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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymnasialuntorricht und Fachbildung.

Bildung werde. Daß wir unter dieser Bildung heutzutage etwas andres ver¬
stehen, als was zu Anfang des Jahrhunderts damit bezeichnet wurde, wird
wohl nicht bestritten werden. Weit schwieriger dürfte es sein, genau zu be¬
stimmen, welches Maß vo" Wissen, welcher Grad von Gedankenschärfe und
Urteilsfähigkeit dazu gehört. Und doch muß diese Linie, die den wahrhaft
Gebildeten vom Ungebildeten oder Halbgebildeten trennt, gesunde" werden, ja
sie muß so genau bezeichnet werden, daß sie sich bei einer Prüfung abmessen
nud sich ein Urteil über die Befähigung des zu Prüfenden in einem Zeugnis
aussprechen läßt. In der Natur dieser Prüfung liegt es, daß sie nur das
Minimum bezeichnet dessen, was der Abiturient an allgemeiner Bildung besitzen
muß. Niemand wird behaupten, daß das Bildnngswerl damit abgeschlossen sei
und nicht vielmehr unablässig daran weitergearbeitet werden müsse. Aber das
Minimum muß festgestellt sein, wenn wir von einem Stande der Gebildeten
reden "vollen, und wenn der Befähigungsnachweis, wie dies nun einmal in unserm
Staatsleben der Fall ist, für die Erlangung gewisser Ämter verlangt wird.

Bei der Festsetzung eines Maßes von allgemeiner Bildung wird es sich
in erster Linie um die intellektuelle Bildung handeln, und hierfür die Verteilung
des Lehrstoffes bestimmend sein. Die Kunst, einen geeigneten Lehrplan aufzu¬
stellen, würde also nur darin bestehe", die einzelnen Unterrichtsstoffe so zu ver¬
teilen, daß sie der Fassungsgabe der verschiednen Altersstufen angepaßt wären.
Aber hieran gerade haftet der Streit der Meinungen, und er wird sich noch
mehr verschärfen, wenn die Ermittlung dessen, was das Minimum der höher",
allgemeinen Bildung ausmacht, in Angriff genommen werden sollte. Ich würde
sogar bezweifeln, daß eine Einigung darüber in den Reihen der Fachmänner
sowohl wie des Laienpublikums jemals erzielt werden könnte, hätte nicht der Staat
bereits hierin die Initiative ergriffen und in der Befähigung zum einjährigen
Freiwilligendienst ein Bildungsmaß aufgestellt, das immerhin als Anhaltepunkt
dienen kann und jedenfalls schon heute als Norm sür die Bilduugsgrenze zweier
Mannschaftsklasscn gilt. Es ist durch diese Bevorrechtung einer intelligenten
Klasse gesetzlich anerkannt, daß die Leistungen ihrer Mitglieder auf wissenschaft¬
lichem oder dem höhern technischen Gebiete, nicht aber in der mechanischen
Arbeit erwartet werden, und damit die Grenze gezogen zwischen einer höhern
und niedern Bildungsstufe. Diese Greuze ist bestimmt worden durch die Rück¬
sichten auf die wissenschaftlichen Berufszweige, denen man die Militärpflicht
erleichtern wollte, anderseits aber auch durch die Bedürfnisse der Armee, welcher
ein geeignetes Personal für die Neserveoffiziersstellen zugeführt wird. That¬
sächlich stellt sich mithin heraus, daß der Bildungsgrad, den das Abgangs¬
zeugnis von der Untersekunda nachweist oder doch nachweise" soll, als ausreichend
für den Eintritt i" ein Offizierkorps angesehen wird und auf diesem Wege die
Mitgliedschaft einer Korporation der höhern und gebildeten Stände gewonnen
werden kann. Denn die militärische Befähigung zum Reserveoffizier bleibt für


Gymnasialuntorricht und Fachbildung.

Bildung werde. Daß wir unter dieser Bildung heutzutage etwas andres ver¬
stehen, als was zu Anfang des Jahrhunderts damit bezeichnet wurde, wird
wohl nicht bestritten werden. Weit schwieriger dürfte es sein, genau zu be¬
stimmen, welches Maß vo» Wissen, welcher Grad von Gedankenschärfe und
Urteilsfähigkeit dazu gehört. Und doch muß diese Linie, die den wahrhaft
Gebildeten vom Ungebildeten oder Halbgebildeten trennt, gesunde» werden, ja
sie muß so genau bezeichnet werden, daß sie sich bei einer Prüfung abmessen
nud sich ein Urteil über die Befähigung des zu Prüfenden in einem Zeugnis
aussprechen läßt. In der Natur dieser Prüfung liegt es, daß sie nur das
Minimum bezeichnet dessen, was der Abiturient an allgemeiner Bildung besitzen
muß. Niemand wird behaupten, daß das Bildnngswerl damit abgeschlossen sei
und nicht vielmehr unablässig daran weitergearbeitet werden müsse. Aber das
Minimum muß festgestellt sein, wenn wir von einem Stande der Gebildeten
reden »vollen, und wenn der Befähigungsnachweis, wie dies nun einmal in unserm
Staatsleben der Fall ist, für die Erlangung gewisser Ämter verlangt wird.

Bei der Festsetzung eines Maßes von allgemeiner Bildung wird es sich
in erster Linie um die intellektuelle Bildung handeln, und hierfür die Verteilung
des Lehrstoffes bestimmend sein. Die Kunst, einen geeigneten Lehrplan aufzu¬
stellen, würde also nur darin bestehe», die einzelnen Unterrichtsstoffe so zu ver¬
teilen, daß sie der Fassungsgabe der verschiednen Altersstufen angepaßt wären.
Aber hieran gerade haftet der Streit der Meinungen, und er wird sich noch
mehr verschärfen, wenn die Ermittlung dessen, was das Minimum der höher»,
allgemeinen Bildung ausmacht, in Angriff genommen werden sollte. Ich würde
sogar bezweifeln, daß eine Einigung darüber in den Reihen der Fachmänner
sowohl wie des Laienpublikums jemals erzielt werden könnte, hätte nicht der Staat
bereits hierin die Initiative ergriffen und in der Befähigung zum einjährigen
Freiwilligendienst ein Bildungsmaß aufgestellt, das immerhin als Anhaltepunkt
dienen kann und jedenfalls schon heute als Norm sür die Bilduugsgrenze zweier
Mannschaftsklasscn gilt. Es ist durch diese Bevorrechtung einer intelligenten
Klasse gesetzlich anerkannt, daß die Leistungen ihrer Mitglieder auf wissenschaft¬
lichem oder dem höhern technischen Gebiete, nicht aber in der mechanischen
Arbeit erwartet werden, und damit die Grenze gezogen zwischen einer höhern
und niedern Bildungsstufe. Diese Greuze ist bestimmt worden durch die Rück¬
sichten auf die wissenschaftlichen Berufszweige, denen man die Militärpflicht
erleichtern wollte, anderseits aber auch durch die Bedürfnisse der Armee, welcher
ein geeignetes Personal für die Neserveoffiziersstellen zugeführt wird. That¬
sächlich stellt sich mithin heraus, daß der Bildungsgrad, den das Abgangs¬
zeugnis von der Untersekunda nachweist oder doch nachweise» soll, als ausreichend
für den Eintritt i» ein Offizierkorps angesehen wird und auf diesem Wege die
Mitgliedschaft einer Korporation der höhern und gebildeten Stände gewonnen
werden kann. Denn die militärische Befähigung zum Reserveoffizier bleibt für


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[0126] Gymnasialuntorricht und Fachbildung. Bildung werde. Daß wir unter dieser Bildung heutzutage etwas andres ver¬ stehen, als was zu Anfang des Jahrhunderts damit bezeichnet wurde, wird wohl nicht bestritten werden. Weit schwieriger dürfte es sein, genau zu be¬ stimmen, welches Maß vo» Wissen, welcher Grad von Gedankenschärfe und Urteilsfähigkeit dazu gehört. Und doch muß diese Linie, die den wahrhaft Gebildeten vom Ungebildeten oder Halbgebildeten trennt, gesunde» werden, ja sie muß so genau bezeichnet werden, daß sie sich bei einer Prüfung abmessen nud sich ein Urteil über die Befähigung des zu Prüfenden in einem Zeugnis aussprechen läßt. In der Natur dieser Prüfung liegt es, daß sie nur das Minimum bezeichnet dessen, was der Abiturient an allgemeiner Bildung besitzen muß. Niemand wird behaupten, daß das Bildnngswerl damit abgeschlossen sei und nicht vielmehr unablässig daran weitergearbeitet werden müsse. Aber das Minimum muß festgestellt sein, wenn wir von einem Stande der Gebildeten reden »vollen, und wenn der Befähigungsnachweis, wie dies nun einmal in unserm Staatsleben der Fall ist, für die Erlangung gewisser Ämter verlangt wird. Bei der Festsetzung eines Maßes von allgemeiner Bildung wird es sich in erster Linie um die intellektuelle Bildung handeln, und hierfür die Verteilung des Lehrstoffes bestimmend sein. Die Kunst, einen geeigneten Lehrplan aufzu¬ stellen, würde also nur darin bestehe», die einzelnen Unterrichtsstoffe so zu ver¬ teilen, daß sie der Fassungsgabe der verschiednen Altersstufen angepaßt wären. Aber hieran gerade haftet der Streit der Meinungen, und er wird sich noch mehr verschärfen, wenn die Ermittlung dessen, was das Minimum der höher», allgemeinen Bildung ausmacht, in Angriff genommen werden sollte. Ich würde sogar bezweifeln, daß eine Einigung darüber in den Reihen der Fachmänner sowohl wie des Laienpublikums jemals erzielt werden könnte, hätte nicht der Staat bereits hierin die Initiative ergriffen und in der Befähigung zum einjährigen Freiwilligendienst ein Bildungsmaß aufgestellt, das immerhin als Anhaltepunkt dienen kann und jedenfalls schon heute als Norm sür die Bilduugsgrenze zweier Mannschaftsklasscn gilt. Es ist durch diese Bevorrechtung einer intelligenten Klasse gesetzlich anerkannt, daß die Leistungen ihrer Mitglieder auf wissenschaft¬ lichem oder dem höhern technischen Gebiete, nicht aber in der mechanischen Arbeit erwartet werden, und damit die Grenze gezogen zwischen einer höhern und niedern Bildungsstufe. Diese Greuze ist bestimmt worden durch die Rück¬ sichten auf die wissenschaftlichen Berufszweige, denen man die Militärpflicht erleichtern wollte, anderseits aber auch durch die Bedürfnisse der Armee, welcher ein geeignetes Personal für die Neserveoffiziersstellen zugeführt wird. That¬ sächlich stellt sich mithin heraus, daß der Bildungsgrad, den das Abgangs¬ zeugnis von der Untersekunda nachweist oder doch nachweise» soll, als ausreichend für den Eintritt i» ein Offizierkorps angesehen wird und auf diesem Wege die Mitgliedschaft einer Korporation der höhern und gebildeten Stände gewonnen werden kann. Denn die militärische Befähigung zum Reserveoffizier bleibt für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/126>, abgerufen am 03.07.2024.