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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in (Österreich.

der fremden Minderheit unter sich durch Nachhilfe mit äußern Mitteln zu
beschleunigen und sich auf Kosten derselben zu heben. Wenn etwas der Art
unter Kaiser Josef zu Gunsten der Deutschen im ganzen Reiche geschah, so ist
der Unterschied der damaligen Vorgänge von den heutigen größer als die
Ähnlichkeit beider. Der Grund jeuer Germanisirungsversnche war keineswegs
der nationale Eifer des österreichischen Volkes, das bis 1861 so wenig wie die
Magyaren und Slawen bei Negierungsmaßrcgeln mitzureden hatte, und der
Zweck des Kaisers war nicht sowohl Stärkung des Deutschtums, als engere
Vereinigung der Bestandteile des Reiches, Unisizirung, nicht Germanisirung.
Und wenn die Regierung bis 1848 von ihren Beamten die Kenntnis der
deutschen Sprache forderte, so war das kein unbilliges, sondern ein ganz selbst¬
verständliches Verlangen, welches mit einer Bevorzugung des Deutschtums schon
deshalb nicht zusammenfiel, weil damals von deutschem Denken und Strebe"
unter den Österreichern nicht viel zu finden war. Dagegen war das deutsche
Idiom in dieser Periode wie noch heutigen Tages das allgemeine Mittel, mit
dem sich nicht nur die Deutschösterreicher mit den Magyaren und Slawen,
sondern auch die letzteren miteinander verständigten. Da jeder Gebildete es
sprach und schrieb, so fiel es keinem ein, sich zu beklagen, daß es in Österreich
auch die Sprache der Behörden war und daß sich dieselben in Ungarn seiner
neben dem bekannten Küchenlatein bedienten, wenn sie mit der Zentralbehörde
in Wien oder mit den Kollegen in den Nebenländern der Stephanskrone zu Ver¬
kehren hatten. Nur in der Lombardei und in Venetien galt für die Verwaltung
die Sprache des dortigen Volkes ausschließlich. Als sich in den letzten Jahren
der Metternichschen Ära liberale Ideen regten, bildeten die Liebhaber derselben
eine Partei ohne Unterschied der Nationalität, und erst nach 1848 kam es zur
Trennung derselben und zur Gruppirung um nationale Programme. Man fing
unter den Slawen an, von "unterdrückten Nationalitäten" zu reden, und weil
die Regierung Bachs deutsch sprach und in gewissen Kreisen ebenfalls deutsch
gesprochen wissen wollte, sollten die Deutschen die Unterdrücker sein, obwohl sie
die grobe Faust der Reaktion jener fünfziger Jahre mindestens ebenso schwer zu
empfinden hatten als die andern und kein deutsches patriotisches Lied singen, ja
keinen deutschen Hut trage" konnten, ohne von der Polizei gemaßregelt zu
werden. Kaum hatten die Ereignisse von 1859 wieder etwas Luft geschafft, so
erhoben die deutschfeindlichen Parteien den Kopf von neuem, um zunächst durch
Einwirkung auf die Schule ihre Zwecke zu fördern und dann allmählich andre
Einrichtungen denselben dienstbar zu machen. Anders die Deutschen, deren Führer
damals und noch lange nachher viel weniger auf nationale Abwehr und Er¬
oberung als auf die Verwirklichung liberaler Doktrinen, Erwerbung einer Ver¬
fassung mit Zubehör, parlamentarische Rechte, Freiheit, wie sie im Buche steht,
wirtschaftliche Freiheit nach den Lehren der Manchestcrschule, ihr Augenmerk rich¬
teten und mit solchen Wünschen und Bemühungen ihren nationalen Gegnern nicht


Grenzboten IV. 1880. 79
Deutsche Sorgen in (Österreich.

der fremden Minderheit unter sich durch Nachhilfe mit äußern Mitteln zu
beschleunigen und sich auf Kosten derselben zu heben. Wenn etwas der Art
unter Kaiser Josef zu Gunsten der Deutschen im ganzen Reiche geschah, so ist
der Unterschied der damaligen Vorgänge von den heutigen größer als die
Ähnlichkeit beider. Der Grund jeuer Germanisirungsversnche war keineswegs
der nationale Eifer des österreichischen Volkes, das bis 1861 so wenig wie die
Magyaren und Slawen bei Negierungsmaßrcgeln mitzureden hatte, und der
Zweck des Kaisers war nicht sowohl Stärkung des Deutschtums, als engere
Vereinigung der Bestandteile des Reiches, Unisizirung, nicht Germanisirung.
Und wenn die Regierung bis 1848 von ihren Beamten die Kenntnis der
deutschen Sprache forderte, so war das kein unbilliges, sondern ein ganz selbst¬
verständliches Verlangen, welches mit einer Bevorzugung des Deutschtums schon
deshalb nicht zusammenfiel, weil damals von deutschem Denken und Strebe»
unter den Österreichern nicht viel zu finden war. Dagegen war das deutsche
Idiom in dieser Periode wie noch heutigen Tages das allgemeine Mittel, mit
dem sich nicht nur die Deutschösterreicher mit den Magyaren und Slawen,
sondern auch die letzteren miteinander verständigten. Da jeder Gebildete es
sprach und schrieb, so fiel es keinem ein, sich zu beklagen, daß es in Österreich
auch die Sprache der Behörden war und daß sich dieselben in Ungarn seiner
neben dem bekannten Küchenlatein bedienten, wenn sie mit der Zentralbehörde
in Wien oder mit den Kollegen in den Nebenländern der Stephanskrone zu Ver¬
kehren hatten. Nur in der Lombardei und in Venetien galt für die Verwaltung
die Sprache des dortigen Volkes ausschließlich. Als sich in den letzten Jahren
der Metternichschen Ära liberale Ideen regten, bildeten die Liebhaber derselben
eine Partei ohne Unterschied der Nationalität, und erst nach 1848 kam es zur
Trennung derselben und zur Gruppirung um nationale Programme. Man fing
unter den Slawen an, von „unterdrückten Nationalitäten" zu reden, und weil
die Regierung Bachs deutsch sprach und in gewissen Kreisen ebenfalls deutsch
gesprochen wissen wollte, sollten die Deutschen die Unterdrücker sein, obwohl sie
die grobe Faust der Reaktion jener fünfziger Jahre mindestens ebenso schwer zu
empfinden hatten als die andern und kein deutsches patriotisches Lied singen, ja
keinen deutschen Hut trage» konnten, ohne von der Polizei gemaßregelt zu
werden. Kaum hatten die Ereignisse von 1859 wieder etwas Luft geschafft, so
erhoben die deutschfeindlichen Parteien den Kopf von neuem, um zunächst durch
Einwirkung auf die Schule ihre Zwecke zu fördern und dann allmählich andre
Einrichtungen denselben dienstbar zu machen. Anders die Deutschen, deren Führer
damals und noch lange nachher viel weniger auf nationale Abwehr und Er¬
oberung als auf die Verwirklichung liberaler Doktrinen, Erwerbung einer Ver¬
fassung mit Zubehör, parlamentarische Rechte, Freiheit, wie sie im Buche steht,
wirtschaftliche Freiheit nach den Lehren der Manchestcrschule, ihr Augenmerk rich¬
teten und mit solchen Wünschen und Bemühungen ihren nationalen Gegnern nicht


Grenzboten IV. 1880. 79
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[0633] Deutsche Sorgen in (Österreich. der fremden Minderheit unter sich durch Nachhilfe mit äußern Mitteln zu beschleunigen und sich auf Kosten derselben zu heben. Wenn etwas der Art unter Kaiser Josef zu Gunsten der Deutschen im ganzen Reiche geschah, so ist der Unterschied der damaligen Vorgänge von den heutigen größer als die Ähnlichkeit beider. Der Grund jeuer Germanisirungsversnche war keineswegs der nationale Eifer des österreichischen Volkes, das bis 1861 so wenig wie die Magyaren und Slawen bei Negierungsmaßrcgeln mitzureden hatte, und der Zweck des Kaisers war nicht sowohl Stärkung des Deutschtums, als engere Vereinigung der Bestandteile des Reiches, Unisizirung, nicht Germanisirung. Und wenn die Regierung bis 1848 von ihren Beamten die Kenntnis der deutschen Sprache forderte, so war das kein unbilliges, sondern ein ganz selbst¬ verständliches Verlangen, welches mit einer Bevorzugung des Deutschtums schon deshalb nicht zusammenfiel, weil damals von deutschem Denken und Strebe» unter den Österreichern nicht viel zu finden war. Dagegen war das deutsche Idiom in dieser Periode wie noch heutigen Tages das allgemeine Mittel, mit dem sich nicht nur die Deutschösterreicher mit den Magyaren und Slawen, sondern auch die letzteren miteinander verständigten. Da jeder Gebildete es sprach und schrieb, so fiel es keinem ein, sich zu beklagen, daß es in Österreich auch die Sprache der Behörden war und daß sich dieselben in Ungarn seiner neben dem bekannten Küchenlatein bedienten, wenn sie mit der Zentralbehörde in Wien oder mit den Kollegen in den Nebenländern der Stephanskrone zu Ver¬ kehren hatten. Nur in der Lombardei und in Venetien galt für die Verwaltung die Sprache des dortigen Volkes ausschließlich. Als sich in den letzten Jahren der Metternichschen Ära liberale Ideen regten, bildeten die Liebhaber derselben eine Partei ohne Unterschied der Nationalität, und erst nach 1848 kam es zur Trennung derselben und zur Gruppirung um nationale Programme. Man fing unter den Slawen an, von „unterdrückten Nationalitäten" zu reden, und weil die Regierung Bachs deutsch sprach und in gewissen Kreisen ebenfalls deutsch gesprochen wissen wollte, sollten die Deutschen die Unterdrücker sein, obwohl sie die grobe Faust der Reaktion jener fünfziger Jahre mindestens ebenso schwer zu empfinden hatten als die andern und kein deutsches patriotisches Lied singen, ja keinen deutschen Hut trage» konnten, ohne von der Polizei gemaßregelt zu werden. Kaum hatten die Ereignisse von 1859 wieder etwas Luft geschafft, so erhoben die deutschfeindlichen Parteien den Kopf von neuem, um zunächst durch Einwirkung auf die Schule ihre Zwecke zu fördern und dann allmählich andre Einrichtungen denselben dienstbar zu machen. Anders die Deutschen, deren Führer damals und noch lange nachher viel weniger auf nationale Abwehr und Er¬ oberung als auf die Verwirklichung liberaler Doktrinen, Erwerbung einer Ver¬ fassung mit Zubehör, parlamentarische Rechte, Freiheit, wie sie im Buche steht, wirtschaftliche Freiheit nach den Lehren der Manchestcrschule, ihr Augenmerk rich¬ teten und mit solchen Wünschen und Bemühungen ihren nationalen Gegnern nicht Grenzboten IV. 1880. 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/633>, abgerufen am 20.10.2024.