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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ein deutsches Seminar für neuere Philologie in London.

welcher Neichsstipendien und ein ähnliches Institut, aber im engsten Anschluß
an den zu London bestehenden deutscheu Lchrerverein, gründen möchte, in dem
die Studirenden wohnen, während sie ihre Mahlzeiten in englischen Familie"
einnehmen; drittens eine Petition der Studenten der neuern Philologie an den
Herrn Reichskanzler behufs Gründung von Neichsstipendien und Ernennung
eines neuphilologischen Botschaftsattaches, welcher den Stipendiaten in ihren
Studien und wo sonst nötig ratend zur Seite zu stehen hätte.

Über den Körtingscheu Vorschlag können wir uns kurz fassen, da er schon
von Rolfs") in das richtige Licht gesetzt worden ist. Es ist eine Rechnung, die
ohne den Wirt gemacht ist. Ein Institut in London im Sinne Körtings, worin
die Studirenden Wohnung und Kost erhalten, tagtäglich fast ausschließlich mit
ihren Kommilitonen verkehren, im kühnsten Englisch miteinander radebrcchen, mag
einen leidlichen deutschen Klub abgeben, wird aber nimmer zur Erlernung der
Sprache des Landes führen. Seinen weitern Bestimmungen nach würde es die
Studirenden auch zu reinen PensionSschülern Herabdrücken, die auf den Wunsch
ihres Direktors eifrig kollationiren und in staubigen Bibliotheken angelsächsische
Homilien und Chroniken kopiren würden. Englisch aber würde keiner von ihnen
beherrschen lernen, Kellnerenglisch vielleicht ausgenommen. Auch die Hoffnung,
die Körting auf den Direktor setzt, von dem er eine Einführung seiner Pfleg¬
linge in ihm bekannte Familien, besonders englische, erwartet, sieht ans dem
Papier ganz leidlich aus, dürfte aber in Wirklichkeit unübersteigliche Schwierig¬
keiten darbieten. Selbst angenommen, daß des Direktors Bekanntenkreis ein
sehr großer wäre, so ist es doch sehr unwahrscheinlich, daß er seinen Schutz¬
befohlenen darin große Gelegenheit zum Englischreden verschaffen könnte, ohne
außerordentlich lästig zu fallen. Und erst in englischen Familien! Körtiug wird
selbst wissen, wie kühl ablehnend sich der Engländer den seine Sprache garnicht
oder schlecht sprechenden Ausländern gegenüber verhält. Anders ist es, wenn ein
Fremder in eine Familie eingeführt ist, der ihre Sprache schon beherrscht! Er
kann darauf rechnen, mit der größten Rücksicht und Freundlichkeit behandelt
zu werden. Warum sollte sich auch der Engländer für den radebrcchenden
Fremden erwärmen, an den ihn kein weiteres Band knüpft, als seine eigne
Bekanntschaft mit dem Direktor derselben! Und bedenkt man, daß dieser jahraus
jahrein eine große Anzahl solcher radebrechendeu Schützlinge um sich hat, die
jedem Worte, das dem verschlossenen Munde des Engländer entfliegt, eifrigst
lauschen und erwartungsvoll weiter" kurz hingelvorfenen Sätzen ihres Wirtes
entgegensehen, so dürfte man sicher sein, daß dieser dem nächsten Besuche des
ihm befreundeten Direktors eiligst durch die Hinterthür entwischt. Und die
englischen Damen? Ist der Studirende wohlerzogen, hübsch, gewandt, lebhaft



Über die Gründung eines Institutes für deutsche Philologen in London. Berlin,
Weidmannsche Buchhandlung, 1385.
Ein deutsches Seminar für neuere Philologie in London.

welcher Neichsstipendien und ein ähnliches Institut, aber im engsten Anschluß
an den zu London bestehenden deutscheu Lchrerverein, gründen möchte, in dem
die Studirenden wohnen, während sie ihre Mahlzeiten in englischen Familie«
einnehmen; drittens eine Petition der Studenten der neuern Philologie an den
Herrn Reichskanzler behufs Gründung von Neichsstipendien und Ernennung
eines neuphilologischen Botschaftsattaches, welcher den Stipendiaten in ihren
Studien und wo sonst nötig ratend zur Seite zu stehen hätte.

Über den Körtingscheu Vorschlag können wir uns kurz fassen, da er schon
von Rolfs") in das richtige Licht gesetzt worden ist. Es ist eine Rechnung, die
ohne den Wirt gemacht ist. Ein Institut in London im Sinne Körtings, worin
die Studirenden Wohnung und Kost erhalten, tagtäglich fast ausschließlich mit
ihren Kommilitonen verkehren, im kühnsten Englisch miteinander radebrcchen, mag
einen leidlichen deutschen Klub abgeben, wird aber nimmer zur Erlernung der
Sprache des Landes führen. Seinen weitern Bestimmungen nach würde es die
Studirenden auch zu reinen PensionSschülern Herabdrücken, die auf den Wunsch
ihres Direktors eifrig kollationiren und in staubigen Bibliotheken angelsächsische
Homilien und Chroniken kopiren würden. Englisch aber würde keiner von ihnen
beherrschen lernen, Kellnerenglisch vielleicht ausgenommen. Auch die Hoffnung,
die Körting auf den Direktor setzt, von dem er eine Einführung seiner Pfleg¬
linge in ihm bekannte Familien, besonders englische, erwartet, sieht ans dem
Papier ganz leidlich aus, dürfte aber in Wirklichkeit unübersteigliche Schwierig¬
keiten darbieten. Selbst angenommen, daß des Direktors Bekanntenkreis ein
sehr großer wäre, so ist es doch sehr unwahrscheinlich, daß er seinen Schutz¬
befohlenen darin große Gelegenheit zum Englischreden verschaffen könnte, ohne
außerordentlich lästig zu fallen. Und erst in englischen Familien! Körtiug wird
selbst wissen, wie kühl ablehnend sich der Engländer den seine Sprache garnicht
oder schlecht sprechenden Ausländern gegenüber verhält. Anders ist es, wenn ein
Fremder in eine Familie eingeführt ist, der ihre Sprache schon beherrscht! Er
kann darauf rechnen, mit der größten Rücksicht und Freundlichkeit behandelt
zu werden. Warum sollte sich auch der Engländer für den radebrcchenden
Fremden erwärmen, an den ihn kein weiteres Band knüpft, als seine eigne
Bekanntschaft mit dem Direktor derselben! Und bedenkt man, daß dieser jahraus
jahrein eine große Anzahl solcher radebrechendeu Schützlinge um sich hat, die
jedem Worte, das dem verschlossenen Munde des Engländer entfliegt, eifrigst
lauschen und erwartungsvoll weiter» kurz hingelvorfenen Sätzen ihres Wirtes
entgegensehen, so dürfte man sicher sein, daß dieser dem nächsten Besuche des
ihm befreundeten Direktors eiligst durch die Hinterthür entwischt. Und die
englischen Damen? Ist der Studirende wohlerzogen, hübsch, gewandt, lebhaft



Über die Gründung eines Institutes für deutsche Philologen in London. Berlin,
Weidmannsche Buchhandlung, 1385.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/584>, abgerufen am 27.09.2024.