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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Lin deutsches Seminar für neuere Philologie in London,

Erniedrigungen im fremden Lande ausgesetzt,^) die in der Heimat für unge¬
heuerliche Übertreibung gelten würden, wenn sich nicht die Wahrheit dieser Zu¬
stände endlich Bahn gebrochen und vor allem das Gewissen der Kommilitonen
wachgerufen hätte.

Nachdem schon vor drei Jahren die deutschen Fachgenossen in London,
veranlaßt durch die jammervolle Lage so vieler ihrer Kollegen daselbst, den
deutschen Lehrerverein zur Unterstützung derselben begründet hatten und so einer
Pflicht gegen das deutsche Reich und seine Angehörigen nachgekommen waren,
haben kürzlich auch die neuern Philologen in der Heimat einen entscheidenden
Schritt gethan, indem sie dem Herrn Reichskanzler eine Petition im Namen
fast sämtlicher Studenten der deutschen Universitäten unterbreitet haben, die
auch auf obige Mißstände Bezug nimmt und um Abhilfe bittet.

Hier kann in der That nur das Reich helfen, und das Reich kann einem
Zustande ein Ende machen, der die Würde des deutschen Volkes dem Auslande
gegenüber empfindlich schädigt. Und zwar kann dies nur dadurch geschehen, daß
die im Auslande zum Besten ihrer Wissenschaft und ihres Vaterlandes studirenden
neuern Philologen von Staatswegen eine Unterstützung erhalten, die sie in den
Stand setzt, ihre Studien im Auslande sorgenfrei fortsetzen zu können. Sie
dürfen nicht der Notwendigkeit ausgesetzt werden, eine jener gebrmidmartten
englischen Lehrerstcllcn anzunehmen, in welcher sie bald geistig verdummen und
in gesellschaftlicher Beziehung ein Proletariat zu vermehren bestimmt sind, das
den Fachgenossen die Schamröte ins Gesicht treibt.

In welcher Richtung und mit welchen Mitteln aber das deutsche Reich
hier einschreiten und Abhilfe schaffen soll, um den Studirenden nicht den
wichtigsten Weg zur praktischen Erlernung der neuern Sprachen abzuschneiden,
das ist die schwierige Frage, welche jetzt die Fachkreise beschäftigt und zu deren
Lösung jeder Beteiligte nach Kräften beitragen sollte. Umsomehr, da sie nicht
den einen Stand der Neuphilologen allein berührt, sondern mit ihren Folgen
für die Schulen des Landes und seine Jngend auch deu weitesten Kreisen
Teilnahme abgewinnen muß. An der Erziehung seiner Jugend und an der
Art, wie dieser oder jener Gegenstand zu dem Zwecke gelehrt und gelernt wird,
muß das ganze Volk teilnehmen, das in der Schule sich wieder verjüngt und
neubildet.

Unter den mancherlei Vorschlägen, die zur Lösung der Frage gemacht
worden sind, ziehen vor allem drei unsre Aufmerksamkeit auf sich. Erstens der
Entwurf des Professor Körting in Münster, ein Neichsinstitut in London zu
gründen, worin die Studirenden der neuern Philologie unentgeltlich Kost,
Wohnung und Vorlesungen haben sollen; zweitens der Entwurf von Dr. Rolfs,



*) Siehe Reichardt, Der deutsche Lehrer in England. Berlin, Weidmmmsche Buch¬
handlung, 1884,
Lin deutsches Seminar für neuere Philologie in London,

Erniedrigungen im fremden Lande ausgesetzt,^) die in der Heimat für unge¬
heuerliche Übertreibung gelten würden, wenn sich nicht die Wahrheit dieser Zu¬
stände endlich Bahn gebrochen und vor allem das Gewissen der Kommilitonen
wachgerufen hätte.

Nachdem schon vor drei Jahren die deutschen Fachgenossen in London,
veranlaßt durch die jammervolle Lage so vieler ihrer Kollegen daselbst, den
deutschen Lehrerverein zur Unterstützung derselben begründet hatten und so einer
Pflicht gegen das deutsche Reich und seine Angehörigen nachgekommen waren,
haben kürzlich auch die neuern Philologen in der Heimat einen entscheidenden
Schritt gethan, indem sie dem Herrn Reichskanzler eine Petition im Namen
fast sämtlicher Studenten der deutschen Universitäten unterbreitet haben, die
auch auf obige Mißstände Bezug nimmt und um Abhilfe bittet.

Hier kann in der That nur das Reich helfen, und das Reich kann einem
Zustande ein Ende machen, der die Würde des deutschen Volkes dem Auslande
gegenüber empfindlich schädigt. Und zwar kann dies nur dadurch geschehen, daß
die im Auslande zum Besten ihrer Wissenschaft und ihres Vaterlandes studirenden
neuern Philologen von Staatswegen eine Unterstützung erhalten, die sie in den
Stand setzt, ihre Studien im Auslande sorgenfrei fortsetzen zu können. Sie
dürfen nicht der Notwendigkeit ausgesetzt werden, eine jener gebrmidmartten
englischen Lehrerstcllcn anzunehmen, in welcher sie bald geistig verdummen und
in gesellschaftlicher Beziehung ein Proletariat zu vermehren bestimmt sind, das
den Fachgenossen die Schamröte ins Gesicht treibt.

In welcher Richtung und mit welchen Mitteln aber das deutsche Reich
hier einschreiten und Abhilfe schaffen soll, um den Studirenden nicht den
wichtigsten Weg zur praktischen Erlernung der neuern Sprachen abzuschneiden,
das ist die schwierige Frage, welche jetzt die Fachkreise beschäftigt und zu deren
Lösung jeder Beteiligte nach Kräften beitragen sollte. Umsomehr, da sie nicht
den einen Stand der Neuphilologen allein berührt, sondern mit ihren Folgen
für die Schulen des Landes und seine Jngend auch deu weitesten Kreisen
Teilnahme abgewinnen muß. An der Erziehung seiner Jugend und an der
Art, wie dieser oder jener Gegenstand zu dem Zwecke gelehrt und gelernt wird,
muß das ganze Volk teilnehmen, das in der Schule sich wieder verjüngt und
neubildet.

Unter den mancherlei Vorschlägen, die zur Lösung der Frage gemacht
worden sind, ziehen vor allem drei unsre Aufmerksamkeit auf sich. Erstens der
Entwurf des Professor Körting in Münster, ein Neichsinstitut in London zu
gründen, worin die Studirenden der neuern Philologie unentgeltlich Kost,
Wohnung und Vorlesungen haben sollen; zweitens der Entwurf von Dr. Rolfs,



*) Siehe Reichardt, Der deutsche Lehrer in England. Berlin, Weidmmmsche Buch¬
handlung, 1884,
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[0583] Lin deutsches Seminar für neuere Philologie in London, Erniedrigungen im fremden Lande ausgesetzt,^) die in der Heimat für unge¬ heuerliche Übertreibung gelten würden, wenn sich nicht die Wahrheit dieser Zu¬ stände endlich Bahn gebrochen und vor allem das Gewissen der Kommilitonen wachgerufen hätte. Nachdem schon vor drei Jahren die deutschen Fachgenossen in London, veranlaßt durch die jammervolle Lage so vieler ihrer Kollegen daselbst, den deutschen Lehrerverein zur Unterstützung derselben begründet hatten und so einer Pflicht gegen das deutsche Reich und seine Angehörigen nachgekommen waren, haben kürzlich auch die neuern Philologen in der Heimat einen entscheidenden Schritt gethan, indem sie dem Herrn Reichskanzler eine Petition im Namen fast sämtlicher Studenten der deutschen Universitäten unterbreitet haben, die auch auf obige Mißstände Bezug nimmt und um Abhilfe bittet. Hier kann in der That nur das Reich helfen, und das Reich kann einem Zustande ein Ende machen, der die Würde des deutschen Volkes dem Auslande gegenüber empfindlich schädigt. Und zwar kann dies nur dadurch geschehen, daß die im Auslande zum Besten ihrer Wissenschaft und ihres Vaterlandes studirenden neuern Philologen von Staatswegen eine Unterstützung erhalten, die sie in den Stand setzt, ihre Studien im Auslande sorgenfrei fortsetzen zu können. Sie dürfen nicht der Notwendigkeit ausgesetzt werden, eine jener gebrmidmartten englischen Lehrerstcllcn anzunehmen, in welcher sie bald geistig verdummen und in gesellschaftlicher Beziehung ein Proletariat zu vermehren bestimmt sind, das den Fachgenossen die Schamröte ins Gesicht treibt. In welcher Richtung und mit welchen Mitteln aber das deutsche Reich hier einschreiten und Abhilfe schaffen soll, um den Studirenden nicht den wichtigsten Weg zur praktischen Erlernung der neuern Sprachen abzuschneiden, das ist die schwierige Frage, welche jetzt die Fachkreise beschäftigt und zu deren Lösung jeder Beteiligte nach Kräften beitragen sollte. Umsomehr, da sie nicht den einen Stand der Neuphilologen allein berührt, sondern mit ihren Folgen für die Schulen des Landes und seine Jngend auch deu weitesten Kreisen Teilnahme abgewinnen muß. An der Erziehung seiner Jugend und an der Art, wie dieser oder jener Gegenstand zu dem Zwecke gelehrt und gelernt wird, muß das ganze Volk teilnehmen, das in der Schule sich wieder verjüngt und neubildet. Unter den mancherlei Vorschlägen, die zur Lösung der Frage gemacht worden sind, ziehen vor allem drei unsre Aufmerksamkeit auf sich. Erstens der Entwurf des Professor Körting in Münster, ein Neichsinstitut in London zu gründen, worin die Studirenden der neuern Philologie unentgeltlich Kost, Wohnung und Vorlesungen haben sollen; zweitens der Entwurf von Dr. Rolfs, *) Siehe Reichardt, Der deutsche Lehrer in England. Berlin, Weidmmmsche Buch¬ handlung, 1884,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/583>, abgerufen am 27.09.2024.