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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymnasialunterricht und Fachbildung.

noch nicht öffentlich zur Diskussion gestellt wurden. Ich will hier gleich vor¬
ausschicken, daß ich der letzteren den Vorzug gebe, und will versuchen, dies
näher zu begründen.

Mit dem Plane einer Spaltung des Lehrstoffes in den obern Gymnasial¬
klassen sind die Namen hervorragender Gelehrten und erfahrener Schulmänner
verknüpft. Ihre Vorschläge erheischen daher volle Beachtung, sorgfältige
Prüfung. Sie laufen im ganzen darauf hinaus, daß auf der Oberstufe kein
Lehrgegenstand in seiner ganzen Ausdehnung und in seinem charakteristischen
Getriebe obligatorisch sein und es den Schülern dieser Kategorie überlassen
bleiben soll, diejenigen Fächer zu wählen, welche sie vorzugsweise auf ihren
spätern Studiengang hinweisen. Die Vertreter dieser Theorie begründen die¬
selbe in der schon angedeuteten Weise damit, daß einige der jetzt betriebenen
Lehrgegenstände für das spätere Vcrufsstudium ganz oder teilweise wertlos sind.
Dieser Voraussetzung kann ich mich unbedingt anschließen, nicht aber dem daraus
abgeleitete" Vorschlage. Bei aller Achtung vor der wissenschaftlichen Bedeutung
und fachmännischer Erfahrung seiner Verfechter vermag ich doch den Grundsatz
nicht preiszugeben, daß das Gymnasium eine einheitlich organisirte, allgemein
prvpüdeutische Anstalt für alle höhern Stände ist, und jede Rücksicht auf die
verschiedenen Berufsinteressen bei der Aufstellung des Lehrplaucs ausgeschlossen
bleiben muß. Durch eine Spaltung des letztern in einzelne Fachdisziplinen
würde der Fehler, den wir an dem jetzigen Gymnasium tadeln, daß es vor¬
zugsweise Philologen ausbildet, nicht aufgehoben, sondern vervielfältigt werden.
Aber auch die von andrer Seite vorgeschlagene Sonderling der Schüler der obern
Klassen in zwei Gruppen, die philologisch-historische und die mathematisch-natur-
wissenschaftliche, muß ich aus dem gleichen Grunde beanstanden. Nach dieser
Theorie wären die den wesentlichen Unterschied ausmachenden Fächer für jede
dieser Gruppen obligatorisch, die weniger charakteristischen faknltativ, und helpe
Schülerkategoricn könnten an diesen gemeinschaftlich teilnehme". Man stützt
sich dabei auf die in andern Ländern, wie z. B. in Dänemark, erzielten und,
wie es scheint, sehr befriedigenden Ergebnisse. Dort umfaßt in der zweiten
Oberklasse der sprachlich-historische Unterricht wöchentlich achtzehn, der mathe¬
matisch-naturwissenschaftliche fünfzehn, der gemeinschaftliche zwölf Stunden; der
letztere besteht aus Geschichte, neuern Sprachen und Dänisch. In der letzten
Oberklasse stellen sich die Ziffern wie 17:15:13. Auch in Norwegen °soll
eine ähnliche Schulordnung bestehen. Es mag sein, daß man in diesen Ländern
mit der Zweiteilung im höhern Unterrichte befriedigende Resultate erzielt hat;
für deutsche Verhältnisse paßt dieselbe nicht. Durch sie würde der Gegensatz
zwischen realistischer und humanistischer Bildung, den wir ja auszugleichen be¬
strebt sind, geradezu in die Gymnasien hineingetragen werden. Die Schüler
würden sich in zwei Gruppen sondern, welche durch den gemeinschaftlichen
Unterricht doch nur lose zusammengehalten wären. Außerdem tritt bei diesem


Gymnasialunterricht und Fachbildung.

noch nicht öffentlich zur Diskussion gestellt wurden. Ich will hier gleich vor¬
ausschicken, daß ich der letzteren den Vorzug gebe, und will versuchen, dies
näher zu begründen.

Mit dem Plane einer Spaltung des Lehrstoffes in den obern Gymnasial¬
klassen sind die Namen hervorragender Gelehrten und erfahrener Schulmänner
verknüpft. Ihre Vorschläge erheischen daher volle Beachtung, sorgfältige
Prüfung. Sie laufen im ganzen darauf hinaus, daß auf der Oberstufe kein
Lehrgegenstand in seiner ganzen Ausdehnung und in seinem charakteristischen
Getriebe obligatorisch sein und es den Schülern dieser Kategorie überlassen
bleiben soll, diejenigen Fächer zu wählen, welche sie vorzugsweise auf ihren
spätern Studiengang hinweisen. Die Vertreter dieser Theorie begründen die¬
selbe in der schon angedeuteten Weise damit, daß einige der jetzt betriebenen
Lehrgegenstände für das spätere Vcrufsstudium ganz oder teilweise wertlos sind.
Dieser Voraussetzung kann ich mich unbedingt anschließen, nicht aber dem daraus
abgeleitete« Vorschlage. Bei aller Achtung vor der wissenschaftlichen Bedeutung
und fachmännischer Erfahrung seiner Verfechter vermag ich doch den Grundsatz
nicht preiszugeben, daß das Gymnasium eine einheitlich organisirte, allgemein
prvpüdeutische Anstalt für alle höhern Stände ist, und jede Rücksicht auf die
verschiedenen Berufsinteressen bei der Aufstellung des Lehrplaucs ausgeschlossen
bleiben muß. Durch eine Spaltung des letztern in einzelne Fachdisziplinen
würde der Fehler, den wir an dem jetzigen Gymnasium tadeln, daß es vor¬
zugsweise Philologen ausbildet, nicht aufgehoben, sondern vervielfältigt werden.
Aber auch die von andrer Seite vorgeschlagene Sonderling der Schüler der obern
Klassen in zwei Gruppen, die philologisch-historische und die mathematisch-natur-
wissenschaftliche, muß ich aus dem gleichen Grunde beanstanden. Nach dieser
Theorie wären die den wesentlichen Unterschied ausmachenden Fächer für jede
dieser Gruppen obligatorisch, die weniger charakteristischen faknltativ, und helpe
Schülerkategoricn könnten an diesen gemeinschaftlich teilnehme». Man stützt
sich dabei auf die in andern Ländern, wie z. B. in Dänemark, erzielten und,
wie es scheint, sehr befriedigenden Ergebnisse. Dort umfaßt in der zweiten
Oberklasse der sprachlich-historische Unterricht wöchentlich achtzehn, der mathe¬
matisch-naturwissenschaftliche fünfzehn, der gemeinschaftliche zwölf Stunden; der
letztere besteht aus Geschichte, neuern Sprachen und Dänisch. In der letzten
Oberklasse stellen sich die Ziffern wie 17:15:13. Auch in Norwegen °soll
eine ähnliche Schulordnung bestehen. Es mag sein, daß man in diesen Ländern
mit der Zweiteilung im höhern Unterrichte befriedigende Resultate erzielt hat;
für deutsche Verhältnisse paßt dieselbe nicht. Durch sie würde der Gegensatz
zwischen realistischer und humanistischer Bildung, den wir ja auszugleichen be¬
strebt sind, geradezu in die Gymnasien hineingetragen werden. Die Schüler
würden sich in zwei Gruppen sondern, welche durch den gemeinschaftlichen
Unterricht doch nur lose zusammengehalten wären. Außerdem tritt bei diesem


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[0122] Gymnasialunterricht und Fachbildung. noch nicht öffentlich zur Diskussion gestellt wurden. Ich will hier gleich vor¬ ausschicken, daß ich der letzteren den Vorzug gebe, und will versuchen, dies näher zu begründen. Mit dem Plane einer Spaltung des Lehrstoffes in den obern Gymnasial¬ klassen sind die Namen hervorragender Gelehrten und erfahrener Schulmänner verknüpft. Ihre Vorschläge erheischen daher volle Beachtung, sorgfältige Prüfung. Sie laufen im ganzen darauf hinaus, daß auf der Oberstufe kein Lehrgegenstand in seiner ganzen Ausdehnung und in seinem charakteristischen Getriebe obligatorisch sein und es den Schülern dieser Kategorie überlassen bleiben soll, diejenigen Fächer zu wählen, welche sie vorzugsweise auf ihren spätern Studiengang hinweisen. Die Vertreter dieser Theorie begründen die¬ selbe in der schon angedeuteten Weise damit, daß einige der jetzt betriebenen Lehrgegenstände für das spätere Vcrufsstudium ganz oder teilweise wertlos sind. Dieser Voraussetzung kann ich mich unbedingt anschließen, nicht aber dem daraus abgeleitete« Vorschlage. Bei aller Achtung vor der wissenschaftlichen Bedeutung und fachmännischer Erfahrung seiner Verfechter vermag ich doch den Grundsatz nicht preiszugeben, daß das Gymnasium eine einheitlich organisirte, allgemein prvpüdeutische Anstalt für alle höhern Stände ist, und jede Rücksicht auf die verschiedenen Berufsinteressen bei der Aufstellung des Lehrplaucs ausgeschlossen bleiben muß. Durch eine Spaltung des letztern in einzelne Fachdisziplinen würde der Fehler, den wir an dem jetzigen Gymnasium tadeln, daß es vor¬ zugsweise Philologen ausbildet, nicht aufgehoben, sondern vervielfältigt werden. Aber auch die von andrer Seite vorgeschlagene Sonderling der Schüler der obern Klassen in zwei Gruppen, die philologisch-historische und die mathematisch-natur- wissenschaftliche, muß ich aus dem gleichen Grunde beanstanden. Nach dieser Theorie wären die den wesentlichen Unterschied ausmachenden Fächer für jede dieser Gruppen obligatorisch, die weniger charakteristischen faknltativ, und helpe Schülerkategoricn könnten an diesen gemeinschaftlich teilnehme». Man stützt sich dabei auf die in andern Ländern, wie z. B. in Dänemark, erzielten und, wie es scheint, sehr befriedigenden Ergebnisse. Dort umfaßt in der zweiten Oberklasse der sprachlich-historische Unterricht wöchentlich achtzehn, der mathe¬ matisch-naturwissenschaftliche fünfzehn, der gemeinschaftliche zwölf Stunden; der letztere besteht aus Geschichte, neuern Sprachen und Dänisch. In der letzten Oberklasse stellen sich die Ziffern wie 17:15:13. Auch in Norwegen °soll eine ähnliche Schulordnung bestehen. Es mag sein, daß man in diesen Ländern mit der Zweiteilung im höhern Unterrichte befriedigende Resultate erzielt hat; für deutsche Verhältnisse paßt dieselbe nicht. Durch sie würde der Gegensatz zwischen realistischer und humanistischer Bildung, den wir ja auszugleichen be¬ strebt sind, geradezu in die Gymnasien hineingetragen werden. Die Schüler würden sich in zwei Gruppen sondern, welche durch den gemeinschaftlichen Unterricht doch nur lose zusammengehalten wären. Außerdem tritt bei diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/122>, abgerufen am 01.10.2024.