Glossen eines Deutschen im Auslande,

im Gebiete der Pädagogik als der Goctheliteratur hat Langgut!) seine nicht
leichte Aufgabe gründlich erfaßt und in übersichtlich abgerundeter Darstellung
durchgeführt. Wenn auch nach ihm Goethes Pädagogik noch manche weitere
Beleuchtung erfahren wird und muß, so wird seine Arbeit doch nicht nur den
Ausgangspunkt jeder weiteren Untersuchung bilden, sondern ihr auch das Ver¬
dienst verbleiben, eine bedeutende Seite in Goethes Wesen und Thätigkeit zum
erstenmale in einer dem Gegenstände entsprechenden Weise behandelt zu haben,


Max Roch.


Glossen eines Deutschen im Auslande.

as Gefühl des Stolzes auf unsre Nation, durch welches wir uns
seit 1870 gehoben fühlten, hat sich im Laufe der Jahre einiger¬
maßen abgeschwächt. Wer Gelegenheit hat, von Zeit zu Zeit die
Dinge in der alten Heimat mit eignen Augen anzuschauen, weiß
ZU^, wohl, daß es im großen und ganzen besser steht, als man es sich
in der Ferne vorstellt. Aber die meisten sind darauf angewiesen, ihre Kenntnis
aus Zeitungsberichten zu schöpfen, welche ein richtiges Bild nicht gewähren
können, auch wenn sie die Absicht haben -- was ja durchaus nicht immer der
Fall ist. Fremde Blätter nehmen mir von denjenigen Vorgängen Notiz, für
welche sie bei ihren Landsleuten ein lebhafteres Interesse voraussetzen, und be¬
sprechen sie naturgemäß von ihrem Parteistandpnnt't ans; deutsche zu lesen, ent¬
wöhnt man sich schnell. Denn der Boden, ans dem man steht, die Luft, die
man atmet, machen gar bald ihre Rechte geltend, wenn man sich nicht bloß als
Reisender in dem fremden Lande fühlt, und in den heimatlichen Angelegenheiten
wird allmählich manches unverständlich, weil die Entwicklung nie stillcsteht, sich
stets neue Verhältnisse bilden. Und so geraten die meisten Deutschen im Aus¬
lande, ohne es zu wollen, selbst auf den Standpunkt der Ausländer, sich nur
noch um "sensationelle" Ereignisse zu kümmern. Doch auch bei regerer und
treuerer Anhänglichkeit und dem ausdauernden Bemühen, den Gang des öffent¬
lichen Lebens in Deutschland Schritt für Schritt zu verfolgen, bleiben wir viel¬
fältigen Täuschungen ausgesetzt, die erst zerrinnen, wenn einmal wieder die
lebendige Menschenstimme ans unserm Volke an das Ohr schlägt.

Was Wunder also, daß die einen beschämt nichts zu antworten wissen,
die andern mit ihrer Einrede keinen Glaube" finden, wenn der Ausländer -- teil¬
nehmend oder hämisch -- spricht: "Völker unterwerfen, Reiche zertrümmern
konnten die Gothen, aber nicht dauernde Staatswesen schaffen; die Deutschen
sind ein kriegerisches, doch kein politisches Volk!" Was Wunder, daß dem
Deutschen bei dem Gedanken an die hohen Jahre der Gründer des neuen Reiches


Glossen eines Deutschen im Auslande,

im Gebiete der Pädagogik als der Goctheliteratur hat Langgut!) seine nicht
leichte Aufgabe gründlich erfaßt und in übersichtlich abgerundeter Darstellung
durchgeführt. Wenn auch nach ihm Goethes Pädagogik noch manche weitere
Beleuchtung erfahren wird und muß, so wird seine Arbeit doch nicht nur den
Ausgangspunkt jeder weiteren Untersuchung bilden, sondern ihr auch das Ver¬
dienst verbleiben, eine bedeutende Seite in Goethes Wesen und Thätigkeit zum
erstenmale in einer dem Gegenstände entsprechenden Weise behandelt zu haben,


Max Roch.


Glossen eines Deutschen im Auslande.

as Gefühl des Stolzes auf unsre Nation, durch welches wir uns
seit 1870 gehoben fühlten, hat sich im Laufe der Jahre einiger¬
maßen abgeschwächt. Wer Gelegenheit hat, von Zeit zu Zeit die
Dinge in der alten Heimat mit eignen Augen anzuschauen, weiß
ZU^, wohl, daß es im großen und ganzen besser steht, als man es sich
in der Ferne vorstellt. Aber die meisten sind darauf angewiesen, ihre Kenntnis
aus Zeitungsberichten zu schöpfen, welche ein richtiges Bild nicht gewähren
können, auch wenn sie die Absicht haben — was ja durchaus nicht immer der
Fall ist. Fremde Blätter nehmen mir von denjenigen Vorgängen Notiz, für
welche sie bei ihren Landsleuten ein lebhafteres Interesse voraussetzen, und be¬
sprechen sie naturgemäß von ihrem Parteistandpnnt't ans; deutsche zu lesen, ent¬
wöhnt man sich schnell. Denn der Boden, ans dem man steht, die Luft, die
man atmet, machen gar bald ihre Rechte geltend, wenn man sich nicht bloß als
Reisender in dem fremden Lande fühlt, und in den heimatlichen Angelegenheiten
wird allmählich manches unverständlich, weil die Entwicklung nie stillcsteht, sich
stets neue Verhältnisse bilden. Und so geraten die meisten Deutschen im Aus¬
lande, ohne es zu wollen, selbst auf den Standpunkt der Ausländer, sich nur
noch um „sensationelle" Ereignisse zu kümmern. Doch auch bei regerer und
treuerer Anhänglichkeit und dem ausdauernden Bemühen, den Gang des öffent¬
lichen Lebens in Deutschland Schritt für Schritt zu verfolgen, bleiben wir viel¬
fältigen Täuschungen ausgesetzt, die erst zerrinnen, wenn einmal wieder die
lebendige Menschenstimme ans unserm Volke an das Ohr schlägt.

Was Wunder also, daß die einen beschämt nichts zu antworten wissen,
die andern mit ihrer Einrede keinen Glaube» finden, wenn der Ausländer — teil¬
nehmend oder hämisch — spricht: „Völker unterwerfen, Reiche zertrümmern
konnten die Gothen, aber nicht dauernde Staatswesen schaffen; die Deutschen
sind ein kriegerisches, doch kein politisches Volk!" Was Wunder, daß dem
Deutschen bei dem Gedanken an die hohen Jahre der Gründer des neuen Reiches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/184>, abgerufen am 23.12.2024.