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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in (Österreich.

in der cisleithauischen Neichshcilfte 8 Millionen, während die Tschechen hier
nur 5,2, die Polen 3,2, die Urtheilen 2,8, die Slowenen 1,1, die Serbo-
kroaten 0,663, die Italiener 0,668, die Rumänen 0,191 und die Magyaren
0,01 Millionen zählen. Mit andern Worten: deutsch ist die Nationalsprache
von 36,8, tschechisch die von 23,8, polnisch die von 14,8, ruthcnisch die von
12,8, slowenisch die von 5,2, italienisch die von 3, serbokroatisch die von 2,6,
rumänisch die von 0,88, magyarisch die von 0,05 Prozent der Bevölkerung. In
sieben Kronländern betragen die Deutschen 55 bis 100, in dreien 30 bis 49, in
Vieren 6 bis 19 Prozent der Vewvhnerzahl. Daß sie nicht die absolute Mehrheit
der Gesamibevölkeruug ausmachen, ist richtig, aber die zehn Millionen der
cisleithanischen Slawen sprechen vier so wesentlich von einander abweichende
Sprachen, daß sie sich so wenig verstehen wie der Rumäne den Italiener oder
der Holländer den Dänen. Wir haben also in Österreich-Ungarn neben den
Deutschen zwar Magyaren und Romanen, aber kein Slawenvolk, sondern nur
eine Gruppe solcher vor uns, deren Glieder überdies verschiedne Traditionen und
Interessen haben und nur in der Gegnerschaft gegen die Deutsche!? einig sind.
Der Panslawismus ist eine Fiktion von Gelehrten und Pseudopolitikcrn und wird
es bleiben, so lauge diese Herren nicht eine Schriftsprache schaffen und zur
Geltung bringen, welcher sich alle slawischen Stämme bedienen, und so lange
es ihnen nicht gelingt, die Polen Nußland gegenüber ebenso empfinden, denken
und streben zu lehren, als die Tschechen oder richtiger als deren Professoren,
Parlamentsredner und Zeitungsschreiber mit ihrem Schweife. Diese mit ihren
Gcsinnungsvcrwandten nnter den Polen und Slowenen hassen das Deutschtum
als die stärkste der Klammern, welche die Quadern des Staatsgebäudes mit
einander verbinden. Die letzten Ziele aber, welche die mit diesem Hasse parallel
laufenden positiven Bestrebungen im Auge haben, sind von der Art, daß auf
sie das Sprichwort Anwendung leidet: Ein Glück, daß unser Herrgott der
Ziege den Schwanz nicht hat länger wachsen lassen; sie schlüge sich sonst die
Augen damit aus. Die Errichtung einer Anzahl lose miteinander zusammen¬
hängender slawischer Kleinstaaten an oder neben der Stätte, wo Österreich zer¬
bröckelt wäre, ist ein Plan so abenteuerlicher, so unpolitischer, so ganz und gar
unnatürlicher Art, daß man ihn nicht für möglich halten würde, wenn er nicht
schon wiederholt mehr oder minder laut und deutlich ausgesprochen worden wäre.
Die halbe Abtrennung Ungarns und die bisherigen Erfolge derselben für die
Magyaren beweisen nichts gegen dieses Urteil; denn noch ist hier nicht aller
Tage Abend.

Ist alles Bestreben, Österreich als Nationalitätcnverband staatlich zu
lockern, unnatürlich und verhängnisvoll, so ist es dagegen ein natürlicher Vor¬
gang, wenn die räumliche Vermischung der nationalen Elemente in den Provinzen
mit der Assimilirung dieser Elemente Hand in Hand geht. Zum Bewußtsein
ihrer Eigenart erwachte und aufstrebende Nationalitäten suchen die Verschmelzung


Deutsche Sorgen in (Österreich.

in der cisleithauischen Neichshcilfte 8 Millionen, während die Tschechen hier
nur 5,2, die Polen 3,2, die Urtheilen 2,8, die Slowenen 1,1, die Serbo-
kroaten 0,663, die Italiener 0,668, die Rumänen 0,191 und die Magyaren
0,01 Millionen zählen. Mit andern Worten: deutsch ist die Nationalsprache
von 36,8, tschechisch die von 23,8, polnisch die von 14,8, ruthcnisch die von
12,8, slowenisch die von 5,2, italienisch die von 3, serbokroatisch die von 2,6,
rumänisch die von 0,88, magyarisch die von 0,05 Prozent der Bevölkerung. In
sieben Kronländern betragen die Deutschen 55 bis 100, in dreien 30 bis 49, in
Vieren 6 bis 19 Prozent der Vewvhnerzahl. Daß sie nicht die absolute Mehrheit
der Gesamibevölkeruug ausmachen, ist richtig, aber die zehn Millionen der
cisleithanischen Slawen sprechen vier so wesentlich von einander abweichende
Sprachen, daß sie sich so wenig verstehen wie der Rumäne den Italiener oder
der Holländer den Dänen. Wir haben also in Österreich-Ungarn neben den
Deutschen zwar Magyaren und Romanen, aber kein Slawenvolk, sondern nur
eine Gruppe solcher vor uns, deren Glieder überdies verschiedne Traditionen und
Interessen haben und nur in der Gegnerschaft gegen die Deutsche!? einig sind.
Der Panslawismus ist eine Fiktion von Gelehrten und Pseudopolitikcrn und wird
es bleiben, so lauge diese Herren nicht eine Schriftsprache schaffen und zur
Geltung bringen, welcher sich alle slawischen Stämme bedienen, und so lange
es ihnen nicht gelingt, die Polen Nußland gegenüber ebenso empfinden, denken
und streben zu lehren, als die Tschechen oder richtiger als deren Professoren,
Parlamentsredner und Zeitungsschreiber mit ihrem Schweife. Diese mit ihren
Gcsinnungsvcrwandten nnter den Polen und Slowenen hassen das Deutschtum
als die stärkste der Klammern, welche die Quadern des Staatsgebäudes mit
einander verbinden. Die letzten Ziele aber, welche die mit diesem Hasse parallel
laufenden positiven Bestrebungen im Auge haben, sind von der Art, daß auf
sie das Sprichwort Anwendung leidet: Ein Glück, daß unser Herrgott der
Ziege den Schwanz nicht hat länger wachsen lassen; sie schlüge sich sonst die
Augen damit aus. Die Errichtung einer Anzahl lose miteinander zusammen¬
hängender slawischer Kleinstaaten an oder neben der Stätte, wo Österreich zer¬
bröckelt wäre, ist ein Plan so abenteuerlicher, so unpolitischer, so ganz und gar
unnatürlicher Art, daß man ihn nicht für möglich halten würde, wenn er nicht
schon wiederholt mehr oder minder laut und deutlich ausgesprochen worden wäre.
Die halbe Abtrennung Ungarns und die bisherigen Erfolge derselben für die
Magyaren beweisen nichts gegen dieses Urteil; denn noch ist hier nicht aller
Tage Abend.

Ist alles Bestreben, Österreich als Nationalitätcnverband staatlich zu
lockern, unnatürlich und verhängnisvoll, so ist es dagegen ein natürlicher Vor¬
gang, wenn die räumliche Vermischung der nationalen Elemente in den Provinzen
mit der Assimilirung dieser Elemente Hand in Hand geht. Zum Bewußtsein
ihrer Eigenart erwachte und aufstrebende Nationalitäten suchen die Verschmelzung


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[0632] Deutsche Sorgen in (Österreich. in der cisleithauischen Neichshcilfte 8 Millionen, während die Tschechen hier nur 5,2, die Polen 3,2, die Urtheilen 2,8, die Slowenen 1,1, die Serbo- kroaten 0,663, die Italiener 0,668, die Rumänen 0,191 und die Magyaren 0,01 Millionen zählen. Mit andern Worten: deutsch ist die Nationalsprache von 36,8, tschechisch die von 23,8, polnisch die von 14,8, ruthcnisch die von 12,8, slowenisch die von 5,2, italienisch die von 3, serbokroatisch die von 2,6, rumänisch die von 0,88, magyarisch die von 0,05 Prozent der Bevölkerung. In sieben Kronländern betragen die Deutschen 55 bis 100, in dreien 30 bis 49, in Vieren 6 bis 19 Prozent der Vewvhnerzahl. Daß sie nicht die absolute Mehrheit der Gesamibevölkeruug ausmachen, ist richtig, aber die zehn Millionen der cisleithanischen Slawen sprechen vier so wesentlich von einander abweichende Sprachen, daß sie sich so wenig verstehen wie der Rumäne den Italiener oder der Holländer den Dänen. Wir haben also in Österreich-Ungarn neben den Deutschen zwar Magyaren und Romanen, aber kein Slawenvolk, sondern nur eine Gruppe solcher vor uns, deren Glieder überdies verschiedne Traditionen und Interessen haben und nur in der Gegnerschaft gegen die Deutsche!? einig sind. Der Panslawismus ist eine Fiktion von Gelehrten und Pseudopolitikcrn und wird es bleiben, so lauge diese Herren nicht eine Schriftsprache schaffen und zur Geltung bringen, welcher sich alle slawischen Stämme bedienen, und so lange es ihnen nicht gelingt, die Polen Nußland gegenüber ebenso empfinden, denken und streben zu lehren, als die Tschechen oder richtiger als deren Professoren, Parlamentsredner und Zeitungsschreiber mit ihrem Schweife. Diese mit ihren Gcsinnungsvcrwandten nnter den Polen und Slowenen hassen das Deutschtum als die stärkste der Klammern, welche die Quadern des Staatsgebäudes mit einander verbinden. Die letzten Ziele aber, welche die mit diesem Hasse parallel laufenden positiven Bestrebungen im Auge haben, sind von der Art, daß auf sie das Sprichwort Anwendung leidet: Ein Glück, daß unser Herrgott der Ziege den Schwanz nicht hat länger wachsen lassen; sie schlüge sich sonst die Augen damit aus. Die Errichtung einer Anzahl lose miteinander zusammen¬ hängender slawischer Kleinstaaten an oder neben der Stätte, wo Österreich zer¬ bröckelt wäre, ist ein Plan so abenteuerlicher, so unpolitischer, so ganz und gar unnatürlicher Art, daß man ihn nicht für möglich halten würde, wenn er nicht schon wiederholt mehr oder minder laut und deutlich ausgesprochen worden wäre. Die halbe Abtrennung Ungarns und die bisherigen Erfolge derselben für die Magyaren beweisen nichts gegen dieses Urteil; denn noch ist hier nicht aller Tage Abend. Ist alles Bestreben, Österreich als Nationalitätcnverband staatlich zu lockern, unnatürlich und verhängnisvoll, so ist es dagegen ein natürlicher Vor¬ gang, wenn die räumliche Vermischung der nationalen Elemente in den Provinzen mit der Assimilirung dieser Elemente Hand in Hand geht. Zum Bewußtsein ihrer Eigenart erwachte und aufstrebende Nationalitäten suchen die Verschmelzung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/632>, abgerufen am 15.01.2025.