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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymnasialunterricht und Fachbildung.

entgegengewirkt werden kann, so würden sich zur Beruhigung besorgter Eltern
mich gewiß leicht Privatanstalten bilden, welche dem Schulabitnrienten während
der ersten Semester ein geeignetes Unterkommen und eine passende Überwachung
böten. Solche Seminarien, ähnlich den englischen (XtllLg'W, existiren bereits in
Deutschland fiir protestantische Theologen. Ihre Vermehrung und Erweiterung
würde sich von selbst ergeben, sobald die Universitäten für Studenten eines
jugendlichen! Alters zugänglich gemacht würden. Das? diese Pensionate, deren
Hausordnung uicht so sireug sein darf, um einen ungezwungenen studentischen
Verkehr zu hindert!, einen sehr zweckmäßigen Übergang zwischen der beengten
Schnlatmosphäre und der jetzigen Ungebundenheit des akademischen Treibens
bilden würde, kann nicht geleugnet werden. Gerade der unvermittelte Sprung
in das Studententnm ist für den Schulabitnrienten bedenklich und nicht selten
für Geist und Körper desselben gefährlich: Freiheit ist nicht gleichbedeutend
mit Schrankenlosigkeit. Die erziehliche Wirkung der Korps und der Burschen¬
schafter darf man nicht allzuhoch anschlagen. Außerdem fristen dieselben in den
größern Städten nur noch ein Scheinleben. Hand in Hand mit den Pensionaten
für jüngere Studenten würde sich zweckmäßig eine Erweiterung der schon be-
stehenden Seminare verbinden, welche ein engeres Band zwischen den Professoren
und Studenten knüpfen, und deren praktischer Nutzen allgemein anerkannt ist.
Aber alle diese Modifikationen des Unterrichts auf der Hochschule fallen außerhalb
des Nahmens dieser Untersuchung. Sie werden sich zweifellos von selbst er¬
geben, sobald die Schule mit der Reform vorangegangen wäre.

Wir hätten es also -- um es kurz zusammenzufassen -- mit einem Ein-
heitsghmnasium zu thun, dem unter größerer Berücksichtigung der realen Fächer
doch der humanistische Grundgedanke gewahrt bleibt, das den Schüler im zehnten
Lebensjahre aufnimmt und im siebzehnten entläßt, dessen Abgangszeugnis alle
Berechtigungen gewährt, welche das heutige Gymnasium besitzt und das Real¬
gymnasium erstrebt, und das in seiner Selekta für die Fortsetzung philologischer
Studien passende Gelegenheit bietet. Die jetzigen Realgymnasien würden natür¬
lich in dieser Einheitsschule für gelehrten Unterricht aufgehen.

Die Frage ist nun, ob die darin zu erreichende Bildungsstufe als aus¬
reichend für den Übergang zum höhern Unterricht angesehen werden darf. Ich
glaube, diese Frage ist unbedingt zu bejahen, sobald sich der Lehrplan dein
neuen System anbequemt und alles aus demselben verbannt wird, was sich
als Fachbildung, wenn auch nur in seinen Anfängen, erweist. Ich glaube, da>j
es für einen Einiritt in die gebildeten Stände und für die Anforderungen des
praktischen Lebens vollkommen ausreicht, wenn die Kenntnis der beiden klassischen
Sprachen so weit geführt wird, daß Homer und die griechischen Historiker,
Cicero, Livius, Virgil und einige Oden von Horaz gelesen und verstanden
werden. Eine Beherrschung dieser Sprachen soll und darf garnicht gefordert
werden. Sie wird auch jetzt in der Prima nicht entfernt erreicht. Ein


Gymnasialunterricht und Fachbildung.

entgegengewirkt werden kann, so würden sich zur Beruhigung besorgter Eltern
mich gewiß leicht Privatanstalten bilden, welche dem Schulabitnrienten während
der ersten Semester ein geeignetes Unterkommen und eine passende Überwachung
böten. Solche Seminarien, ähnlich den englischen (XtllLg'W, existiren bereits in
Deutschland fiir protestantische Theologen. Ihre Vermehrung und Erweiterung
würde sich von selbst ergeben, sobald die Universitäten für Studenten eines
jugendlichen! Alters zugänglich gemacht würden. Das? diese Pensionate, deren
Hausordnung uicht so sireug sein darf, um einen ungezwungenen studentischen
Verkehr zu hindert!, einen sehr zweckmäßigen Übergang zwischen der beengten
Schnlatmosphäre und der jetzigen Ungebundenheit des akademischen Treibens
bilden würde, kann nicht geleugnet werden. Gerade der unvermittelte Sprung
in das Studententnm ist für den Schulabitnrienten bedenklich und nicht selten
für Geist und Körper desselben gefährlich: Freiheit ist nicht gleichbedeutend
mit Schrankenlosigkeit. Die erziehliche Wirkung der Korps und der Burschen¬
schafter darf man nicht allzuhoch anschlagen. Außerdem fristen dieselben in den
größern Städten nur noch ein Scheinleben. Hand in Hand mit den Pensionaten
für jüngere Studenten würde sich zweckmäßig eine Erweiterung der schon be-
stehenden Seminare verbinden, welche ein engeres Band zwischen den Professoren
und Studenten knüpfen, und deren praktischer Nutzen allgemein anerkannt ist.
Aber alle diese Modifikationen des Unterrichts auf der Hochschule fallen außerhalb
des Nahmens dieser Untersuchung. Sie werden sich zweifellos von selbst er¬
geben, sobald die Schule mit der Reform vorangegangen wäre.

Wir hätten es also — um es kurz zusammenzufassen — mit einem Ein-
heitsghmnasium zu thun, dem unter größerer Berücksichtigung der realen Fächer
doch der humanistische Grundgedanke gewahrt bleibt, das den Schüler im zehnten
Lebensjahre aufnimmt und im siebzehnten entläßt, dessen Abgangszeugnis alle
Berechtigungen gewährt, welche das heutige Gymnasium besitzt und das Real¬
gymnasium erstrebt, und das in seiner Selekta für die Fortsetzung philologischer
Studien passende Gelegenheit bietet. Die jetzigen Realgymnasien würden natür¬
lich in dieser Einheitsschule für gelehrten Unterricht aufgehen.

Die Frage ist nun, ob die darin zu erreichende Bildungsstufe als aus¬
reichend für den Übergang zum höhern Unterricht angesehen werden darf. Ich
glaube, diese Frage ist unbedingt zu bejahen, sobald sich der Lehrplan dein
neuen System anbequemt und alles aus demselben verbannt wird, was sich
als Fachbildung, wenn auch nur in seinen Anfängen, erweist. Ich glaube, da>j
es für einen Einiritt in die gebildeten Stände und für die Anforderungen des
praktischen Lebens vollkommen ausreicht, wenn die Kenntnis der beiden klassischen
Sprachen so weit geführt wird, daß Homer und die griechischen Historiker,
Cicero, Livius, Virgil und einige Oden von Horaz gelesen und verstanden
werden. Eine Beherrschung dieser Sprachen soll und darf garnicht gefordert
werden. Sie wird auch jetzt in der Prima nicht entfernt erreicht. Ein


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[0173] Gymnasialunterricht und Fachbildung. entgegengewirkt werden kann, so würden sich zur Beruhigung besorgter Eltern mich gewiß leicht Privatanstalten bilden, welche dem Schulabitnrienten während der ersten Semester ein geeignetes Unterkommen und eine passende Überwachung böten. Solche Seminarien, ähnlich den englischen (XtllLg'W, existiren bereits in Deutschland fiir protestantische Theologen. Ihre Vermehrung und Erweiterung würde sich von selbst ergeben, sobald die Universitäten für Studenten eines jugendlichen! Alters zugänglich gemacht würden. Das? diese Pensionate, deren Hausordnung uicht so sireug sein darf, um einen ungezwungenen studentischen Verkehr zu hindert!, einen sehr zweckmäßigen Übergang zwischen der beengten Schnlatmosphäre und der jetzigen Ungebundenheit des akademischen Treibens bilden würde, kann nicht geleugnet werden. Gerade der unvermittelte Sprung in das Studententnm ist für den Schulabitnrienten bedenklich und nicht selten für Geist und Körper desselben gefährlich: Freiheit ist nicht gleichbedeutend mit Schrankenlosigkeit. Die erziehliche Wirkung der Korps und der Burschen¬ schafter darf man nicht allzuhoch anschlagen. Außerdem fristen dieselben in den größern Städten nur noch ein Scheinleben. Hand in Hand mit den Pensionaten für jüngere Studenten würde sich zweckmäßig eine Erweiterung der schon be- stehenden Seminare verbinden, welche ein engeres Band zwischen den Professoren und Studenten knüpfen, und deren praktischer Nutzen allgemein anerkannt ist. Aber alle diese Modifikationen des Unterrichts auf der Hochschule fallen außerhalb des Nahmens dieser Untersuchung. Sie werden sich zweifellos von selbst er¬ geben, sobald die Schule mit der Reform vorangegangen wäre. Wir hätten es also — um es kurz zusammenzufassen — mit einem Ein- heitsghmnasium zu thun, dem unter größerer Berücksichtigung der realen Fächer doch der humanistische Grundgedanke gewahrt bleibt, das den Schüler im zehnten Lebensjahre aufnimmt und im siebzehnten entläßt, dessen Abgangszeugnis alle Berechtigungen gewährt, welche das heutige Gymnasium besitzt und das Real¬ gymnasium erstrebt, und das in seiner Selekta für die Fortsetzung philologischer Studien passende Gelegenheit bietet. Die jetzigen Realgymnasien würden natür¬ lich in dieser Einheitsschule für gelehrten Unterricht aufgehen. Die Frage ist nun, ob die darin zu erreichende Bildungsstufe als aus¬ reichend für den Übergang zum höhern Unterricht angesehen werden darf. Ich glaube, diese Frage ist unbedingt zu bejahen, sobald sich der Lehrplan dein neuen System anbequemt und alles aus demselben verbannt wird, was sich als Fachbildung, wenn auch nur in seinen Anfängen, erweist. Ich glaube, da>j es für einen Einiritt in die gebildeten Stände und für die Anforderungen des praktischen Lebens vollkommen ausreicht, wenn die Kenntnis der beiden klassischen Sprachen so weit geführt wird, daß Homer und die griechischen Historiker, Cicero, Livius, Virgil und einige Oden von Horaz gelesen und verstanden werden. Eine Beherrschung dieser Sprachen soll und darf garnicht gefordert werden. Sie wird auch jetzt in der Prima nicht entfernt erreicht. Ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/173>, abgerufen am 23.12.2024.